Gedenksteine für ehemalige jüdische Mitbürger
GENSUNGEN/SPANGENBERG. Zum Gedenken an ehemalige jüdische Mitbürger, die unter dem Terror der Nationalsozialisten zu leiden hatten, wurden in Gensungen und Spangenberg 13 Stolpersteine verlegt.
In Gensungen war es die erste Aktion. Der Künstler Günter Demnig pflasterte vor dem Haus Eppenbergstraße 7 vier Stolpersteine aus Messing für Julius und Frieda Weinstein sowie deren Söhne Max und Alfred in den Gehweg. In der Spangenberger Altstadt erinnern die neuen acht Stolpersteine an die ehemalige Familie Spangenthal sowie an Heinrich Stein und Adam Schenk.
In Felsberg wurden bisher 18 Stolpersteine verlegt, auch für die Familie Weinstein. Die Gensunger und Felsberger Weinsteins haben ihre Wurzeln in Altenburg. Der 1883 geborene Robert Weinstein aus Felsberg ist bundesweit das erste Opfer des Pogroms. Der Kaufmann und stellvertretende Stadtverordnetenvorsteher wurde am Abend des 8. November 1938 von den Nazis aus seiner Wohnung getrieben und starb auf der Straße. In dem von einem Felsberger Arzt ausgestellten Totenschein steht, es sei der Straftatbestand des Totschlags erfüllt. Am selben Abend zertrümmerten die Nazis die Inneneinrichtung der Synagoge, die jetzt saniert und wieder in den alten Zustand versetzt wird.
Während der Stolperstein-Verlegungen in Gensungen und Spangenberg schilderten Initiator Dr. Dieter Vaupel sowie Schüler aus Felsberg, Melsungen, Homberg und Spangenberg eindrucksvoll Ausgrenzung und Diskriminierung jüdischer Familien, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. „Die Erinnerung an vertriebene und verfolgte Menschen ist heute angesichts vorhandener rechtsnationaler, rassistischer und antisemitischer Übergriffe besonders wichtig“, betonte Vaupel. Und: „Stolpersteine sollen den Opfern wieder einen Namen und der Erinnerung an sie einen Ort geben. Mit den Stolpersteinen kehrten die während der NS-Zeit umgekommenen oder geflüchteten Bürger jüdischen Glaubens symbolisch in ihre Heimat zurück.“
Indem Fragen nach unserem Umgang mit dieser Epoche aufgeworfen werden, schlagen Stolpersteine nach den Worten Vaupels eine Brücke zur Gegenwart. Sie zeigten angesichts rassistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Übergriffe, wohin Hass und Intoleranz führen. Die Stolpersteine – so Vaupel – „mahnen uns alle, dass so etwas nie wieder passiert.“
„Unsere Emotionen sind tief und still“, sagte in Gensungen Laurent Weinstein namens der Familie. Man sei sehr dankbar für das Gedenken und sehr berührt „von einem bewegenden Moment“. „Wir dürfen nicht vergessen, was hier im Heimatdorf meines Vaters und Onkels alles passiert ist“, sagte Weinstein. Besonderer Dank gebühre Dieter Vaupel, dessen Arbeit als Autor von bemerkenswerter wissenschaftlicher Genauigkeit und seltener Qualität sei. Zufriedenheit gebe die Anwesenheit der vielen Schüler, „die die Erinnerungen aufrechterhalten und in die Geschichte eintauchen“.
Michelle Weinstein-Feiner sagte, Dank der Recherchen Vaupels habe sie die Existenz von Brüdern und Schwestern ihres Großvaters entdeckt und ihre Urgroßmutter kennengelernt. In bewegenden Worten beschrieb sie, wie ihre Vorfahren unter dem Nazi-Regime ihr Eigentum verkaufen mussten und man ihnen das Geld abnahm.
Steinmetz: Hass und Vertreibung hörbar entgegentreten
Es dürfe sich niemals wiederholen, dass Menschen entwürdigt, entrechtet, entmenschlicht und am Ende ermordet werden, betonte Bürgermeister Volker Steinmetz. Es sei für alle hilfreich und warnend zugleich, „dass wir mit der Stolpersteinverlegung wieder ganz nah an die Anfänge dieser fatalen Kausalkette gehen”. Auch nach über 70 Jahren Frieden und stabiler Demokratie – so Steinmetz – schleiche sich Rassismus, Rechtsextremismus und offener Antisemitismus in unsere Gesellschaft wieder ein. Mit gemeinsamem Erinnern an die dunkelsten Zeiten unserer deutschen Geschichte trete man allen Anfängen von Erniedrigung, Entwürdigung, Hass und Vertreibung entschieden und hörbar entgegen.
Die Erinnerung sei schmerzhaft, sagte Felsbergs stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Dr. Michael Schüte. Es werde allen bewusst, dass es Deutsche gewesen seien, „die Deutsche, nur weil sie einen anderen religiösen Glauben hatten, ausgrenzten und ächteten, verfolgten und schließlich grausam ermordeten”. Es müsse alles getan werden, damit sich Geschichte nicht wiederhole.
„Es ist schön, dass die Erinnerungsarbeit in Spangenberg weitergeht“, sagte Dr. Vaupel in seiner Heimstadt. Nach einer Pause von 13 Jahren würden erstmals wieder Stolpersteine verlegt. Bisher gab es 17 Steine aus 2007 und 2008. Die Stadt Spangenberg werde die Initiative weiter unterstützen, versicherte Bürgermeister Peter Tigges. Er habe alle Vorschläge und Wünsche der Initiative an die Fraktionen und seinen Nachfolger weitergeleitet. Es sei gut und wichtig, dass immer wieder daran erinnert werde, welch unfassbares Leid das Nazi-Regime den Menschen zugefügt habe. Als sehr gut gelungen wurde das Informationsschild gelobt, das Dr. Karsten Klütsch und eine Frau Dr. Marion Regenbogen an ihrem Fachwerkhaus Lange Gasse 14 angebracht haben. Vor dem Haus, das sie 1994 erworben hatten, erinnern die Stolpersteine an die ehemalige jüdische Familie Spangenthal. (pm/Manfred Schaake/nh)