„Ganz besondere“ Haushalts-Sitzung der Stadtverordneten
BAUNATAL. Als Reiner Heine am Montag um 18:15 Uhr die 3. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung eröffnete, war es der Auftakt zu einer langen, aber (fast) harmonischen Stadtverordnetenversammlung. Drei von vier Fraktionen trugen den Haushalt mit, nachdem eine Reihe von Ehrungen erfolgt und bevor Bürgermeisterin Silke Engler verabschiedet wurde.
Jahrzehntelanges Ehrenamt: Ursula Gerstung-Otoo und Hans Moulliet jetzt Ehrenbürger
„Heute steht etwas ganz Besonderes auf der Tagesordnung“, befand Reiner Heine. „Ihr habt so oft auf Eure Ehepartner verzichten müssen…“ begann der Stadtverordnetenvorsteher die Sitzung mit dem ersten Tagesordnungspunkt. Vier ehemalige Mandatsträgerinnen und Mandatsträger bekamen das Ehrenbürgerrecht beziehungsweise die Ehrenbezeichnung verliehen. Diese hatten sich über viele Jahre hinweg durch außerordentliches Engagement in den verschiedenen städtischen Gremien, also im Magistrat, der Stadtverordnetenversammlung, Kommissionen oder Ausschüssen verdient gemacht:
- Ralf Löber war 24 Jahre Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und unter anderem auch Vorsitzender des Bau- und Umweltausschusses. Herrn Löber wurde die Ehrenbezeichnung Ehrenstadtverordneter verliehen.
- Karl-Hermann Herbst war 10 Jahre Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und zuletzt 10 Jahre Mitglied des Magistrats. Herrn Herbst wurde die Ehrenbezeichnung Ehrenstadtrat verliehen.
- Ursula Gerstung-Otoo war über 30 Jahre Mitglied im Magistrat.
- Hans Moulliet war 21 Jahre Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, zuletzt 15 Jahre Mitglied des Magistrats und hat dabei unter anderem die Vertretung der Ersten Stadträtin / des Ersten Stadtrats übernommen.
Ursula Gerstung-Otoo und Hans Moulliet wurden zu Ehrenbürgern ernannt. Aus bisher 15 Ehrenbürgern der Stadt Baunatal wurden damit 17.
Mit gemischten Gefühlen in die nächsten 18 Haushalts-Monate
Im Saal saßen zumindest 3 Kandidaten, die gerne die Geschicke der Stadt Baunatal in der Zukunft leiten wollen. Sie hatten die seltene Gelegenheit, den Haushalt, der einerseits Spielräume für jedes Handeln öffnet und gleichzeitig den Rahmen dafür begrenzt. Der neue Haushalt weist für 2021 ein Defizit von 8,4 Millionen Euro aus. 2022 entsteht bei Gesamteinnahmen von über 101 Millionen Euro dann wieder ein Überschuss von 6,6 Millionen Euro.
Die Gewerbesteuer-Einnahmen schwankten in den vergangenen 20 Jahren zwischen 10 Millionen und 105 Millionen Euro jährlich. Sie waren 2020 mit 34,1 Millionen Euro kalkuliert, ein Betrag, der auch für 2022 und die Folgejahre wieder im Ansatz steht. 2021 werden nur 26 Millionen Euro erwartet, also fast genau die 8 Millionen Euro, die im laufenden Jahr als Verlust zu Buche schlagen werden. Aber auch bei der Gewerbesteuer werden 1,3 Millionen Euro weniger kalkuliert, nahezu der gleiche Betrag wird auch bei der Umsatzsteuer fehlen. Zusätzlich fallen die Schlüsselzuweisungen um 2,8 Millionen Euro niedriger aus. Auch bei sorgfältigster Planung, ist allen Beteiligten offensichtlich klar, dass der Verlauf der Corona-Pandemie noch für Überraschungen sorgen kann und auch der Konzernumbau bei Volkswagen im Hinblick auf Gewinne und Verluste schwer kalkulierbar ist.
Mit jeweils knapp 31 Millionen Euro pro Jahr, sind die Personalkosten die größten Aufwendungen im städtischen Haushalt. Die Umlagen für den Landkreis, die Schulen, Abwasserbeseitigung, Hochwasserschutz und andere, liegen bei über 32 Millionen Euro und sind durch die Stadt nicht zu beeinflussen. Etwa 10 Millionen Euro fließen in die Kindergärten. Die Rücklage wird von der Kommunalaufsicht per 31.12.2021 mit 27 Millionen Euro ausgewiesen, der gesamte Schuldenstand liegt Ende 2022 unter 14 Millionen Euro.
Christian Strube: Sozial ausgewogene Bewältigung der Corona-Pandemie
Christian Strube (SPD) verkündete auch eine Besonderheit. Er hat zum ersten Mal eine Haushaltsrede bei Sonnenschein auf der Terrasse geschrieben. Also noch nie so spät. Zum ersten Mal ist es ein Doppelhaushalt. Die letzte Haushaltsrede verhieß die Hoffnung auf bessere Bedingungen, und das noch unter dem Eindruck der Dieselkrise. Gerade erst war damals in Bayern der erste Corona-Fall bekannt.
Noch einmal gelingt der Griff in die Rücklage, so Strube, die jetzt aber sichtbar endlich ist. Jetzt geht es um Einnahmeverbesserungen und Ausgabenreduzierungen. Besonders wichtig sei beispielsweise ein Stellenabbau ohne Kündigungen. Selbst die zurückliegenden Gebührenerhöhungen hätten immer noch den Rang der niedrigsten Kindergärten-Gebühren und geringsten Grundsteuern im Kreis bewahrt. Die Gewerbesteuer ist in Baunatal die drittniedrigste im Landkreis.
Baunatal sollte Solidarität mit den Beschäftigten des Volkswagenwerkes zeigen, bekräftigte der SPD-Fraktionsvorsitzende die Verbindung zwischen Hauptsteuerzahler und Stadtgesellschaft. Diese lebt auch dadurch weiter, dass viele Aufgaben weiterhin wahrgenommen werden. 600.000 Euro für Wohnungsbaudarlehen stünden im Haushalt. Die Förderung des Vereinslebens ist ein „Pfund“. Insgesamt werden für das Prädikat Sportstadt 3,2 Millionen Euro eingesetzt. Auch bei der Feuerwehr sei jeder Euro sinnvoll angelegt. Selbst in einer äußerst schwierigen Situation gingen in der Stadt die Lichter nicht aus. Die sozial ausgewogene Bewältigung der Corona-Pandemie, der Verkehr in den Stadtteilen und die zukünftige Haushaltsplanung seien weiterhin große Herausforderungen.
Sebastian Stüssel: Besondere Zeit verlangt besondere Verantwortung
Auch Sebastian Stüssel (CDU) möchte Bürgermeister werden und findet, es sei jetzt Zeit, um gemeinsam Geschichte zu schreiben. Die besondere Zeit verlange besondere Verantwortung. Gleich mit mehreren Krisen sei die Stadt konfrontiert. Viele Baunataler hat Corona das Leben, manche die Existenz gekostet. Man kann denjenigen nur Dank sagen, die Notbetrieb ermöglicht haben. Der Haushalt erfordere aufgrund der Einschnitte in der Gewerbesteuer besondere Handlungen. „Hütet Euch vor faschen Propheten“, zitierte der Christdemokrat das Matthäus-Evangelium.
Ein ganzheitlicher Lösungsansatz sei jetzt wichtig. Die CDU habe erstmals mit der SPD und der Verwaltung frühzeitig gesprochen. Diese neue Denkweise bilde das Fundament. Dazu gehöre auch ein freiwilliges Haushaltssicherungskonzept. Dazu hätten sich alle Fraktionen bereit erklärt und damit auch zur erneuten Einsetzung eines Fraktionsübergreifenden Arbeitskreises, der jetzt aber mit einer – in seinen Augen – klareren Zielsetzung beauftragt wird. Ein erneutes Hin- und Herspringen könne sich die Verwaltung nicht leisten. So ist plötzlich auch das Rechnungsprüfungsamt nicht mehr der Eisberg, an dem der Haushalt zerschellen könnte. Jedenfalls geht es Stüssel und der CDU nunmehr darum, die Prüfungsarbeit des Kreises kritisch und mit Vorgaben zu begleiten.
Homeoffice könne auch in der Baunataler Verwaltung zukünftig die Digitalisierung weiter voranbringen und Kosten sparen. Den Bauhof könne man sich natürlich nicht im HomeOffice vorstellen. Auch das Ordnungsamt müsse präsent sein und daher sogar aufgerüstet werden. Erstmals wurde in der Geschichte der Stadt ein Stellenplan mit 22 Vermerken zum möglichen Wegfall versehen.
Er musste feststellen, dass eine Verweigerungshaltung (der Vergangenheit) nicht in politische Ergebnisse münden konnte. Jetzt stelle die CDU ihre Lösungskompetenz zur Verfügung und alle Anträge im Vorfeld wurden auch berücksichtigt. Die Menschen in Baunatal wollen ein mutiges Stadtparlament, das den Aufgaben gerecht wird. Dafür gab es Applaus auch aus den Reihen der SPD.
Henry Richter: Mit Bürgerhaushalt eine Million mehr einsparen
Henry Richter (B90/GRÜNE) war der zweite Bürgermeisterkandidat, der in die Bütt stieg. Neben den spannenden Ereignissen, wie der Kommunalwahl, warten nun eine Bundestags- und eine Bürgermeisterwahl. Er begann nicht ohne Dank an die Verwaltung der Stadt. Das Jahr 2021 sei ein solches voller Veränderungen. Er beschwor die gleichen Besonderheiten, wie seine Vorredner. Leider sei der Haushalt erst nach der Kommunalwahl eingebracht worden. Es sei auch jetzt schon schwierig, zuverlässig Ansätze zu kalkulieren. Er sehr bereits Nachtragsbedarf für 2022. Der Haushalt wäre noch besser geworden, hätte man ihn auch gemeinsam aufstellen können. Sorgfalt sei nicht zu erkennen. Bei den Investitionskrediten sieht er falsche Ansätze. Die GRÜNEN möchten pro Jahr eine weitere Million einsparen. Der Hessische Rechnungshof habe Potential von 14 Millionen ermittelt. Die Verwaltung müsse flexibler werden. Die GRÜNEN wollen einen Bürgerhaushalt, weil durch Beteiligung – wie in Darmstadt oder Wolfsburg – Vertrauen entstünde. Sinnvoll wäre eine digitale Bürgerbeteiligungsplattform. Dafür gehöre Geld in den Haushalt. Auch ein Verschieben von wichtigen Maßnahmen, wie die Sanierung der Wolfsburger Straße im Rahmen eines Straßenkatasters unter Bürgerbeteiligung. Die GRÜNEN wollen ein Interkommunales Rechnungsprüfungsamt mit der Gemeinde Schauenburg.
Dr. Rainer Oswald: Ehrlichen Dialog mit den Bürgern führen
Dr. Rainer Oswald (FDP) hält eine lange Haushaltsrede für nicht nötig. Der Doppelhaushalt schaffe Sicherheit und Spielräume. Und natürlich sei es überraschend, dass „alle“ Fraktionen zustimmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Haltung der GRÜNEN noch nicht klar. Verschärft durch Corona bringt der Hauptsteuerzahler, der sich in einer Transformation befindet, nicht so viel Geld, wie durchschnittlich gewohnt. Die Zahlen wurden äußerst präzise geplant. Einen Bürgerhaushalt sieht er nicht, aber der ehrliche Dialog mit dem Bürger müsse jetzt geführt werden, wenn beispielsweise nicht jedes Gebäude immer auf dem neuesten Stand gepflegt werden könne. Die Vereine warten jetzt auf den Sportentwicklungsplan.
Vom Paulus zum Saulus – damit wirklich alles gesagt ist…
Andreas Mock (CDU) lenkte den Blick auf die Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität, die nach Hause und an die Arbeit gehöre und die Stadt nicht überall Schaufensterprojekte umsetzen könne, wenn das Geld knapp wird.
Sebastian Stüssel (CDU) schoss sich auf die GRÜNEN ein, die in seinen Augen sinngemäß die einzigen waren, die bei den Haushaltsberatungen eigene Wege gegangen seien und dann die mangelnde Zeit beklagt hätten. Man solle auch Respekt gegenüber den Amtsträgern haben. Wenn die etwas sagen, so – mit Blick auf die Bürgermeisterin – gäbe es keinen Grund, daran zu zweifeln. Die GRÜNEN seien beispielsweise für Digitalisierung, hätten aber nicht einen Antrag dazu gestellt.
Lothar Rost (B90/GRÜNE) erklärte seine beabsichtigte Enthaltung zum Haushalt damit, dass – in seinen Augen – klimarelevante Projekt nicht zum Zuge kämen. Florian Pfeiffer (B90/GRÜNE) bedauerte, dass ein Radwegprojekt in Guntershausen nicht umgesetzt werde und hofft, dass nicht erst ein Unglück passieren muss. Edmund Borschel (B90/GRÜNE) sieht bei Sebastian Stüssel eine Wandlung vom Paulus zu Saulus. Die GRÜNEN könnten den Haushalt nicht mittragen, weil er keine GRÜNE Handschrift trägt. Inwieweit 19,5 Prozent maßgeblichen Einfluss auf die Handschrift haben, hatten die Wähler allerdings gerade erst entscheiden.
Christian Strube hatte den Fraktionen von CDU, FDP und BÜNDNIS 90/GRÜNE im Vorfeld bereits dafür gedankt, dass sie den Haushalt mittragen, zu den GRÜNEN äußerte er nun, dass alle Fraktionen gefragt worden sein, ob die Zeit reicht und die GRÜNEN hätten daraufhin 10 Anträge eingereicht, 6 wieder zurückgezogen, sich also intensiv mit dem Haushalt beschäftigt. Mathias Finis (CDU) vermisst die GRÜNEN-Anträge zu den Visionen, die sie ihrerseits vermissen.
Ein paar Änderungen inklusive
Vor der Verabschiedung des Haushaltes wurden die zahlreichen Änderungsanträge abgearbeitet. Für Bürgerdialog waren alle Stadtverordneten. Ein interkommunales Rechnungsprüfungsamt wollten nur die GRÜNEN, alle anderen nicht. Klimaneutralität wird nach den Ideen von SPD und CDU und nicht nach denen der GRÜNEN angestrebt. Einnahmen durch einen Grundstücksverkauf am Stadtpark wollten auch nur die GRÜNEN erzielen, was nicht zur Mehrheit reichte. Die Verlegung des Radweges R1 in Guntershausen wird nach Vorstellungen von SPD, CDU und FDP geprüft und nicht nach den Plänen der GRÜNEN umgesetzt. Ein freiwilliges Haushaltssicherungskonzept fand breite Mehrheit. Die Aufstockung des Ordnungsamtes zur Stadtpolizei – nach Idee der CDU fanden FDP und Teile der GRÜNEN nicht sinnvoll, alle anderen (die Mehrheit) hingegen schon. Die Prüfung der Abschaffung von Bagatellsteuern – wenn diese unwirtschaftlich sind – fand auf Vorschlag der CDU nur die GRÜNE-Fraktion nicht erstrebenswert.
Verabschiedet wurde der Haushalt, dem zukünftig wohl ein Bürgerdialog vorangehen wird, schließlich mit den Stimmen von SPD, CDU und FDP bei Gegenstimmen und Enthaltungen aus den Reihen der GRÜNEN.
Mehr Straßenbahn für Baunatal
Die CDU-Fraktion forderte den Magistrat in einem Antrag auf, in Kooperation mit NVV, KVG und HLB zwei Straßenbahnhaltestellen entlang der Linie 5 in Baunatal-Großenritte so auszubauen, damit Straßenbahnen in Doppeltraktion oder mit Anhänger eingesetzt werden können.
Die Straßenbahnlinie 5 von Baunatal nach Kassel ist in den Stoßzeiten morgens und abends, vor allem gerade zum Schulbeginn extrem ausgelastet. Spätestens ab der Haltestelle ZOB drängen sich die Menschen in übervollen Bahnen, so die Beobachtung. In Zeiten von Corona sei dies, wenn kein Lockdown besteht, auch für die Gesundheit der Fahrgäste ein erhebliches Problem. Aber auch in normalen Zeiten ist es für die Fahrgäste ein unhaltbarer Zustand, wenn sie von Baunatal bis Kassel über eine halbe Stunde stehen müssen. Die Lösung wäre entweder Anhänger anzukoppeln oder eine zweite Bahn in Doppeltraktion fahren zu lassen. Dies wäre aber nur dann möglich, wenn zwei Haltstellen an der Linie 5 in Baunatal verlängert werden. Dem konnte sich die Mehrheit der Stadtverordneten anschließen.
Andreas Mock (CDU) äußerte zusätzlich als Begründung, dass an übermäßig vollen Bahnen keine Verkehrswende scheitern könne. Die KVG hält die Lösung für technisch nicht umsetzbar aufgrund der Signaltaktung, bietet aber eine Fahrplanverdichtung an. Eine Regiotram zum VW-Werk ist eine weitere Lösung, so Mock
Es ist eine interfraktionelle Sitzung angedacht mit KVG und NVV. Die KVG wird aufgefordert, Möglichkeiten der Fahrplanverdichtung zu beschreiben. (Rainer Sander)
Den Artikel über die Verabschiedung von Silke Engler finden Sie HIER
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