GIEßEN/SOLMS. Ein junger Mann kommt aus Somalia nach Deutschland, ohne Familie, ohne Sprachkenntnisse und ohne Berufsausbildung. Zehn Jahre später hat Abdirizak Ahmed mit 35 Jahren nicht nur eine Familie, sondern auch einen Meistertitel, einen eigenen Malerbetrieb und sogar die deutsche Staatsbürgerschaft.
„Das ist ein vorbildliches Beispiel dafür, was Menschen erreichen können, die nach Deutschland kommen und sich engagieren.“ Gehört hatte Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich durch das Einbürgerungsdezernat im Regierungspräsidium Gießen von ihm. Sein Werdegang hatte den RP so beeindruckt, dass er den Neubürger kennenlernen wollte.
Als kleines Treffen geplant, wird der Kreis der Teilnehmer letztlich immer größer mit Menschen, die diese Leistung ebenfalls würdigen wollen oder die den jungen Mann auf dem Weg begleitet haben. Denn eines wird auch bei der Corona-gerechten Runde klar – ganz standesgemäß am Rande einer seiner Baustellen: So ganz alleine ist eine solche Biografie kaum zu schaffen. So stehen nun fast ein Dutzend im Kreis vor einem Bungalow in einem Bischoffener Ortsteil, wo er als „Malermeister Abdi“ gerade Renovierungsarbeiten erledigt. „Das hier ist eine Erfolgsgeschichte, die ich mit dieser Begegnung bekannter machen möchte, denn wir müssen viel mehr auf die gelungenen Integrationsbiografien schauen“, sagt der Regierungspräsident in seiner Begrüßung.
„Das Handwerk: Ich bin Handwerker. Ich kann das.“ steht auf einem Aufkleber an der Heckklappe des Firmen-Kastenwagens mit Sitz in Solms (Lahn-Dill-Kreis). Der letzte Satz scheint das Lebensmotto von Abdirizak Ahmed zu sein, für den die Startbedingungen ins Leben alles andere als leicht waren: Sein Vater wurde ermordet und er hatte keine andere Möglichkeit, sein Leben zu retten, als zu fliehen. Seine Mutter wollte nicht auch noch ihren Sohn verlieren und empfahl die Flucht. Und all das in einem Somalia, in dem fast 30 Jahre lang ein Bürgerkrieg herrscht und wo die Lage heute noch immer alles andere als sicher ist.
„Wenn ich etwas will, kann ich alles erreichen“ ist einer jener Sätze, die in seinem Bericht hängenbleiben oder: „Ich werde immer weitermachen, solange ich atme.“ In diesen ersten zehn Jahren in seiner neuen Heimat hat er aus sich den Marathonläufer herausgeholt, der ausdauernd, geduldig und hartnäckig das Ziel im Blick hat. Und sich auch nicht von Rückschlägen abschrecken lässt. Regina Knögel hat ihn als Unternehmensberaterin auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet und berichtet von einem frustrierenden, bürokratischen Erlebnis: „Ich war so enttäuscht und dann war er es, der zu mir sagte ,Die Frau macht nur ihren Job und sie hat da keinen Spielraum, wir müssen einen anderen Weg suchen‘.“ Auch der Solmser Bürgermeister Frank Inderthal, der extra zu dem Termin gekommen ist, äußert sich beeindruckt von dem Mut und der Zielstrebigkeit des jungen Mannes: „Ich bin ganz begeistert von diesem Werdegang.“
Dieser Weg war tatsächlich ein weiter. Über die Stationen Bayern und dann in der früheren Erstaufnahmeeinrichtung vom RP Gießen im Meisenbornweg unweit der Lahn weitervermittelt, kommt er drei Monate später per Zufall in Aßlar an. In dem Projekt „Arbeit und Ausbildung“ vom Internationalen Bund findet er in Wetzlar eine Möglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen, „um mich für die Arbeit fit zu machen“. Auch der Beruf war bald klar: Maler – das war es, was Abdirizak Ahmed machen wollte. Fünf Jahre arbeitete er als Hilfsangestellter, bis er einen gerade erst ausgelernten Gesellen im Betrieb vor sich hatte, der ihm nach wenigen Tagen Anweisungen gab. „Das konnte ich nicht verstehen, ich war doch schon fünf Jahre im Betrieb.“
Nach gemeinsamen Gesprächen verstand er, wie das deutsche Handwerk funktioniert. Das war zu der Zeit, als er Franz Hofmann aus Hüttenberg, im Wetzlarer Nachbarschaftszentrum kennenlernte. Der engagierte Rentner fördert seit 2015 ehrenamtlich Flüchtlinge auf dem Weg der Integration und kann sich als heimatvertriebenes Kriegskind in die Lage der Ankommenden hineinversetzen. Er erweist sich als Förderer und treuer Begleiter. „Wenn du eine Lehre machst, hast du alle Chancen“, muntert er auf.
93 Bewerbungen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz und genauso viele Ablehnungen später ist Abdi, wie ihn alle nennen, frustriert, aber nicht bereit aufzugeben. Hartnäckigkeit und sein unverwüstlicher Optimismus und Franz Hofmann haben dafür gesorgt, dass er in Butzbach mit Andymen einen Betrieb fand, in den er perfekt passte. „Bevor ich in die Berufsschule gegangen bin, konnte ich vom ersten Augenblick an als Azubi alle Aufgaben erledigen. Das hat Spaß gemacht.“ Die Prüfungen schließt er „erfolgreich“ ab. „Danach habe ich mir überlegt: Mach gleich noch den Meister.“ All das hat er nur mit der Hilfe seiner Frau Weheliye Ayan Osman schaffen könnte, betont er. Und natürlich die Hilfe von Franz Hofmann.
„Du brauchst einen Paten, der dir erklärt, wie das ein oder andere bei uns in Deutschland“, erklärt Franz Hofmann. Gerade bei den teils komplizierten bürokratischen Vorgängen hätte er geholfen. Dabei hat er auch deutlich gemacht, dass dies nicht nur ein Thema für Flüchtlinge sei. Auch Hofmann selbst, Jahrgang 1944, hat seine Erfahrungen gemacht: „Ich habe damals nicht heiraten dürfen, weil ich keine eigene Wohnung hatte und eine eigene Wohnung bekam ich nur verheiratet.“ In solchen Situationen gehe es eben darum, eine Lösung, einen anderen Weg zu finden. „Dankenswerter Weise kümmern sich viele Ehrenamtliche darum, solche Wege zu ebnen“, dankt Regierungspräsident Ullrich stellvertretend allen, die sich gesellschaftlich engagieren wie Franz Hofmann.
Zusammen hat das somalisch-deutsche Duo alle Hürden genommen. „Ich habe nur Hilfestellung geleistet“, betont der ehrenamtliche Helfer, „die Prüfungen in der Schule musste er selbst machen.“ Es sei eine große Freude gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten. „Alle Achtung, er hat da wirklich was geleistet.“ Auch das Einbürgerungsverfahren hat der Rentner begleitet. Die erste Idee, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, kam bei einer möglichen Selbstständigkeit auf. Hier müssen viele Anträge gestellt und Formulare ausgefüllt werden. Ein deutscher Pass erleichtert dabei den Weg zum eigenen Betrieb.
„Ich habe ja viele Fälle“, berichtet RP-Mitarbeiter Winkler vom Dezernat für Einbürgerung. Dieser war für ihn aber ein besonderer. „Mich hat der Werdegang einfach sehr beeindruckt und ich dachte mir: Das sollte auch einmal in der Öffentlichkeit dargestellt werden, was hier ein Mensch nur zehn Jahre nach seiner Einreise erreicht hat.“ Er hatte den Regierungspräsidenten auf die ungewöhnliche Biografie hingewiesen. Es gibt mehrere Voraussetzungen für eine Einbürgerung: acht Jahre rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik, einen eigenen Lebensunterhalt und das Beherrschen der deutschen Sprache. Und die Identität muss geklärt sein, was, je nach Dokumentenlage, durchaus schwierig sein kann. „Zum Glück gibt es einen Erlass des Landes Hessen, der uns Möglichkeiten in die Hand gibt, etwa durch Befragen von verwandten Zeugen in schweren Fällen die Identität zu klären“, sagt RP-Mitarbeiter Winkler.
Auch Abteilungsleiterin Claudia Coburger-Becker ermutigt dazu, sich einzubürgern: „Wir versuchen eine Einbürgerung zu ermöglichen, wo immer wir können.“ Als Behörde seien die Kolleginnen und Kollegen aber immer wieder auf Hilfestellungen angewiesen. Deshalb: „Eine Rückfrage nach einem Antrag ist keine Ablehnung, sondern lediglich ein Hinweis, dass die vorgelegten Unterlagen nicht ausreichen, die Identität ausreichend zu klären und dass wir die Unterstützung der Antragsteller brauchen.“ Franz Hofmann jedenfalls lobt das RP Gießen: „Das Dezernat hat sauber gearbeitet.“ Eines aber bedauert er, „nämlich dass viele nicht erkennen, wie bereichernd Menschen wie Abdi Ahmed für unsere Gesellschaft sind“.
Hassan Burale Ali, Jahrgang 1994, kam ebenfalls vor zehn in Deutschland an. Aktuell steht er kurz vor seinem Master-Abschluss als Architekt und möchte sich dann selbstständig machen. Auch er hat eine Vorzeigebiografie, die er auch als Vorsitzender des Bundesverbandes der somalischen Vereine in Deutschland für eine gute Sache einsetzen möchte. „Wir haben von Deutschland viel bekommen und wollen nun etwas weitergeben.“ Sein Ziel ist es, andere Somalis zu motivieren mit der Botschaft: „Wir haben Glück gehabt, aber auch Ihr könnt es schaffen.“ (pm)
Das Bild: Würdigung eines herausragenden Lebensweges mit Corona-gemäßem Abstand: Abdirizak Ahmed, seine Frau Weheliye Ayan Osman und die fast zweijährige Tochter Maid Ahmed zusammen mit (v.l.) Hassan Burale Ali, Regina Knögel, Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich, Bauherr Michael Siguda, Philip Winkler, Franz Hofmann, Claudia Coburger-Becker, Auszubildender Amine Mengsteab und Bürgermeister Frank Inderthal.
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6 Kommentare
die meisten Asylanten sind eine bereicherung für unser land
Sehr starke Leistung trotz Hinternissen, Respekt dafür. Man darf eben nicht Alle über einen Kamm scheren….
Das ist der bekannte Tropfen auf den heißen Stein
@Ersatzreifen, hier noch ein paar Tropfen. Falls sie es schaffen, alles zu lesen 😉
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-09/migration-fluechtlingslager-koenigshain-wiederau-asyl-deutschland
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