Alle ins Kino statt in Quarantäne?
BAUNATAL. Ist es die Zeit Kinos zu bauen, beziehungsweise zu erweitern? Schließlich sind seit Lockdown-Beginn Kultur- Einrichtungen, wie Kinos, geschlossen. Für Wolfgang Schäfer und das Cineplex in Baunatal stellt sich diese Frage gar nicht. Er hat den Umbau praktisch mit dem ersten Lockdown begonnen. Wenn Bagger schon gearbeitet und Maurer längst begonnen haben, hört man nicht wieder auf.
Der Weg durch die Geisterstadt
Der Weg durch das menschenleere Kino, in dem inzwischen seit drei Wochen kein Film mehr gelaufen ist, niemand mehr Popcorn gekauft oder Cola getrunken hat, hat etwas Geisterhaftes. Es ist wie der Gang durch eine verlassene Goldgräberstadt in der niemand die Reklameschilder weggeräumt, die Wäsche abgehängt und die Getränke aus der Theke weggeschafft hat. Als wären alle mal kurz Zigaretten holen gegangen und dann einfach nicht zurückgekommen. Es gibt halt kein Gold mehr… Und schon entstehen Bilder, die einen Film entsprungen sein könnten oder eben neue Realität sind. Plakate und Fotos aus der Filmwelt stehen überall rum, entstehen aber auch im Kopf.
Und dann ist da dieser dynamisch-agile Kinobesitzer, der das lebt, was er macht und Kino zum maximalen Erlebnis machen will. Er hört nicht auf zu planen, zu schwärmen und in die Zukunft zu schauen. Ist das die Kunst etwas perfekt auszublenden oder gnadenloser Optimismus, weil es sowieso immer irgendwie weitergehen wird? Ist es die neue Normalität Dinge zu tun, die in dem Moment, in dem sie geschehen eigentlich völlig sinnlos sind?
Mottosäle und Sofakino
Ein Zauberwald entsteht mitten im Kino, außerdem eine Unterwasserwelt und das Universum. Drei der vier neuen Kinosäle sind Mottosäle, deren Wände mit riesigen Bildern ausgekleidet sind immer läuft vor dem Film ein Kurzfilm, der zur Motto-Dekoration passt. Betritt man das Kino, dann tritt man ein in einen Wald voller Bäumen, dessen Licht jahreszeitlich wechseln wird oder begibt sich unter ein Universum mit Sternen und begegnet Apollo 9. Keine Sorge, bis Apollo 13 wird nicht gezählt, aber es ist nun einmal Kinosaal 9. Ein weiteres Kino wird purer Luxus aber trotzdem bezahlbar. Im „Cinema Deluxe“, einer selbstkreierten Marke des Cineplex, werden nur bequeme und große Sofas beziehungsweise Liegen zum „rumflätzen“ stehen. Sie werden speziell und individuell in einer italienischen Manufaktur gefertigt. Der ganze Saal steht für Geburtstage und Feiern zur Verfügung, hat einen eigenen Außenbereich und einen Vorraum, in dem Geselligkeit möglich ist, wenn sie denn wieder möglich ist. Das wird für die Region ein völlig neues Kinoerlebnis.
Wer seinen Geburtstag gesund feiern möchte, könnte das eigentlich sofort tun. Im Grunde, so Schäfer, ist im Kino die Luft am saubersten. Dafür kann er Studien anführen, die belegen, dass im Kino noch nie eine Corvette 19-Übertragung stattgefunden hat. Ein sechsfacher Luftwechsel sorgt dafür, dass die Luft nicht nur gereinigt, sondern mehrmals die Stunde komplett ausgetauscht wird. Da haben Viren schlicht keine Chance.
Jeder Kontakt wäre nachvollziehbar
deshalb kam die neuerliche Schließung der Lichtspielhäuser für Familie Schäfer, die auch das Kasseler Cineplex betreibt, völlig überraschend. Googelt man nach Studien und Untersuchungen, könnte man tatsächlich auf die Idee kommen, es sei tatsächlich sinnvoller, Menschen statt in Quarantäne, in ein Kino zu schicken, weil dort eine Ansteckung nahezu unmöglich ist. Und sollte doch einmal eine Übertragung stattfinden, wäre aufgrund des online-Buchungssystems und der damit verbundenen Dokumentation jeder Kontakt nachvollziehbar. Sicherer geht es eigentlich nicht.
Verdienen, sagte Schäfer, können wir schon seit dem ersten Lockdown im Grunde nichts mehr. Die Abstandsregel von eineinhalb Metern bedeutet in seinen Kinos – aufgrund der Sitz- und der Reihen-Abstände real 2,0 Meter nach rechts und links sowie 2,80 Meter nach vorn und hinten. Würde er jeden zweiten Sitz besetzen, würde der Abstand nur 1,40 Meter betragen. Zehn Zentimeter, die über die Wirtschaftlichkeit eines Kinos entscheiden können. So passen nämlich nur etwas mehr als 20 Prozent der sonst üblichen Besucher in ein Lichtspielhaus. „Aber wir wären wenigstens da und könnten mit unseren Kundenkontakt halten“, sagt Wolfgang Schäfer. Alle Kinos in ganz Deutschland haben Konzepte entwickelt und viele sogar in neue Lüftungsanlagen investiert, obwohl sie kein Geld mehr verdient haben. Diese Kinos trifft die neue Schließung im Grunde doppelt.
Es wird anders gebaut als geplant
Corona hat zumindest auch dafür gesorgt, dass der Baukörper etwas anders entsteht als ursprünglich gedacht. Erst hat Schäfer verkleinert, dann wurden aus zwei geplant größeren, vier kleinere Säle. Aber alle in der Größe wie die Mehrheit der bereits bestehenden sechs Säle. Am Ende sind es zehn und das ist – aufgrund der immer größeren Vielfalt und der steigenden Ansprüche an Kino – nicht zu vermeiden. Aha, der Glaube an Normalität und die Hoffnung bleiben! Das ist gut so und wer weiß, vielleicht ist in der Adventszeit ein Kinobesuch möglich, vielleicht sogar zur inzwischen zweimal verschoben Premiere des neuesten, in Nordhessen gedrehten, Ostwind-Films. Ob im normalen Kinositz oder der Sesselreihe, die in jedem Saal zu finden ist oder eben in Sofa-Kino: Baunatal wird besonders attraktiven Kinogenuss erleben können. (Rainer Sander)