TREYSA. Mehr denn je geht es während der pandemiebedingten Schulschließungen darum, dass Kinder und Jugendliche nicht den Anschluss verlieren – und das gilt in vielerlei Hinsicht.
Wie es den Hephata-Förderschulen auch ohne Präsenzunterricht gelingt, dass niemand abgehängt wird, hat die Landtagsabgeordnete Claudia Ravensburg (CDU) bei einem „digitalen Unterrichtsbesuch“ erlebt. Ihr Fazit: „Ich bin beeindruckt, wie gut das digitale Lernen hier klappt.“
Die Tafel im digitalen Unterrichtsraum zeigt den heutigen Tagesplan an. Wer hier einen klassischen Stundenplan mit einer Aufteilung nach Unterrichtsfächern erwartet, wird überrascht. „Unser Unterrichtsfach heißt Schule“, erklärt Lehrer Sascha Gömpel der Besucherin. Fünf Schüler und eine Schülerin sind per Webcam zugeschaltet – für sie ist diese Art des Unterrichts Routine, für die Landtagsabgeordnete Claudia Ravensburg ein spannender Einblick in die schulische Praxis.
Nacheinander fragt Gömpel die Schüler und die Schülerin ab, ob sich an ihrem schon in der Vorwoche für heute formulierten Tagesziel noch etwas geändert hat. Ob im Distanz- oder im Präsenzunterricht: Die Schüler selber bestimmen die Themen und Aufgaben, denen sie sich widmen. Für Julien zum Beispiel geht es heute ums Feuerverzinken, seine Mitschüler beschäftigen sich etwa mit Elektrohandschweißen, Arbeitsschutz oder „Trennen durch Sägen“.
Die Einführungsphase in den heutigen Berufsschulunterricht für die angehenden Metallbauer dauert nur eine knappe halbe Stunde. Gemeinsam legen Schüler und Lehrer fest, welche Hilfsmittel sie für ihre Arbeit einsetzen werden und wer von den Klassenkameraden bei eventuellen Nachfragen als Experte zur Verfügung steht. Julien hat sich entschieden, sein schulisches iPad für Recherchen zu nutzen. Ergebnisse will er mit Stift und Papier festhalten, außerdem braucht er das Tabellenbuch. „Als Lernort bleibt aktuell ja weiter nur der digitale Raum“, sagt Lehrer Gömpel. Dort trifft sich die Klasse dann drei Stunden später erneut, um gemeinsam zu schauen, welche Lernziele bereits erreicht sind. „Wenn ihr zwischendurch Fragen habt oder einen Input zu einem bestimmten Thema braucht, wisst ihr, wie ihr mich erreichen könnt“, sagt Gömpel.
Während die Schüler mit ihrer Lernarbeit beginnen, geht Gömpel zusammen mit Rolf Muster, Leiter der Hephata-Förderschulen, auf die Fragen der Landtagsabgeordneten Claudia Ravensburg ein. „Klar ist es schade, dass wir aktuell nicht miteinander im Klassenzimmer zusammen sein können und damit auch die Vielfalt der Lernorte mit den Werkstätten oder auch unseren Möglichkeiten im Außenbereich wegfällt“, erklärt Gömpel. Inhaltlich indes stellt die pandemiebedingte Schulschließung für seinen Unterricht kein Problem dar. „Im Prinzip sind wir überhaupt nicht beeinträchtigt durch den Wegfall des Präsenzunterrichts, weil wir mit der Digitalisierung in unseren Schulen sehr früh begonnen haben“, sagt er selbstbewusst. Gerade in der Kombination mit dem Konzept des selbstbestimmten Lernens hält Gömpel den Einsatz digitaler Medien für ein Erfolgsrezept: „Seit der Einführung im Jahr 2015 ist bei uns im Ausbildungsbereich Metall kein einziger Schüler durch die Abschlussprüfung gefallen.“
Dass die Ausstattung mit digitalen Endgeräten dabei nur die halbe Miete ist, wird im Verlauf des Gesprächs deutlich. „Technisch entscheidend ist, dass und wie die Geräte konfiguriert und an eine Lernplattform angeschlossen werden“, berichtet Gömpel. Über die Lernplattform findet die Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern statt und sind auch Lerninhalte zentral abrufbar. „Die Schüler können dort Texte lesen, sich vorlesen lassen oder auch Erklärvideos anschauen, die wir Lehrer produziert haben“, erklärt Gömpel. Mitunter sind auch Schüler selber Produzenten solcher Erklärvideos. „Und die sind manchmal besser als die Videos von uns Lehrern“, sagt Gömpel augenzwinkernd.
Die Kompetenz der Lehrer an den Hephata-Förderschulen wiederum ist auch an anderen Schulen im Umfeld gefragt. „Unser Medienbildungsteam berät aktuell zwei Gymnasien bei der Einführung digitaler Medien sowie bei der Entwicklung eines Medienbildungskonzeptes“, berichtet Muster. Außerdem sind eine bereits akkreditierte Lehrerfortbildung zur Nutzung von digitalen Medien im Unterricht sowie verschiedene Workshops für Lehrerinnen und Lehrer abrufbereit. „Anfangs gab es da Vorbehalte seitens anderer Schulen und ihrer Träger, die sich gefragt haben, warum gerade wir als private Förderschule hier eine besondere Kompetenz haben sollen“, berichtet Muster. Mittlerweile wird die Unterstützung aus dem Medienbildungsteam der Hephata-Förderschulen indes stark nachgefragt. Muster: „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die digitalen Kompetenzen, die wir in den vergangenen Jahren erlangt haben, weiterzugeben.“
„Mein großes Kompliment dafür, dass Sie in Sachen digitale Schule so weit vorne dabei sind“, drückt Claudia Ravensburg ihre Wertschätzung in Worte aus. Dass die Förderschulen es in ihrer öffentlichen Wahrnehmung nicht immer einfach haben, ist der Landtagsabgeordneten bewusst. „Meine Position zum Thema Förderschulen ist klar: Wir brauchen schulische Inklusion, wir brauchen aber auch ein gutes Förderschulwesen“, betont Ravensburg und ergänzt: „Die Expertise der Förderschulen ist unverzichtbar und gerade im digitalen Unterricht geht es um die Chancen für alle Kinder, dabei zu bleiben und nicht abgehängt zu werden.“ Dass die Hephata Diakonie sich aus langer Tradition heraus und gleichzeitig mit modernen pädagogischen Konzepten auch als Schulträgerin engagiert, weiß Ravensburg zu schätzen: „Wir wissen, dass die Ersatzschulen eine sehr gute Arbeit leisten – deshalb waren und sind wir für Bildungsvielfalt auch im Sinne einer Vielfalt der Träger. Ein gutes Miteinander und Nebeneinander von staatlichen Schulen und privaten Ersatzschulen ist mir wichtig.“
Hintergrund: Hephata-Förderschule
Die Hephata-Förderschule ist eine private, staatlich anerkannte Schule für Kinder und Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen keine Regelschule besuchen können. Die Schulaufsicht liegt beim Schulamt in Fritzlar, die finanzielle Förderung durch das Land wird durch das Ersatzschulfinanzierungsgesetz geregelt. Die Schule in Schwalmstadt-Treysa hat drei Standorte mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten: Die Friedrich-Trost-Schule ist eine Berufsschule mit 176 Schülerinnen. Die Hermann-Schuchard-Schule besuchen 106 Schüler mit Behinderungen. Die Ludwig-Braun-Schule ist eine Schule für 167 Mädchen und Jungen mit Lernschwierigkeiten, sozialen oder emotionalen Problemen. Etwa die Hälfte dieser jungen Menschen wird in Kooperation an Regelschulen beschult. Außerdem ist die Förderschule auch Beratungs- und Förderzentrum für Schüler und Lehrer an Regelschulen. (pm)
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