Spendentransporte unterwegs in die Ukraine
SCHTSCHYREZ | GUDENSBERG. Die Welt hat sich verändert und unsere Reaktionen verändern sich mit ihr. Es gibt diejenigen, die jetzt davor Angst haben, selbst betroffen zu werden und lieber nichts täten, was Putin verärgern könnte. Es gibt vor allem aber diejenigen, die wissen, dass sie längst betroffen sind und es jetzt darum geht, Leid zu lindern und Leben zu retten.
Für viele steht auch der Gedanke im Vordergrund, dass es Freunde sind, die gerade ein Problem haben. Seit der Öffnung der Ukraine in die demokratische Welt sind viele Ukrainer in die Europäische Union gekommen, haben ihre Familien noch dort und in Gudensberg haben sich echte Freundschaften entwickelt, die aus der Städtepartnerschaft zwischen der ukrainischen Stadt Schtschyrez und Gudensberg entstanden sind.
Beim Aufbruch der ersten Transporte nach Schtschyrez wurde deutlich: es ist etwas anderes, ob man anonyme Spenden in eine unbekannte Gegend transportiert oder ob man auf den Weg bringt, was gute Freunde gerade dringend nötig haben. Am Freitag ist der erste Transport an der alten Feuerwache in Gudensberg aufgebrochen und am gestrigen Samstag wurde „schweres Gerät“ Richtung Ukraine verabschiedet.
Bauhof der Stadt Gudensberg hilft
Ein Sprinter der Stadt Gudensberg (Bauhof) wurde von Dennis Zaljuk, der in Kiew geboren ist und Thorsten Steinbrück, beide Mitarbeiter des Bauhofes, gefahren. Zu spüren war der Druck, mit dem die beiden wegwollten, als es nach dem Beladen des Fahrzeuges nicht sofort losgehen konnte. Zurzeit fahren Transporte bis zur polnisch-ukrainischen Grenze und dann wird umgeladen. Die Freunde aus der Partnerstadt Schtschyrez kommen dem Transport entgegen.
Geladen hatte der Wagen Kompressoren zur Stromerzeugung, Wasserkocher, Schlafsäcke, Isomatten, Werkzeuge, ein Schweißgerät, aufladbare Taschenlampen und viele Medizinprodukte. Es ist das, was in der Partnerstadt gebraucht wird und auf einer Wunschliste stand. In der West-Ukraine gibt es praktisch nichts mehr zu kaufen, die Lieferketten sind durch den Krieg komplett zusammengebrochen. Auch der tägliche Bedarf ist schwer zu besorgen.
Geldspenden helfen – mit wenig Aufwand – Bedarf zu decken
Es ist der erste Transport, ab jetzt wird es regelmäßige Fahrten Richtung Partnerstadt geben. Dr. Eberhardt Kettlitz, der in Gudensberg die Partnerschaften koordiniert, formuliert dazu eine Bitte: Keine Sachspenden! Es ist schwer Sachspenden zu sortieren, das erfordert Mitarbeiter. Außerdem benennen die Menschen in der Ukraine sehr klar, was ihnen gerade fehlt, um die Existenz zu sichern und sie schicken Wunschlisten. Dem Partnerschaftsverein und der Stadt ist es dann möglich, gezielt Produkte, die helfen, zu besorgen und nichts Unnützes auf den Weg zu bringen. Es wird außerdem nach Priorität abgearbeitet.
Der Bedarf ändert sich auch ständig durch das hohe Flüchtlingsaufkommen aus den Kampfgebieten. Schtschyrez ist so etwas wie eine Durchgangsstation geworden. In den ersten Tagen kamen 500 Flüchtlinge, jetzt sind es täglich über 100. Wie vieles irgendwann werden, ist schwer abzuschätzen. Die Menschen bevor raten sich selbst und wollen anderen helfen.
Licht-Giraffen für die zivile Hilfe
Gestern fuhr der erste von zwei Beleuchtungsmasten nach Schtschyrez. Er wurde gespendet von der Kasseler Firma Polyma. Steffen Link hatte die sogenannte Lichtgiraffe zum Feuerwehrgebäude gebracht, wo sie auf den Transport vorbereitet wurde. Dem Motto, immer für Menschen da zu sein, macht die Firma damit Ehre. Das Gerät stammt aus dem Mietpark und war auch bereits im Ahrtal im Einsatz. Für Steffen Link ist es immer schwierig zu wissen, dass sein Unternehmen an Katastrophen mitverdient, eben weil es Ausrüstung produziert und liefert und auf diese Weise ist es gleichzeitig möglich, davon etwas zurückzugeben.
Das erste Gerät liefert 15 kW Leistung, sorgt für Licht, Strom und Wärme. Das zweite Gerät, das hinzu kommt, wird auch dafür ausreichen, um im Krankenhaus von Schtschyrez die Notstromversorgung für kritische Bereiche wie Operationssäle aufrecht zu erhalten. Jetzt, so Link, spiele Geld keine Rolle. Wenn der Strom ausfällt, geht vieles nicht mehr. Ein neuer Generator hätte inzwischen 30 Wochen Lieferzeit und ein Gerät würde das Budget der Stadt Gudensberg zur Hilfe für die Partnerstadt im Grunde auffressen. Mit 9000 € Wert wird die jetzige Ausrüstung beziffert.
Wichtige Repräsentanten im persönlichen Einsatz
Feuerwehr-Legende Verdy Ryffel erzählt von den Gesprächen mit Kollegen in der Partnerstadt und weiß, wie schwer jetzt der Zivilschutz aufrechtzuerhalten ist. Ex-Bürgermeister Frank Börner ist vor allem dabei, weil es um Freunde geht und er schildert die Tränen in den Augen der ukrainischen Gesprächspartner, für die nicht mehr ist, wie es war.
Bauhofleiter Uwe Kiefer bringt selbst die Licht-Giraffe in die Ukraine und Bürgermeisterin Sina Best schildert, das Stadt und Magistrat Gudensberg unbürokratisch und schnell helfen werden. Sie ist froh, Bürgermeister Oleh Vasylyschyn bereits vor der Krise kennengelernt zu haben. Auch für sie hat der Krieg Gesichter.
50.000 € Soforthilfe für ukrainische Partnerstadt
Der Magistrat der Stadt Gudensberg hat in einer Sondersitzung Montag eine Soforthilfe über 50.000 € für die Menschen in der Ukraine beschlossen. Er unterstützt damit die Spendenaktion des Gudensberger Partnerschaftsvereins. Mit dem Betrag sollen Hilfsgüter für die Partnerstadt Schtschyrez beschafft werden, die wie das gesamte Land unter den Folgen der russischen Invasion leidet. In der Ukraine tobt seit letzter Woche der russische Angriffskrieg, heißt es in einer Meldung. Die Gudensberger Partnerstadt Schtschyrez im Westen der Ukraine sei bisher nicht direkt betroffen. Allerdings ist sie ein Sammelpunkt für Flüchtende aus den umkämpften Gebieten im Zentrum und im Osten des Landes. Seit Montag werden in Schtschyrez 500 Flüchtende in Turnhallen, Dorfgemeinschaftshäusern und von Privatpersonen beherbergt und verpflegt. Einige Flüchtende benötigen auch medizinische Hilfe, die die Kommunalambulanz leistet.
Die Stadtverwaltung und der Krisenstab stehen im Kontakt mit Bürgermeister Vasylyshyn in Schtschyrez, um den Bedarf stetig zu aktualisieren. Bürgermeisterin Sina Best sagte dazu: „Wir müssen und wollen aus tiefstem Herzen alles tun, was wir können, um den Menschen in der Ukraine und in unserer Partnerstadt Schtschyrez in dieser existenziellen Lage zu helfen. Ich bin dem Partnerschaftsverein sehr dankbar, dass er die Initiative ergriffen hat.“ (rs)