Emotionaler Abschied von der „Kulturhauptstadt Schwalm-Eder“
GUDENSBERG. Wie verabschiedet man einen Macher, dem halbe Sachen überhaupt nicht liegen, der Baukräne definitiv mehr liebt als Yogamatten, den täglich neue Ideen an- und umtreiben, der dennoch gleichzeitig Geselligkeit pflegt, Bürgern nah ist und lieber Bier trinkt als Kräutertee, wenn die Pandemie – selbst nach ihrem Scheitelpunkt – eine klassische Abschiedsfeier nicht zulässt?
Freunde, Weggefährten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Vereinskameraden, Genossen sowie Partner in der Politik und sogar ferne Kollegen, wie der ehemalige Bürgermeister von Schönefeld (Brandenburg), Udo Haase, haben gemeinsam ein Video produziert. Nein, nein, kein gewöhnliches Video. Also weder ein Plattitüden-Sammelsurium noch eine korrekt chronologische Dokumentation der Stationen aus zwölf Jahren Bürgermeisteramt. Glaubt man den Mitarbeitenden im Rathaus, so hätte dies aufgrund des Tatendrangs von Herrn Börner ganz sicher Spielfilmlänge. Es ist vielmehr eine kurzweilige, abwechslungs- und überraschungsreiche Sammlung von lobenden, humorvollen, wertschätzenden, wohlmeinenden, staunenden, teils ehrfürchtigen und vor allem dankenden Worten. Sie alle gründen auf persönlichen Erlebnissen mit dem (noch) Amtsinhaber.
Bemerkenswertes Video und Live-Abschiedsworte
Dazu kamen live die Abschiedsworte aller Fraktionsvorsitzenden der Parteien in der Stadtverordnetenversammlung, und das sind seit dieser Amtsperiode zwei mehr als zu Beginn der Bürgermeistertätigkeit von Frank Börner. Tatsächlich haben alle, ob die ehemalige Kulturbeauftragte der Stadt Gudensberg, Monika Faupel, Amtsvorgänger und Staatssekretär Edgar Franke, Landrat Winfried Becker, die Personalratsvorsitzende Sabine lffert oder „Sangesbruder“ sowie Bank-Vorstand a.D. Reinhold Scherp Frank Börner individuell anders erlebt. Das hängt aber nur von der Art der Beziehung ab. Den Charakter des scheidenden Bürgermeisters beschreiben alle gleich. Das bedeutet, dass hier einer geht, der authentisch war, offen und zuverlässig.
Die Erinnerungen sind vielfältig. Stadtverordnetenvorsteher Jochen Noll erinnert sich beispielsweise daran, dass bei seinem Eintritt in den Männergesangverein Gleichen im Jahr 1994 Frank Börner schon da war. Kennengelernt hat man sich möglicherweise schon in den 80ern bei den Kirmesbursche in Dorla und Gleichen. Wie schwer es ist jemandem zu folgen, der so viele Ideen hat, wie alle anderen zusammen, mussten auch die Sänger erfahren. Immerhin wurden im Gesangverein ganz offensichtlich die Grundsteine für Gudensbergs Weg zur Kulturhauptstadt im Chattengau – oder wie Landrat Winfried Becker meinte des Schwalm-Eder-Kreises (unter Vorbehalt!) – gelegt.
Abenteuer Märchenbühne und Kultur
Der bekennende Kulturbanause, wie Moni Faupel ihn beschreibt, hat immerhin „aktiv zugelassen“, dass gerade die Kultur zum Markenzeichen der Stadt geworden ist. Sie hat dazu beigetragen die Stadt bekanntzumachen und nebenbei das Kennenlernen von Menschen in den Partnerstädten Schtschyrez und Jelcz Laskovice erleichtert. Mehrfach war das Abenteuer Märchenbühne am Donnerstagabend Thema. Auf eine solche Idee muss man erst einmal kommen. Sie dann mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Souveränität zu realisieren, setzt viel glaube an den Erfolg voraus. Was soll man sagen? Es hat funktioniert! Man kennt Gudensberg wegen der Märchenbühne und der Veranstaltungen dort.
Für Ingbert Radloff (SPD) sind Menschen aus verschiedenen Regionen in oder durch Gudensberg Freunde geworden. Jannik Bräutigam (CDU) schildert, dass er durch Börner in die Politik gegangen ist. Ob er nicht Kommunalpolitik machen wolle, hatte Börner einst gefragt und Bräutigams Antwort lautete: „Ja, aber nicht in Deiner Partei!“ Das zeigt, wie in Gudensberg Politik gemacht wird. Selten gegeneinander, meist am Wohle der Stadt orientiert und mit dem Ziel, so viel Menschen wie möglich mitzunehmen.
Leidenschaften: Kläranlage und Gudensberg
Auch wenn dafür jetzt zwei Parteien zusätzlich notwendig sind, hat die Stadtverordnetenversammlung schnell zu praktischem Handeln zurückgefunden. Anja Weber (FWG) steht für mehr Vielfalt In der Politik. „Was eint ist die Verbundenheit mit der Stadt. Frank Börner hat seine gesamte Persönlichkeit dafür eingesetzt.“ Mehr gibt es dazu kam zu sagen. Die Parlamentsneulinge schenken ein Anzuchtset für verschiedenfarbige Tomaten. Die Schwarzen, so Weber, seien besonders gesund wegen der vielen Antioxidantien. Dafür gab es Applaus von der CDU. Amtsvorgänger Edgar Franke äußerte im Film, „stell Dir das mit dem Ruhestand aber nicht leichter vor als Bürgermeister!“
Eine Leidenschaft von Frank Börner zog sich wie ein roter Faden durch alle Beiträge. Seine Affinität zu Kläranlagen und die Klärschlamm-Vererdung. Niemand kennt sich damit besser aus, nicht einmal die Mitarbeiter im Bauhof. Börner erkennt nicht nur jeden Kanaldeckel, sondern auch jede Schraube rund um die Kläranlage. Von den GRÜNEN gab‘s dafür auch ein Buch über die Anlage von Kompost, damit es auch im heimischen Garten nachhaltig zugeht. Letztlich gilt: „es ist alles geklärt!“
Mit hoher Schlagzahl in den Ruhestand
Die Schlagzahl war immer höher als bei allen anderen, berichtet Sabine Everett und im Mitarbeiterkreis waren die nächtlichen Ideen des Chefs, die in den Folgetagen umzusetzen waren stets gefürchtet.
Jetzt beginnt sozusagen der nächste oder vermeintlich letzte Abschnitt. Bürgerlisten-Chef Erich Müller, der sich auf stets gute Zusammenarbeit beruft, kennt sich allerdings bereits mit dem Ruhestand aus: „nur am Anfang fühlt es sich an wie Hobby!“ Michael Hohmann findet, „wir dürfen uns für den Kapitän bedanken!“ Verbindlich und verlässlich sei er stets, in der Sache konsequent und eine Kultur des Konsenses pflegend.
Tue Recht und scheue Niemand!
Bevor Börner das „Amt in die jüngeren Hände einer Frau legt“, habe er sich zu bedanken bei den Bürgerinnen und Bürgern, die ihm in zwei Direktwahlen großes Vertrauen geschenkt haben. „Tue Recht und scheue Niemand!“ Diesen Ratschlag hatte ihm ein angesehener älterer Mitbürger mit auf den Weg gegeben. Er habe versucht, ihn zu beherzigen.
„Verlässlichkeit, Kreativität, vorausschauendes Denken und wirtschaftliches Handeln war mir immer sehr wichtig. Diese Kraft lässt sich aber nur mit Rückendeckung der politisch Verantwortlichen entfalten. Dazu ist man auf einen gewissen Vertrauensvorschuss angewiesen. Ich möchte mich bei Ihnen, den Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats für das große Vertrauen bedanken, das ich seit meinem Amtsantritt verspürt habe. Schenken Sie auch unserer neuen Bürgermeisterin Ihr Vertrauen, sie wird es brauchen.“
Frank Börner: „ich melde mich hiermit ab!“
Neben der Familie, die gerne mehr von ihrem gehabt hätte, galt sein Dank den beiden Mitarbeitern, die im Rathaus am nächsten dran waren. Also Büroleiter Ralf Lengemann und Sekretärin Anita Bock, aber auch den Bürgerinnen der Stadt Gudensberg. Und schließlich blieb das Schlusswort an die Stadtverordneten als gewählte Volksvertreter: „bei Ihnen, Herr Stadtverordnetenvorsteher und meinen sehr verehrten Damen und Herren, melde ich mich hiermit ab!“ (Rainer Sander)