FELSBERG|KASSEL|GUDENSBERG. Der kranke Robert Weinstein wird ohne Rücksicht auf seinen Zustand von Nazihorden aus seinem Haus auf die Straße gezerrt. Er fasst sich an seine Brust, bricht zusammen und stirbt im Rinnstein vor dem Gebäude der jüdischen Schule.
Das ist die erste Szene eines nicht ganz alltäglichen Filmprojektes, das der Gudensberger Autor Dr. Dieter Vaupel (Universität Kassel), gemeinsam mit dem Offenen Kanal in der vergangenen Woche vor Ort in Felsberg realisierte. Unterstützt wurde er dabei von den zwei jungen Darstellern Alida Scheibli (Herderschule Kassel) und Melchior Jacob (Geschwister-Scholl-Schule Melsungen) sowie durch Gerd Schaub (Schauenburg) in der Rolle von Weinstein und Christina Ecknigk (Kassel) als Jüdin Ida Dannenberg.
Filmisch aufgearbeitet wird dabei, auf der Grundlage des Buches von Vaupel über jüdisches Leben in Felsberg („Etwas Schaden ist wohl bei den meisten Juden eingetreten“), besonders das, was in Felsberg während des Novemberpogroms 1938 passierte: SA-Leute und Hitlerjugend drangen in Häuser ein, brachen Türen auf, schmissen Fensterscheiben ein, zerschlugen Mobiliar und misshandelten die noch im Ort lebenden 18 Bürger jüdischen Glaubens. Die meisten der ehemals über 100 Juden, die 1933 in Felsberg wohnten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits nach vielen antijüdischen Maßnahmen in die Anonymität der Großstädte oder nach Übersee geflüchtet. Nach all dem, was dann am 8. November 1938 in Felsberg, einen Tag früher als im übrigen Deutschen Reich, stattfand, verließen auch die letzten Juden am nächsten Morgen fluchtartig die Stadt.
Weite Passagen dessen, was während des Pogroms und am Tag danach passierte werden aus dem Blickwinkel von Ida Dannenberg erzählt bzw. verfilmt, in deren Haus die Felsberger Juden über Nacht eingesperrt worden waren. Am Gensunger Bahnhof nimmt Ida Dannenberg mit ihrer Tochter und ihren kleinen Enkelkindern Abschied von dem Ort, der viele Jahre ihre Heimat war, während der Sarg des toten Robert Weinstein auf dem Weg zum Bahnhof von Schulkindern mit Steinen beworfen wird.
Der Film, der auf Anregung von Evevlyn Valtink von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kassel entstand, spannt den Bogen von den ersten Spuren jüdischen Lebens in Felsberg über die Ereigniss während der NS-Zeit bis in unsere heutigen Tage, in denen Stolpersteine zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Bürger verlegt werden und eine jüdische Gemeinde wieder neu entstanden ist. Er kombiniert gespielte Sequenzen mit dokumentarischen, in denen Vaupel durch den Film und durch die historischen Stätten jüdischen Lebens in Felsberg führt. Zu Wort kommt auch Christopher Willing von der jüdischen jüdischen Gemeinde Felsberg, der über neues Leben in der alten Synagoge berichtet.
Warum es ihnen wichtig ist, sich heute mit der Thematk zu befassen, machen Alida Scheibli und Melchior Jacob am Ende des Filmes deutlich, als sie zwei weiße Rosen auf den Stolpersteinen vor dem Hause Dannenberg niederlegen: „Jeder aus Felsberg vertriebene jüdische Bürger ist für uns heute eine Mahnung, für Menschlichkeit einzutreten und nicht zu schweigen oder wegzuschauen, wenn jemand angegriffen, gedemütigt oder in seiner Würde verletzt wird. Das Beispiel Felsberg zeigt uns, wohin Intoleranz und Hass führen können.“ Und Drehbuchautor Vaupel stellt fest: „Heute engagieren sich junge Menschen, im gleichen Alter wie diejenigen, die damals jüdisches Mobiliar zerschlugen und den Sarg von Robert Weinstein mit Steinen bewarfen, für die Verlegung von Stolpersteinen, um an das zu erinnern, was die Felsberger Juden hier erleiden mussten. Das macht Hoffnung!“
Der Film wird in Kürze im Offenen Kanal Kassel zu sehen sein. Ein genauer Sendetermin steht noch nicht fest. (pm)
Das Bild: Melchior Jacob und Alida Scheibli in einer Szene vor der ehemaligen jüdischen Schule in der Felsberger Untergasse. Hinter der Kamera Jörg Ruckel vom Offenen Kanal Kassel.
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