Online-Information für politische Entscheidungsträger
SCHWALMSTADT. Die Stadt Schwalmstadt hat die wichtigsten Entscheidungsträger der städtischen Gremien und die Presse in einer Onlinekonferenz zusammengetrommelt und mit drei Referaten zum Planungsstand, der Wirtschaftlichkeit und der Erfahrungen anderer Standorte zur Bewerbung, über die Landesgartenschau 2027 informiert.
Bürgermeister Stefan Pinhard nannte die Veranstaltung eine Premiere für Schwalmstadt. Das ist wohl so. Der Mitschnitt soll im Internet zur Verfügung gestellt werden. Wir möchten gerne vorher über die wichtigsten Ergebnisse informieren. Bürgermeister Pinhard ist sich sicher, dass die größte Veranstaltung seit dem Hessentag 1995 in Schwalmstadt eine erfolgreiche Veranstaltung werden kann. Die Stadtverordnetenversammlung hat auf eine Initiative, die maßgeblich von den Freien Wählern ausging, inzwischen eine Machbarkeitsstudie zur Beantwortung der Frage, ob eine Landesgartenschau möglich und sinnvoll ist, in Auftrag zugegeben. Das Büro „kienleplan“ wurde damit beauftragt.
Kai Steffens über das Thema Wirtschaftlichkeit
Erster Referent war allerdings Kai Steffens. Er ist Sachverständiger für kommunale Kostenanalysen und hat die Daten einer Bundesgartenschau in Koblenz analysiert. Der Begriff Wirtschaftlichkeit, so Steffens, sei für Kommunen ein anderer als für Wirtschaftsunternehmen. Es gehe darum, mehr Nutzen als Kosten zu produzieren, also nicht wirtschaftlich im betriebswirtschaftlichen Sinn zu denken. Kommunalwirtschaftlich zu denken, ist vielmehr das Thema.
Ziele in Koblenz waren unter anderem, mehr auf der Landkarte aufzutauchen, Blockaden in der Stadtentwicklung zu überwinden, ein „Wir-Gefühl“ zu stärken, die Infrastruktur und das Stadtbild zu verbessern, Fördermittel zu akquirieren und schließlich das eingesetzte Geld zurückzubekommen. Herausragende und nachhaltig wirkende Projekte in Koblenz waren eine Seilbahn über den Rhein oder beispielsweise ein Hotel, das internationale Gäste beherbergen konnte und dies auch heute noch tut.
Ein Euro sorgt für sechs weitere Euro
Im ursprünglichen Rechenmodell wurden drei Szenarien, ein normales, ein Best-Case und ein Worst-Case Szenario, aufgestellt. Das objektive Ergebnis ist hinterher schwer zu bewerten. Anhand von Daten der Sparkasse über private Investitionen, konnte allerdings ermittelt werden, dass 28 Millionen €uro kommunale Eigenmittel volkswirtschaftliche Effekte in Höhe von etwa 424 Millionen €uro ausgelöst haben. Zusätzlich wurden noch Investitionen in Höhe von 315 Millionen €uro ausgelöst. Rechnet man heraus, welche Investitionen sowieso stattgefunden hätten, läge das Verhältnis bei 1 : 6. Jeder Gartenschau-Euro hat in Koblenz zumindest sechs weitere Euro ausgelöst.
Fast alle Leistungen in Koblenz konnten regional eingekauft werden und kamen der örtlichen Wirtschaft zugute. Auf diese Weise sind gut 25 Prozent der städtischen Investitionen bereits direkt über Steuereinnahmen und Wertschöpfungskette zurückgeflossen. Die steuerlichen Effekte lagen bei 8 Millionen €uro.
Mehr als Stiefmütterchen und Eintrittskarten verkaufen
Der Tourismus ist in Koblenz explodiert. Profitiert haben Tourismusgewerbe, insbesondere Hotel- und Gastgewerbe, aber auch der Einzelhandel, die Kultur- und Eventwirtschaft, im Vorfeld die Bau- und Immobilienwirtschaft und schließlich ergab sich sogar eine positive Bevölkerungsentwicklung: Die Menschen ziehen in die Stadt, weil es dort schön ist. Viele private Hauseigentümer haben ihre Häuser in Ordnung gebracht, damit sie schön aussehen. Kurzfristig ist eine Gartenschau immer defizitär, langfristig liefert sie meistens einen Gewinn.
In Koblenz kamen weit mehr Besucher als geplant und aus 25 Millionen €uro kalkulierten Einnahmen wurden 42 Millionen €uro. Schließlich ergab sich nach zehn Jahren ein Überschuss von 9,4 Millionen €uro. Bereits nach vier Jahren war der Break-Even-Point erreicht. Die Seilbahn ist geblieben, auch ein Schienenhaltepunkt. Für Schwalmstadt rät Kai Steffens, auch wirtschaftliche Ziele klar zu definieren. Ein Kosten- und Erlösplan sei wichtig für die Effizienz einer Gartenschau. Eine Gartenschau ist in jedem Fall mehr als Stiefmütterchen und Eintrittskarten verkaufen.
Dr. Riege (B90/GRÜNE) wollte in der kurzen Online-Diskussion wissen, ob eine Gartenschau eine Seilbahn braucht. Herr Steffens erklärte, dass zumindest etwas Spektakuläres Besucher anlocken sollte.
Bad Wildungen hat sich mit Landesgartenschau neu definiert
Hans-Jürgen Kramer ist Mitarbeiter der Stadt Bad Wildungen und war Geschäftsführer der dortigen Landesgartenschau. Er referierte über Erfahrungen aus einer erfolgreichen Gartenschau in der Kurstadt, die sich nach mehreren Gesundheitsreformen fast vollständig neu definieren musste.
In Bad Wildungen gab es bis 1995 noch 2 Millionen Übernachtungen im Jahr. Nach der Gesundheitsreform blieben wenige Jahre später nur noch 0,8 Millionen Übernachtungen im Jahr übrig. Aktuell und nach der Landesgartenschau sind es wieder 1,5 Millionen Übernachtungen im Jahr.
Herr Kramer betonte den Wert der Machbarkeitsstudie. Egal, ob man tatsächlich Gartenschaustadt wird oder nicht, die Machbarkeitsstudie liefert jede Menge Ideen und Anregungen. Wichtig sei, eine Gartenschau nicht vor den Toren der Stadt anzusiedeln, sondern sie mit städtebaulicher Perspektive auch mitten im Stadtbereich anzusiedeln.
Sechseinhalb Kilometer grüne Achse
In Bad Wildungen war das Ziel die Verknüpfung von drei kleinen Parkanlagen beziehungsweise Kurparks zu einer grünen Achse quer durch Bad Wildungen zum heute größten Kurpark Europas. Ein 6,5 Kilometer langer barrierefreier Grünstreifen quer durch die Stadt, wäre ohne Landesgartenschau nicht möglich gewesen. Fußwege, Radwege und Naherholungsgebiete sind hier lückenlos entstanden. Vom Bahnhof bis zum Kurpark im Stadtteil Reinhardshausen reicht die Achse. Querverbindungen schaffen Verknüpfungen zwischen verschiedenen Wohngebieten, die vorher nicht vorhanden waren. Die Lebensqualität in Bad Wildungen hat sich insgesamt verbessert. Verwahrloste Freizeitanlagen sind verschwunden, stattdessen Themenspielplätze entstanden und andere bleibende Einrichtungen.
Ein Teil der Mittel floss in Bad Wildungen übrigens in jeden einzelnen Stadtteil. Weil nicht nur die Kernstadt profitiert hat, ist das Gemeinschaftsgefühl in Bad Wildungen stärker geworden. Bad Wildungen hatte 436.000 Besucher. 600.000 Waren erhofft. Bad Wildungen hat 6,5 Millionen €uro in die Stadtentwicklung im Kernbereich investiert. 3,1 Millionen €uro kamen vom Land Hessen, der Kreis hat eine halbe Million Euro beigesteuert und die Stadt Bad Wildungen 2,9 Millionen €uro selbst aufgebracht.
Insgesamt wurde 13 Millionen €uro investiert. Förderquoten lagen jeweils bei bis zu 70 oder 80 Prozent. Heute liegen sie stellenweise bei 90 Prozent. Entstanden ist eine dauerhafte Infrastruktur von dauerhaftem Nutzen.
Die reinen Kosten für die Veranstaltung betrugen rund 4,6 Millionen €uro, die Einnahmen lagen bei mehr als 4,1 Millionen €. Die Unterdeckung pendelte sich letztlich bei 415.000 €uro ein. Bad Wildungen resümiert einen positiven Stadtentwicklungsprozess und bleibenden Wert. Kramer geht davon aus, dass bei einem Hessentag weniger für eine Kommune hängenbleibt, als bei einer Landesgartenschau. Auf die Frage von Schwalmstadt Stadtmanager Achim Nehrenberg, ob Bad Wildungen eine Landesgartenschau erneut ausrichten würde, antwortete Kramer mit einem klaren Ja.
Kienleplan: Aus der Vergangenheit in die Zukunft
Aus der Vergangenheit in die Zukunft führten die beiden Inhaber des Fachbüros kienleplan, Christiane Meßner und Urs Müller-Meßner, die Teilnehmer mit dem Stand ihrer Machbarkeitsstudie, die natürlich noch nicht fertig ist und vor allem keine Details für eine Bewerbung enthält. Die sollen schließlich erst erarbeitet werden, wenn eine Machbarkeit nachweisbar ist.
Ist Schwalmstadt eine graue Eminenz? So lautete die Eingangsfrage. Ein guter Landschaftsraum und der Blick geht weit in die Ferne, so das Ehepaar Meßner. Am 3. Oktober wurden die Bürger Schwalmstadt mit Informationsständen entlang des möglichen Gartenschaugeländes bereits einbezogen. Stadtverwaltung, Bürger und Planer wurden gemeinsam ins Gespräch gebracht. Fokus der Machbarkeitsstudie liegt auf der langfristigen Nutzung. Etwa 100 Ideen konnten zusammengetragen werden. Dazu gehören ein regionales Fest, mit regionalen Traditionen, die Präsentation der Schutzgebiete oder eine „Essbare Stadt“. Also erlebbare Geschichte, Einbeziehung der Gastronomie, Angebote für Jugendliche, eine Wiederbelebung der Festung. Das zusätzliche Einbeziehen von Privatgärten kann, dass Wir-Gefühl stärken.
Was kommt – was geht?
Fünf Themenschwerpunkte stehen im Fokus:
- Nachhaltige Stadtentwicklung
- Generationenübergreifender Angebote
- Verbesserung des Radverkehrsnetzes
- Freiräume aufwerten, Aufenthaltsorte schaffen
- Naturräume sichern, aufwerten und erlebbar machen, Naturschutz und Klimawandel thematisieren
Neben der Frage, ob sich Schwalmstadt das überhaupt leisten kann, taucht selbstverständlich auch – bei gravierenden Veränderungen – die Frage nach dem Verlust vorhandener Qualitäten auf.
Die Machbarkeitsstudie wird als Buch gebunden, entstehen. Damit existiert am Ende ein Handbuch für die Zukunft. Plädoyers kommen von Stakeholdern wie Landrat und anderen öffentlichen Personen.
Ohne Bürgerbeteiligung geht es nicht – Schwierigkeiten während der Pandemie
In die Inhalte, die jetzt aufbereitet werden, fließen die Ideen aus einem Workshop und der Bürgerbeteiligung ein. Die Bürgerbeteiligung fällt allerdings aufgrund der Pandemie-Maßnahmen außerordentlich schwer. Zum Stand der Finanzierung können beide sagen, dass sich die Kosten bisher im Rahmen einer normalen Landesgartenschau bewegen.
Landesgartenschauen erreichen einen Radius von 60 bis 75 Kilometern. In diesem Bereich liegen um Schwalmstadt herum größere Städte wie Kassel, Bad Hersfeld, Marburg, Gießen, Fulda, Büdingen und Eisenach sowie zahlreiche weitere Kommunen. Das lässt eine hohe Besucherzahl prognostizieren. Zur Zielformulierung gehören die Naherholung, die Ergänzung von Grundstrukturen, erlebbare Geschichte, wie Kalter Krieg, historischer Bahnhof, das Arbeitslager Trutzhain oder die Festung. Außerdem die Verbesserung des Wirtschaftsstandortes, Aufwertung der Kulturlandschaft durch nachhaltige Landwirtschaft, Schaffung von Naherholungsgebieten, Freizeit-, Sport- und Spiel-Angeboten und eine Qualitätsoffensive für den Tourismus.
Gemeinsam wachsen
Die Leitidee könnte sein „gemeinsam wachsen!“. Beide Referenten kannten die Stadt bisher überhaupt nicht und sind mit einem WOW! nach Schwalmstadt gekommen. Die grüne Mitte Schwalmstadts könnte Treysa und Ziegenhain verbinden. Zwischen diesen beiden Stadtteilen haben die beiden Gutachter tatsächlich eine Konkurrenz festgestellt. Diese riesige grüne Mitte könnte statt einer bisherigen Trennlinie, zu einer Verbindungslinie werden. Also: Damm als Verbindungslinie und beide Stadtteile integrieren….
Eine „Neue grüne Mitte“ würde zu einem grünen Band, umschlossen von einem grünen Ring. Impulse gehen bis in alle Stadtteile im Radius von zehn Kilometern. Ziel ist mehr Stadt-Identität, basierend auf Besonderheiten wie die Beuys-Steelen, die Wasserfestung, Altstadt von Treysa, Mühlen, Wehre, Fischteiche, das Arbeitslager Trutzhain oder die Konfirmation, die hier ihren Ausgangspunkt hat.
Keine falsche Bescheidenheit mehr!
Wie bescheiden ist Schwalmstadt eigentlich angesichts seiner Bedeutung zwischen Kassel und Marburg, so lautet eine provokative Frage von Christiane Meßner und Urs Müller-Meßner. Konkrete Maßnahmen – wie erwähnt – waren bisher nicht Teil der Analyse. Vielmehr eine Bestandsanalyse, zu der auch Radwegen und diversen Querungen gehören. Erste Ziele und Maßnahmen sind dennoch definiert. Drei große „Lupen“ haben sie auf Schwalmstadt gerichtet. Zum Beispiel: der grüne Ring um die Wasserfestung. Eine Wieder-Inszenierung der Festung, die einzigartig ist, erscheint wichtig, aber auch eine Neugestaltung des Alleeplatz, der ein städtebauliches Desaster ist.
In Treysa dürfte die Renaturierung der Schwalm, mit Biotopvernetzung zwischen Rückhaltebecken bis in die Leistwiesen dazu gehören.
Ein paar ausgefallene Gedanken gehören bereits auch dazu. Warum nicht ein Turm am Segelflugplatz? Aussicht schaffen könnte das Thema sein oder Genießerbänke und Ruheinseln entlang der verbindenden Schwalm? Jedenfalls aus dem Rückhaltebecken etwas Neues entwickeln, das Negative ins Positive wandeln. Namen könnten zu Marken werden. Ein Beispiel: Zwischen den Dämmen“ (zwischen Bahndamm und Staudamm)
Der Star ist die Mannschaft
Auch zu den möglichen Veranstaltungen gibt es vage Vorstellungen. Genannt wird beispielhaft eine Leistungsschau grüner Berufe. Die Frage nach den Höhepunkten? Genannt wurde schon Türme aber eben keine Leuchttürme. Dafür ganz viel Kultur und Landschaft, also Kulturlandschaft. Weniger herausragendes, vielmehr verbindendes also: der Star ist die Mannschaft… (Rainer Sander)
4 Kommentare
Schwalmstadt wird die Metropole für diese Region
Kennen die überhaupt das Wort planen?!
wenn die planung dann so gut läuft wie die bei der kita wiegelsweg,dann gute nacht schwalmstadt. 🙁
Neues industriegebiet bei A49 neues Einkaufszenrum am Schmelzau und die Landesgartenschau hoffentlich wird sich schwalmstadt positiv verendern
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