TREYSA. Parallel zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am Buß- und Bettag vor dem Mahnmal neben der Kirche veranstaltete die Hephata-Akademie einen Online-Seminartag zum Thema Ausgrenzung.
„Es gibt offenbar viele Formen von Ausgrenzung gestern und heute, die sich gegen eine durch Pluralismus und Vielfalt geprägte gesellschaftliche Ordnung richten“, sagt Dr. Jochen Führer von der Hephata-Akademie.
Pädagogische Fachkräfte sind im Alltag immer wieder mit rassistischen Einstellungen und diskriminierendem Verhalten konfrontiert. Dies wurde auch in der Online-Veranstaltung „Warum Integration zu mehr Konflikten führt“ von Dozentin Lisa Franz deutlich, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Aladin El-Mafaalani (2018) – ein Seminarbericht. „Unser Ziel ist es, zu verstehen, warum Migration dauerhaft ein Thema bleiben wird und warum durch mehr Integration auch die gesellschaftlichen Konflikte zunehmen werden“, sagt Lisa Franz zu Beginn. Was erst einmal abstrakt klingt, bekommt im Laufe des Tages immer mehr Konturen – Erfahrungen aller Teilnehmenden fließen ein. Unter ihnen sind Ergotherapeut*innen, Krankengymnast*innen, Erzieher*innen, Heilerziehungspfleger*innen – die ganze Palette sozialer Berufe ist in diesem berufsbegleitenden Studiengang der Heilpädagogik vertreten.
Integration könne wie Bergsteigen sein, sagt Lisa Franz. Die Seminarleiterin zeigt drei Verhaltensmuster auf, wenn der Weg zum Ziel beschwerlich wird: Auf halber Strecke umkehren, denn der Blick ins Tal ist zu verlockend, auf dem anstrengenden Weg langsam voranschreiten oder sich der Herausforderung durch Freude am Bergsteigen stellen – der Gedanke an eine Umkehr ist absurd.
Die 16 Teilnehmenden brauchen nicht lange, um darüber nachzudenken: „Es gibt einen Großteil in unserer Gesellschaft, der darauf schaut, wie es früher war und sich nach der guten alten Zeit zurückseht“, kommen sie schnell überein. Dann teilt Dozentin Lisa Franz die Teilnehmenden in drei Kleingruppen auf und gibt 20 Minuten Zeit zum Diskutieren. „Leben wir in einer offenen oder geschlossenen Gesellschaft?“, lautet die Frage, zu der die Studierenden Beispiele aus ihrem Arbeitsleben schildern sollen.
„Allein, dass wir einen sozialen Beruf ausüben, spricht schon für innere Offenheit, Verständnis und Empathie“, sagte Mandy Schumacher, die in einem integrativen Kindergarten arbeitet. „Sich mit einer Gruppe behinderter Menschen in der Öffentlichkeit zu bewegen, ist oft eine Herausforderung“, sagt Bastian Wierzock mit seiner Erfahrung aus der Behindertenhilfe: Etwa wenn sich ein Klient reflexartig mit der Hand ins Gesicht schlägt – die verwunderten Blicke der Passanten auszuhalten, sei oft nicht leicht. „Ich sehe mich oft als Vermittler zwischen Menschen anderer Kulturen und habe aber überhaupt kein Problem damit“, sagt Sven Christ, der neben seinem Studium bei Hephata als Ergotherapeut mit Patienten aus unterschiedlichen Kulturen arbeitet. „Mein Gefühl ist, dass sich die Menschen wieder mehr auf sich und ihre Religion konzentrieren“, sagt Gülüzar Tengic-Müller. Auch die Einschränkungen durch Covid-19 führten zu mehr Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft. „Da hilft innere Stärke, sich für eine offene Gesellschaft einzusetzen.“
Für die Heilpädagogik-Klasse im dritten Semester ist es das erste Online-Seminar mit einem interaktiven Whiteboard – wie auf einer Tafel in der Akademie werden die Inhalte sofort für alle auf dem Bildschirm sichtbar notiert. „Ihr seid spitze“, wird Seminarleiterin Franz nicht müde zu sagen – alle machen mit und die Technik funktioniert.
Der ständige Blick auf den Bildschirm, dabei nachdenken und diskutieren – dies zehrt jedoch auch. „Ihr wisst ja, Videokonferenzen sind auch anstrengend“, spricht Lisa Franz aus, was alle denken. Schulter kreisen, Arme strecken, Kopf bewegen – sie hat ein paar gymnastische Übungen parat und alle machen mit.
Danach geht es weiter mit der Arbeit in Gruppen, immer wieder treffen sich die Teilnehmenden an diesem Tag virtuell auf dem Bildschirm und teilen sich danach wieder auf. Zwischendurch halten sie für eine Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus inne.
Das von Zuhause vor dem Bildschirm zentrierte Arbeiten ist effizient – Lisa Franz freut sich, dass die Gruppe schneller ist, als der Zeitplan vorsieht. Nach sechseinhalb Stunden setzt sie zum Abschluss einen so genannten Mentimeter ein – jeder schreibt drei Schlagwörter auf, was er von dem Seminar mitnimmt. Sofort erscheint der am häufigsten genannte Begriff in großen Lettern auf dem Bildschirm: „Integration“.
Das Seminar von Lisa Franz war einer von neun ganztägigen Online-Workshops am Buß- und Bettag: Neben den Themen Antijudaismus (Martin Sander-Gaiser) und Nationalsozialismus in der Schwalm (Jochen Führer) ging es in den Online-Seminaren um die Frage, ob Musik Menschen verbinden kann (Uwe Stein) sowie um die Ausreise jüdischer Kinder aus dem Deutschen Reich (Refugee Children´s Movement, Kindertransporte) mit Stephen Corsham. „Das Fremde in mir, das Fremde in dir: Grenzen und Identität“ (Verena Franke), „Nacht und Nebel“ (Philippe-Guy Crosnier de Bellaistre), Vorurteile und Diskriminierung (Dorothea Böcher-Burkart) und das Konzept „betzavta“ (Susanne Salin).
„Im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten ergab sich eine sehr intensive Arbeit in den einzelnen Workshops“, so die positive Bilanz von Jochen Führer. Umrahmt wurde der Workshop-Tag von der Ausstellung „Lebenslinien – gerettete Kinder aus der Schwalm“ in der Hephata Akademie, die an 80 Jahre Kindertransporte zur Rettung jüdischer Kinder erinnert. Die Ausstellung wird durch Studierende der Hephata-Akademie für soziale Berufe mit Ergebnissen aus dem Akademietag erweitert. (pm)
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1 Kommentar
Leider gibt es noch viele die andere Menchen ausgrenzen wegen ihrer Herkunft oder Religion und die kein buntes Deutschland wollen
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