„Verbrennen“ zwei Tanzschulen unter dem Corona-Brennglas?
SCHWALMSTADT. Das Corona-Virus hält die Welt in Atem und hält uns den Spiegel oder das Brennglas vor die Augen. Wahrnehmungen werden intensiver, persönlicher, Blicke in die Vergangenheit stärker und in die Zukunft verschwommener. Sorgen werden größer, Freude vielleicht auch. Und für manche Berufsgruppen wird die Hoffnung gerade kleiner.
Die Pandemie deckt Fehler auf, die wir schon immer gemacht haben und ist schonungslos ehrlich mit allem, was wir versäumt haben. Und trotzdem haben wir alle den ersten Lockdown locker weggesteckt. Deutschland ist Weltmeister im Pandemie-Ringen und Sieger in der Disziplin Disziplin. Nur ein paar Künstler schimpfen und Soloselbstständige, ein bis dato unbekannter Begriff, werden einfach nur bemitleidet, aber nicht unterstützt und schließlich die Gastwirte, die schon seit dem Rauchverbot ohne Unterlass laut klagen.
Jetzt geht es an die Substanz
Nun läuft seit zwei Tagen der zweite Lockdown, aber jetzt geht es an die Substanz! nh24-Redakteur Rainer Sander hat in Schwalmstadt die beiden Tanzlehrerinnen Timea Smajda und Mira Schimanski besucht. Beide unterscheiden sich nur im Detail: Während Frau Smajda im Tanzcentrum conTrust auf moderne Tanzfitness setzt, unterrichtet Frau Schimanski klassisches Ballett. Trotzdem gibt es Schnittmengen, aber inzwischen auch persönlich eine gute Freundschaft. Es herrscht keine Konkurrenz, sondern eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Beide Institutionen, die Ballettschule in der Altstadt von Treysa und das Tanzcentrum in der ehemaligen Harthberg Kaserne, sind aber keine Traditionsbetriebe, die von der Substanz zehren könnten, sondern junge Unternehmen, geführt von mutigen und risikobereiten jungen Frauen, die im Grunde ihr gesamtes Geld investiert und zusätzlich in den letzten Jahren Darlehen aufgenommen haben, um, wie Frau Schimanski, eine frühere Ballettschule (Wilkinson) zu übernehmen oder wie Frau Smajda, komplett Neues zu entwickeln. Entsprechend anfällig sind sie, wenn die Einnahmen wegbrechen.
Wenn Optimismus auf Sinnlosigkeit trifft
Mit viel Leidenschaft sind beide für ihre Kunden da und das sind zwar meistens – aber nicht nur – Kinder. Die Jüngste bei Frau Smajda ist drei Jahre alt, bei Mira Schimanski liegt das Startalter für gewöhnlich bei vier Jahren. Nach oben gibt es kaum Grenzen, auch mit 70 kann man noch tanzen.
Ihre momentane Stimmung zu beschreiben, fällt beiden Tanzlehrerinnen schwer. Beide sind viel zu optimistisch, um in Tränen auszubrechen und zu klagen, aber gleichzeitig ist die Situation gerade fast aussichtslos und beide wissen, es geht jetzt definitiv um ihre Existenz.
Die erste Schließung im März war schon von Unsicherheiten begleitet. Die meisten Kunden sind treu geblieben, die Eltern waren zu dankbar dafür, dass ihre Kinder gut betreut werden. Aber die wichtigen, kontinuierlichen Neuanmeldungen sind in dieser Zeit schon ausgeblieben. Die Angst ist seitdem zu groß, dass Unterricht doch nicht stattfindet, aber schon bezahlt wurde und dass es die Schulen vielleicht irgendwann nicht mehr gibt.
Tanzen im Quadrat
Als es im Sommer weiterging, war plötzlich alles anders. Die Hygienekonzepte funktionieren hervorragend, es wird gelüftet und der Fußboden ist in Quadrate eingeteilt. Durchgestrichene Quadrate dürfen nicht betreten werden und sonst darf sich in jedem Viereck nur eine Person aufhalten. Man begegnet sich kaum, berührt sich nicht und ständig wird desinfiziert und Hände gewaschen. „Wir haben sogar eine Seife gefunden, die man kneten kann, um mit den Kindern das Händewaschen zu üben“, erzählt Mira Schimanski. „Wir haben aber die Kurse geteilt“, berichtet ihre Kollegin Smajda „und hatten plötzlich doppelt so viel Unterricht, bei weniger Einnahmen. Das ist mit Familienleben gar nicht zu vereinbaren. „
Trotzdem haben beide bis jetzt durchgehalten und widerstanden, außer der Soforthilfe, die nur Kosten aber kein Gehalt abgedeckt hat, auch noch Kredite in Anspruch zu nehmen. Das macht bei einer Tanzschule, mit der man kaum Überschüsse erwirtschaften kann, keinen Sinn. „Wir würden nur mit einem Kredit die Raten des anderen Kredites bezahlen. Das wäre verrückt“, wissen beide. „Wir sind natürlich einerseits Geschäftsfrauen, aber andererseits auch pädagogisch tätig und haben es immer abgelehnt von unseren Kunden Geld zu nehmen, wenn wir keine Leistung bringen können. Deshalb fällt es beiden auch schwer, Gutscheine zu verkaufen, die außerdem wenig Sinn ergeben, weil die Kunden im Abonnement sowieso vorauszahlen.
Ruhepuls von 115 ist für Sportler ungesund
Seit vorgestern hat sich die Situation verschärft. Die Treue der vorhandenen Kunden ist immer noch sichtbar, sie alle warten darauf, dass es normal weitergeht, aber wann wird das sein? Jetzt noch neue Kunden zu gewinnen ist schier aussichtslos und Rücklagen sind keine mehr vorhanden. Wenn es jetzt für einen Monat 75 Prozent gibt, so ist das schön, aber was ist im Dezember, im Januar und im Februar? Beide haben die Ahnung, dass es nicht wesentlich besser wird und irgendwann die Puste ausgeht. „Ich hatte neulich auf dem Sofa ein Puls von 115“, sagt Frau Smajda erstaunt. „Wäre ich untrainiert und hätte mich bewegt, könnte ich das verstehen, aber ich bin schließlich beruflich sportlich aktiv und dann ist das schon ein Zeichen von Unruhe“. Mira Schimanski erzählt, dass sie manchmal in Gesprächen gar nicht mehr folgen kann, weil ihre Gedanken ganz woanders sind.
Beide sehnen sich nach einem Stück Normalität und sind fast außer sich vor Freude, einfach einmal loswerden zu können, was sie aktuell belastet. Es gibt wenig, was Hoffnung macht, der Unterricht hat auch unter Verlusten Freude bereitet aber jetzt geht gerade wieder einmal gar nichts. „Wir dekorieren trotzdem für Weihnachten, es wird im Studio einen Weihnachtsbaum geben, denn die Hoffnung bleibt. Aber auch den Kunden geht etwas verloren. Ein Stück Geselligkeit, wichtiges Bewegungstraining zum Aufbau des Immunsystems gegen COVID 19!“
Auf der Suche nach dem Strohhalm
Die Menschen werden noch lange Angst haben, sind sich beide sicher und wollen weder Almosen noch Geld für nichts. „Wir müssen uns selbst noch im Spiegel ansehen können!“ Das ist für Tanzlehrerinnen sowieso das wichtigste Element im Studio: die Spiegel Wand! In Zeiten von Corona wirken sie manchmal wie ein Spiegelkabinett, das das Studio noch größer und die Hoffnung noch kleiner werden lässt. Ein Rest davon ist geblieben und trotzdem wissen Frau Schimanski und Frau Smajda, dass es noch lange dauern wird, bis neue Kunden wieder Vertrauen fassen und überhaupt wieder welche ins Studio kommen dürfen.
Dass gerade sie, die Kunstszene und die Gastronomie, jetzt – im Gegensatz zu vielen anderen Branchen – bescheinigt bekommen, nicht systemrelevant, also eigentlich nicht wichtig zu sein, ist nicht unbedingt aufbauend, wenn man auf der Suche nach Strohhalmen ist und beim Blick in den Spiegel nur noch wenig Enthusiasmus in sich selber erkennt. Der Glaube daran, dass die Politik sie nicht vergisst, ist immer noch vorhanden! (rs)
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