Besinnen auf Kernkompetenz – Diakonischer Träger in Sicht?
BAUNATAL. Die insolvente Gertrudenstift Pflege gGmbH gibt ihre Phase F-Einrichtung wieder auf: Für die hochdefizitäre „Junge Pflege“ wird eine geordnete Betriebseinstellung zum 31. März 2022 vorbereitet. Der Betrieb des Altenpflegepflegeheims des Ev.-Luth. Gertrudenstift e.V. mit 99 Plätzen wird ohne Einschränkungen fortgeführt und soll saniert werden.
„Die Schließung der Phase F ist keine leichte Entscheidung und für die Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörige ein schwerer Einschnitt“, betonte der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Steffen Koch. „Die Junge Pflege kann aber unter den gegebenen Umständen nicht wirtschaftlich und vor allem auch nicht mit der erforderlichen Qualität weitergeführt werden.“
Das Insolvenzrecht kennt keine Alternative
Die Insolvenzordnung erlaubt eine Fortführung nur, solange dadurch keine Verluste zulasten der Gläubiger erwirtschaftet werden. Da die Phase F-Einrichtung nach Ende des Insolvenzgeld-Zeitraums am 31. März wieder tief in die roten Zahlen rutschen würde, ist deren Schließung insolvenzrechtlich zwingend.
Geschäftsführung und vorläufige Insolvenzverwaltung haben bereits die Bewohnerinnen und Bewohner, deren Betreuende und Angehörigen sowie die rund 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Situation unterrichtet. Auch die Heimaufsicht ist informiert. „Priorität hat für uns jetzt, die Bewohnerinnen und Bewohner bei der Suche nach einer Anschlussversorgung zu unterstützen“, so Koch. Zudem sucht der vorläufige Insolvenzverwalter gemeinsam mit der Geschäftsführung nach Wegen, um den betroffenen Mitarbeitenden alternative Angebote innerhalb des Gertrudenstifts zu unterbreiten. Auch eine Weiterbeschäftigung im Zuge der angestrebten Sanierungslösung mit einem kirchlichen Träger hält Koch für möglich.
In Nordhessen kommen dafür nur wenige kirchliche Träger infrage. Mit Abstand größter Altenheimbetreiber im Diakonischen Bereich ist die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen Hofgeismar mit 22 stationären Einrichtungen in Hessen. Aber auch das Hessische Diakoniezentrum Hephata betreibt – meist über seine Tochtergesellschaft „hsde“ – einige Pflegeheime. Kirchliche Pflegekompetenz ist in Nordhessen also durchaus vorhanden.
Kostenträger-Entgelte und Nachfrage nicht auf Junge Pflege eingestellt?
Die Betreibergesellschaft der Phase F, die „Gertrudenstift Pflege gGmbH“, befindet sich seit längerem in einer wirtschaftlich äußerst angespannten Situation. Die erst 2018 gegründete Einrichtung ist auf die Pflege und Betreuung von schwer pflegebedürftigen Menschen mit organisch bedingter Persönlichkeitsstörung spezialisiert (sog. Phase F-Patienten).
Diese Art der Pflege ist deutlich aufwändiger als Altenpflege, sehr personalintensiv und mit hohen Kosten verbunden. In den letzten Monaten war es immer wieder zu Personalengpässen gekommen. Hinzu kam eine zu geringe Belegung: Von den 30 Pflegeplätzen waren zurzeit nur noch 22 Plätze belegt. Das Rahmenkonzept zur Phase F aus dem Jahr 2021 weist einen Betreuungsschlüssel von 1:2,5 Fachkräften aus. Leistungen, die über die Zuständigkeit der Pflegekassen (SGB XI) hinausgehen müssen selbst aufgebracht oder im Rahmen der Eingliederungshilfe (SGB IX) finanziert werden. Dafür ist jeweils eine Kostenzusage des jeweiligen örtlichen Sozialhilfeträgers (Sozialamt) notwendig. In diesem Bereich hat der Staat also keine verlässliche, planbar Regelung geschaffen. Viele junge Pflegebedürftigen sind in Altenpflegeheimen untergebracht und dort fehl am Platz.
Altenpflege ist Kernkompetenz
Das Altenpflegeheim des „Ev.-Luth. Gertrudenstift e.V“ kann hingegen den Betrieb im vorläufigen Insolvenzverfahren auch weiterhin in vollem Umfang fortsetzen. „Die Altenpflege ist und bleibt die Kernkompetenz des Gertrudenstifts, und darauf wird künftig auch wieder der wesentliche Schwerpunkt liegen“, so Koch, der das Altenpflegeheim des Gertrudenstifts fortführen und sanieren will. Auch die Gläubiger haben sich ausdrücklich für eine Sanierung ausgesprochen und unterstützen den Kurs des vorläufigen Insolvenzverwalters. Alles andere hätte bei Einrichtung dieser Art auch überrascht.
Der Ev.-Luth. Gertrudenstift e. V. ist ein kirchlicher Sozialträger mit Sitz in Baunatal. Gemeinsam mit seinen Tochtergesellschaften Gertrudenstift Pflege gGmbH und Gertrudenstift Betreuung gGmbH unterhält er mehrere Pflege- und Betreuungseinrichtungen in Baunatal und Umgebung.
Betreutes Wohnen und Kindertagesstätten nach wie vor autark intakt
Unmittelbar zum insolventen Ev.-Luth. Gertrudenstift e.V. gehört eine Altenpflegeeinrichtung mit 99 Plätzen und rund 130 Beschäftigten. Die ebenfalls insolvente Tochtergesellschaft Gertrudenstift Pflege gGmbH betreibt in Baunatal das Haus Junge Pflege mit 30 Plätzen und rund 35 Beschäftigten. Die zweite Tochtergesellschaft Gertrudenstift Betreuung gGmbH ist nicht insolvent und führt ihre Geschäftstätigkeit – den Betrieb einer Einrichtung des Betreuten Wohnens in Baunatal sowie jeweils einer Kita in Baunatal und Guxhagen – wirtschaftlich autark fort. (rs | pm)
3 Kommentare
Hallo,
hier die HP des Familienunternehmens, welches den Bewohnern ihre Heimat erhalten möchte und auch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter sichern kann. https://www.ascleoncare.de Ein Unternehmen mit mehr als 800 Mitarbeitern, Kompetenz in der ambulanten sowie stationären Pflege, Intensivpflege von Kindern, Betreuung von Senioren sowohl ambulant als auch stationär. Dieses Familienunternehmen kennt sich mit Pflege aus und ist bereit, sofort in die Einrichtung zu investieren ! Wo ist das Problem ? Warum lehnt man kompetente Investoren ab und setzt lieber die jungen, behinderten Menschen auf die Straße ? Es ist uns allen unbegreiflich ! Vielleicht möchte dazu mal jemand aus der Führungsetage Stellung nehmen ! Ich habe mit dem Chef des Unternehmens Kontakt aufgenommen und Herr Jaworski steht gern für Fragen zur Verfügung.
Irgendwie hat Herr Koch ja recht, wenn er sagt, dass die Junge Pflege unter den gegebenen Umständen weder wirtschaftlich noch mit der erforderlichen Qualität weitergeführt werden kann. Er hat nur vergessen dabei zu erwähnen, dass dieses mit der jetzigen Geschäftsleitung nicht möglich ist!!! Völlig unverständlich ist mir auch, dass er nicht auf die Anfrage von einem privaten Investor reagiert, der bereits mehrere Pflegeeinrichtungen unterhält und die Junge Pflege sofort mit allen Bewohnern und Mitarbeitern übernehmen und als Junge Pflege weiterführen möchte. Somit würde keiner der j e t z t noch in der Jungen Pflege lebenden Bewohner sein „ZUHAUSE“ verlieren.
Stattdessen wird wieder nach kirchlichen Übernahmemöglichkeiten gesucht. Ich glaube, dass ich für alle Angehörigen, Betreuer, Bewohner und Mitarbeiter sagen kann: lasst die Kirche außen vor!!!
Das sieht sehr nach Gemauschel aus!!!
Ein privater Investor, hat mit Sicherheit auch ein Interesse am Gelingen des Projektes.
Diese Ziel hatte sich die jetzige Geschäftsleitung des kirchlichen Trägers S.E.L.K nicht auf ihre Fahnen geschrieben. Ganz im Gegenteil, schon Anfang 2020 (Frau Riese war da gut 2 Monate als Geschäftsleitung in Amt und Würden) sagte sie mir: wenn es Ihnen hier nicht passt, können Sie Ihren Sohn ja woanders unterbringen.
Diese Aussage hat sich wie ein roter Faden durch ihre gesamte Tätigkeit bzw Untätigkeit für die Junge Pflege gezogen. Nun hat sie ihr Ziel erreicht: 21 junge behinderte Menschen verlieren ihr Zuhause, und das unter dem Deckmäntelchen der Kirche.
Darum mein ganz klares N E I N zur Weiterführung durch die Kirche!!!
Zum Artikel möchte ich nur sagen, dass es sehr wohl einen Käufer gibt, der die Einrichtung sowie das gesamte Personal ab sofort, alternativ ab 01.04.22 übernehmen würde und den Bewohnern ihre Heimat erhalten kann und der bereits viele Einrichtungen als Familienunternehmen vorbildlich betreibt. Warum wird dazu nichts bekannt gemacht ? Es handelt sich um einen im Bereich Pflege außerordentlich kompetenten Menschen, der bereits Kontakt mit dem Insolvenzverwalter aufgenommen hat, der aber bisher außen vor gehalten wird. Man fragt sich doch, warum sollen 22 behinderte Menschen „obdachlos“ werden, obwohl es eine Lösung gibt, die diesen Menschen ihren Wohnraum und ihr Umfeld erhalten kann ? Die Lösung liegt praktisch bereits auf dem Tisch , wird aber nicht öffentlich gemacht und diese zumindest für die Bewohner und das Personal beste Lösung wird nicht ergriffen ! Warum fragt man sich doch da ??? Warum soll ein privater Investor, der bereits vielen behinderten und alten Menschen eine Heimat gegeben hat und auch weiß, wie man solche Einrichtungen wirtschaftlich führt und vor allem wie man mit Personal umgeht, warum wird der abgeschmettert ? Man fragt sich dann doch, ob vielleicht etwas gibt, was nicht nach außen dringen sollen – oder was ist der Grund für die Ablehnung ? Man muss alles tun, um den Menschen ihre Heimat zu erhalten und ich habe gerade nicht den Eindruck, dass hier alles getan wird !
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