Baunataler Stadtverordnetenvorsteher zum Jahresstart 2021
BAUNATAL. Der Stadt Baunatal stehen angesichts drastischer wirtschaftlicher und sozialer Folgen der Corona-Pandemie vermutlich vor großen Herausforderungen. Der nh24-Redakteur Rainer Sander hat mit dem Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung, Henry Richter gesprochen. Herr Richter hat die Fragen überwiegend schriftlich beantwortet.
nh24: Baunatal wird sparen müssen. Welche Rolle kann das Stadtparlament spielen?
Henry Richter: Eine entscheidende: Es beschließt den städtischen Haushalt. Voraussetzung ist aber dessen Einbringung, was nach der HGO bereits im letzten Jahr hätte geschehen müssen. Die Pandemie ermöglicht, davon abzuweichen. Die FDP hat das mit einem Antrag verhindern wollen, der Leiter des RPA, Herr Jungermann, hatte sogar einen Doppelhaushalt vorgeschlagen. Die Mehrheitsfraktion hatte sich durchgesetzt und die Verwaltung beabsichtigt den Haushalt erst nach der Kommunalwahl einzubringen. Der Ältestenrat hat in seiner jüngsten Videokonferenz am 19.01.2021 erneut eine Empfehlung für die Verwaltung ausgesprochen, den Haushalt noch vor der Kommunalwahl einzubringen.
Insgesamt halte ich solche wahltaktischen Manöver für falsch. Alle Bürger haben – gerade in Krisenzeiten – das Recht alles über die Finanz-Situation unserer Stadt zu erfahren, wie in anderen Kommunen und dem Landkreis auch. Dann könnten auch Vorschläge zum Sparen eingebracht werden.
Im Arbeitskreis Haushaltskonsolidierung wurden gute Vorschläge erarbeitet, aber diese wurden leider nie abgestimmt. Darüber hinaus war es nach meiner Einschätzung, ein riesiger Fehler, dass Rechnungsprüfungsamt gerade jetzt in dieser schwierigen finanziellen Situation in der sich die Stadt befindet, abzuschaffen. Um über Einsparungen zu entscheiden, sollten dem Parlament alle Zahlen vorgelegt werden. Bereits im August habe ich einen Fragenkatalog an die Verwaltung übermittelt, der bis heute nicht beantwortet wurde.
Nach meiner Beurteilung wäre es jetzt an der Zeit, alle politischen und persönlichen Schranken zur Seite zu stellen, und gemeinsam diese schwierige Situation zum Wohle der Stadt Baunatal zu lösen. Das funktioniert aber nur mit Kompromissbereitschaft, Akzeptanz und Kreativität unter Einbindung aller beteiligten Gremien.
nh24: Wenn Baunatal 2021 in den Krisenmodus umschaltet, was passiert dann?
Henry Richter: Wenn Parlament und Verwaltung keinen gemeinsamen Weg gehen, könnte im schlimmsten Fall eine Haushaltssperre verhängt werden, ein einstweiliges Verbot, alle oder bestimmte im Haushaltsplan vorgesehene Ausgaben zu tätigen. Also massive Einschnitte für die Bürger*innen, das Stadtleben, die Stadtentwicklung und die Verwaltung. Mein Appell an alle Fraktionen und die Verwaltungsspitze: sich trotz Wahlkampf gemeinsam um die Stadt kümmern!
nh24: Wie schwer ist es inzwischen geworden, als Stadtverordnetenvorsteher Entscheidungsprozesse zu moderieren?
Henry Richter: Diese Frage bringt mich zum Schmunzeln. Ja, es könnte vieles leichter sein. Das Amt des Stadtverordnetenvorstehers liegt mir sehr am Herzen. Es war ein besonderer Augenblick in meinem Leben, der vieles verändert hat. Ich nehme die Verantwortung sehr ernst und versuche diesem Amt gerecht zu werden.
Ob es so ist, können die Baunataler*innen bei der Kommunalwahl zeigen. Bei uns Polizeibeamten gilt der Passus, „Volle Hingabe zum Beruf!“ und so lebe und führe dieses Amt aus. Ich versuche alles um „das Beste“ für unsere Stadt zu erreichen, und deshalb ist auch manchmal schwierig, Entscheidungsprozesse, so zu moderieren, dass alle zufrieden sind.
Meine Vorgänger aus der Mehrheitsfraktion konnten auf Informationen zurückgreifen, die in der SPD-Fraktion beraten wurden. Alle Themen der Verwaltung wurden dort vorgestellt und beschlossen. Die gesamte Verwaltungsspitze nahm geschlossen an den Sitzungen der SPD-Fraktion teil. Ein bestand ständiger Wissensvorsprung und Entscheidungsprozesse fanden auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Vorfeld statt.
Leider findet seit einiger Zeit kein Austausch zwischen der Verwaltungsspitze und mir mehr statt. Anfragen meinerseits werden einfach nicht oder Wochen später beantwortet, dass macht das gesamte Verfahren sehr schwierig und kompliziert. Teilweise wird sich nicht an die Vorgaben unserer Geschäftsordnung gehalten, oder diese werden mit juristischen Spielchen umgangen. Ich möchte nicht behaupten, dass ich fehlerfrei bin. Im Gegenteil, mit Sicherheit hätte ich im Nachhinein einige Entscheidungen anders fällen können.
Aber am wichtigsten sind mir nach wie vor demokratische Prozesse und Entscheidungen, damit meine ich, die Einbindung der jeweiligen zuständigen Gremien, eine Neutralität der Verwaltung, eine freie Meinungsäußerung, welche nicht auf persönlicher Ebene ausgetragen werden sollte. Wenn man diese hohen Anforderungen an sich und andere stellt, ist es nicht leicht.
nh24: Wie sehen Sie ihre Rolle im Parlament?
Henry Richter: Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Stadtverordnetenversammlung. Mir liegt eine gerechte und ehrliche Politik für alle sehr am Herzen. Daher kann ich bei unsachlichen oder falschen Entscheidungen auch streitbar sein, wie beim Abhängen der Basketballkörbe beim KSV oder die geplante Schließung des Sportbades. Hier hätten gute Kompromisse gefunden werden können. Ich bemühe mich immer um eine neutrale, offene und transparente Rolle gegenüber allen Fraktionen. Die Fraktionen bekommen gleichermaßen alle Informationen von mir. Herr Stüssel, Vorsitzender der CDU-Fraktion, bestätigte neulich, so viele Informationen, E-Mails und transparente Entscheidungen noch nie von einem Vorsteher erhalten zu haben. Dieses Feedback deckt sich mit Aussagen aus allen Oppositionsparteien. Es zeigt mir, dass mit Transparenz und Kompromissbereitschaft einiges erreicht werden kann. Dieses Vorgehen ist für mich der richtige Weg bei der Ausübung dieses Amtes.
nh24: Sie sind Teil der Opposition. Macht es das schwerer?
Henry Richter: Ich denke, dass es mir dadurch schwerer gemacht wird. Vielleicht auch, weil ich aus der SPD ausgetreten bin und nicht immer die Meinung unserer Bürgermeisterin teile. Mittlerweile finden regelmäßige Gespräche, ein konstruktiver Austausch und gemeinsame Sitzungen mit allen Fraktionen der Opposition statt. Durch meine politische Unabhängigkeit wird mir großes Vertrauen entgegengebracht. Gern wäre ich auch mit der SPD-Fraktion in einen ehrlichen und offenen Diskurs gegangen. Trotz meiner Angebote und Zusagen von der SPD-Fraktionsspitze, erfolgte keine Einladung, was ich sehr bedauerlich finde..
nh24: Die Kommunalwahl platzt mitten in den Beginn der Haushaltssanierung. Wie wird das Thema nach ihrer Einschätzung die Wahl beeinflussen?
Henry Richter: Wenn alle „Karten“ jetzt auf dem Tisch lägen, könnte dies die Kommunalwahl beeinflussen. Mit Sicherheit muss man mit Einschnitten auf kommunaler Ebene rechnen. Vielleicht können bestimmte Projekte nicht mehr verfolgt oder umgesetzt werden. Vielleicht kommt es zu weiteren Steuer- und Gebührenerhöhungen, vielleicht müssen DGH oder andere städtische Immobilien verkauft werden, ich weiß es nicht. Aber es wäre besser der Baunataler Bevölkerung, jetzt reinen Wein einzuschenken und nicht nach der Wahl.
nh24: Wenn Sie die Pandemie resümieren – was bleibt an negativen und was an positiven Erkenntnissen?
Henry Richter: Leider ist die Pandemie noch nicht vorbei. Ich denke, sie wird uns noch dieses Jahr begleiten und weiter einschränken. Steigende Infektionen und Todesfälle beunruhigen mich sehr. Aus meinem Bekanntenkreis höre ich teilweise traurige und schlimme Verläufe. Wer Corona verleugnet, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Betroffen macht mich, dass viele Gewerbetreibende und Kleinunternehmen mittlerweile um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen, der Vereinssport und die Arbeit der Vereine darunter leiden, Präsenzunterricht an Schulen und Betreuung in den Kitas auf ein Mindestmaß beschränkt sind.
Hat die Krise etwas Positives bewirkt? Ja, ich denke schon. Solidarität und Zusammenhalt innerhalb der Bevölkerung sind gewachsen. Man hat gemeinsam Ideen ausgetauscht, etwas Neues entwickelt, kann gemeinsam schnell zu guten Ergebnissen und Entscheidungen. Kreative Lösungen, welche durch die Klein- und mittelständischen Unternehmen, Jungunternehmern und im Gaststättengewerbe gefunden wurden, um der Krise zu widerstehen, dass macht mir Mut und bringt Zuversicht. Die Digitalisierung im beruflichen und privaten ist so schnell gewachsen, wie in den vergangenen 5 – 10 Jahren nicht. Auffällig ist auch, dass täglich immer mehr Menschen unsere Heimat für sich neu entdecken und die Schönheit unserer Natur bewusster wahrnehmen. Diese Eindrücke finden sich oft als Fotos in den sozialen Medien wieder. (pm | rs)
nh24: Vielen Dank für das Gespräch!