KASSEL. Die Corona-Pandemie hat das Verhalten der Menschen verändert, nicht nur ihr soziales Miteinander oder Freizeitverhalten, sondern auch die Einstellung zu Umwelt, Lebensmittelerzeugung und Ernährung.
So gewannen laut einer aktuellen Befragung durch das Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen während der Pandemie Aspekte wie Regionalität, Arbeitsbedingungen bei der Herstellung, Tier-, Natur- und Artenschutz sowie die Frage, wie gesund ein Lebensmittel ist, für die Konsumenten an Bedeutung.
Dieser Wandel kam auch direktvermarktenden Landwirtschafts- und Gartenbaubetrieben zu Gute. „Hofläden, Marktstände und – allen voran – Lebensmittelautomaten (z.B. Milchautomaten) erleben seit einem guten Jahr einen regelrechten Nachfrageboom. Zahlen aus Hessen liegen uns leider nicht vor, aber die große Nachfrage nach Beratungen zum Thema‚Einstieg in die Direktvermarktung‘ unterstreicht unsere Beobachtungen“, erläutert Sigrun Krauch, Leiterin des Fachgebiets „Erwerbskombinationen“ beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH).
Die Gründe, beim nahegelegenen Bauernhof einzukaufen, sind vielschichtig. „Es gibt noch keine Erhebungen, doch wir können davon ausgehen, dass seit Pandemiebeginn die Kontaktreduzierung, ein verändertes Gesundheitsbewusstsein, in manchen Fällen aber auch der pandemiebedingte Zeitgewinn oder schlicht der Wegfall des AußerHaus-Verzehrs den Boom in der Direktvermarktung fördern. Viele Menschen verbringen mehr Zeit in der Natur, in der unmittelbaren Umgebung und ‚entdecken‘ landwirtschaftliche Betriebe direkt vor ihrer Haustür“, führt Krauch, die landwirtschaftliche und gartenbauliche Betriebe berät, weiter aus.
Und dieser Trend hat positive, klimaschonende Nebeneffekte: „Wer sich regional und vor allem saisonal ernährt, spart Treibhausgase“, unterstreicht Elisa Möbs, ebenfalls Beraterin beim LLH-Team Erwerbskombinationen. Transportwege reduzieren sich und auch die Anfahrt der Kundschaft ist oft kürzer. Laut dem Verbraucherzentrale Bundesverband liegen beispielsweise allein die transportbedingten Treibhausgasemissionen pro Kilogramm peruanischen Spargels bei 30.000 Gramm, der saisonale Spargel aus der Region kommt im Vergleich auf nur 19 Gramm. Zudem fällt beim Einkauf beim Direktvermarkter in der Regel weniger Verpackungsmaterial an, was ebenfalls die Umwelt schont. Eine Studie des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖLN) zur Bedeutung und Entwicklung der Direktvermarktung, die Anfang 2020 – also vor der Corona-Pandemie – abgeschlossen wurde, ermittelte weitere Motive für den direkten Kauf: So führten die befragten Konsumenten und Konsumentinnen neben Umweltaspekten folgende Beweggründe an:
• die Transparenz in der Erzeugung,
• die Unterstützung der regionalen Landwirtschaft,
• mehr Tierwohl,
• den sozialen Austausch,
• den besseren Geschmack sowie die Frische der Produkte.
Doch wie nachhaltig ist der aktuelle Boom in der Direktvermarktung? Beraterin Möbs geht davon aus, dass der Corona-Boom wieder abebbt, da eine (Rück-)Verschiebung der Prioritäten hin zu Urlaub, Fitness, Shopping, Restaurantbesuchen usw. eintreten wird. Dennoch sieht die Expertin auch langfristig einen Trend hin zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit in der Ernährung. Dies unterstreicht auch die BÖLN-Studie: Obwohl zwischen 2010 und 2016 der Anteil direktvermarktender Betriebe in Deutschland abgenommen hat, prognostiziert die Analyse eine deutliche Zunahme von Hofläden, Straßenständen & Co. Der Studie zufolge würden 47 Prozent der befragten konventionellen Betriebe die Direktvermarktung ausbauen wollen, bei den Bio-Höfen sind es sogar 70 Prozent. Möbs rät interessierten Betrieben, die Entscheidung gut zu überlegen: „Der Einstieg in die Direktvermarktung ist mit hohen Kosten verbunden. Sollte der Corona-Boom nicht nachhaltig sein, müssen die Kredite trotzdem getilgt werden.“ Für verkehrsgünstig gelegene Betriebe hingegen sieht die Beraterin langfristiges Potenzial. Unternehmen, die bereits in der Direktvermarktung aktiv sind, empfiehlt sie, neue Vermarktungswege einzuschlagen, Nischen zu besetzen oder die Produktpalette zu erweitern. Dies könne beispielsweise durch das Angebot von Convenience-Produkten, wie eine vorgekochte Hühnersuppe im Glas oder Fleischgerichte, aber auch durch den Zukauf von Produkten anderer lokaler Produzenten geschehen. Einen Lieferservice anzubieten oder in den Online-Handel einzusteigen, seien ebenfalls Alternativen. „Möglichkeiten gibt es viele, der LLH berät interessierte Betriebe gern“, schließt Möbs. (pm)
Auf der Website des LLH finden Sie eine Auflistung der direktvermarktenden Betriebe in Hessen. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
https://llh.hessen.de/unternehmen/erwerbskombinationen/direktvermarktung/neue-uebersichtskarte-regionale-einkaufsfuehrer-in-hessen/
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