Ein Baum zur Mahnung und gegen das Vergessen
BAUNATAL | AUSCHWITZ | ISTHA. Es ist 10 Monate her, als eine Gruppe von Volkswagen-Auszubildenden der Stadt Baunatal einen lebendigen Baum gegen das Vergessen schenkte. Bürgermeisterin Silke Engler versprach, dieser werde – mit einer Tafel – dazu beitragen, die Erinnerung lebendig zu halten.
Das Besondere: Die Silberlinde kam aus Auschwitz, wo die Azubis gerade in einem Projekt tätig waren.
Trompeter Andreas Dengel spielte „Am Brunnen vor dem Tore“, als es jetzt endlich so weit war, dass der Baum offiziell und mit einer Tafel versehen vor der Musikschule erinnert. Zehn Monate, in denen – außer Corona – viel passiert ist, was die Pflanzung und die Tafel gleichzeitig verzögert und letztlich mit Nachdruck versehen hat. Bürgermeisterin Silke Engler erinnerte an das Attentat in Halle, den Anschlag in Hanau und die Tafel selbst nimmt Bezug auf die Ermordung von Walter Lübcke, dem ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten. Engler selbst ist beeindruckt von den jungen Menschen und den Gedanken, die sie von ihrem Arbeitseinsatz im Vernichtungslager Auschwitz mitgebracht haben.
Mit Deutlichkeit Zeichen zu setzen, darin sieht sie eine Notwendigkeit, gerade in der Volkswagen-Stadt. Den echten Baunataler, so Engler, gäbe es schließlich nicht. Die meisten Baunataler sind hier nicht geboren, vielmehr hat die Arbeit sie hierher gebracht. Viele kommen aus unterschiedlichsten Nationen. „Alle sind willkommen, wenn sie Recht und Gesetz achten und andere respektieren.“ Denjenigen, die angesichts der Corona-Gegenwart meinen, in einer Diktatur zu leben, sollten dorthin schauen, wo Menschen nach Freiheit rufen.
Meilensteine sind Punkte, an denen man nicht mehr umkehrt
Jens Dembowski, Leiter der VW-Akademie, betrachtete den Besuch in Oświęcim, wie der Ort Auschwitz in Polen heißt, als Meilensteine. Das sind im Leben solche Punkte, an denen man nicht mehr umkehrt. Zwei Momente in Auschwitz sind ihm in Erinnerung, einmal aus dem Shoah-Haus und zum anderen das, was wir Besuch mit den Auszubildenden gemacht hat. Wenn man einen Lederschuh in der Hand hält, den ein jüdisches Kind getragen hat, dann bekäme man mehr als eine Ahnung davon, was in Auschwitz passiert ist.
Die Auszubildenden erinnern sich daran, dass die Menschen nicht bedrückt waren, weil sie etwas Gutes tun, um die Erinnerung für die Gegenwart und die Zukunft zu bewahren. Einer schilderte, wie kalt es beim Besuch war, aber alle sind warm angezogen gewesen. Die jüdischen Menschen im Lager waren das nicht und mussten arbeiten. Ein anderer spannte den Bogen in die Gegenwart, denn der Sohn von einem Freund der Familie, war einer der Täter in Wolfhagen-Istha. „Ein weiterer ist dankbar für das Recht auf Leben. Das hatten die Opfer im KZ nicht und wenn es mir heute schlecht geht, denke ich an diesen Besuch…“ Ausbilder Heiderich erinnert sich, dass es etwas anderes ist, als im Geschichtsunterricht. Man muss oft um Fassung ringen…
Eine Räuberin, eine Mörderin, allein und verängstigt…
Imagine von John Lennon war die zweite Musik, die gestern Nachmittag gespielt wurde, bevor Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees (in Baunatal-Guntershausen aufgewachsen), auf das erste Musikstück einging. So, wie in dem Lied von Franz Schubert und Wilhelm Müller, hätten wir die Heimat gerne. Deutschland war am Ende des Krieges eine Räuberin, Mörderin, allein und verängstigt. Es müsse nach Halle, Hanau, den Vorkommnissen in der Polizei und all den anderen Ereignissen, eine Wende in der Geschichtswahrnehmung stattfinden.
Auch Werkleiter Olaf Korzinovski die ging auf aktuelle Entwicklungen ein. Taten zu leugnen, sei alarmierend. Für ihn hat es eine große Bedeutung, dass die Auszubildenden dort waren und den Baum mitgebracht haben. Die Auszubildenden haben schließlich auch die Tafel angefertigt.
VW bekennt sich zur eigenen Geschichte
Betriebsratsvorsitzender Carsten Bätzold rief die Geschichte Volkswagens in Erinnerung, nämlich das auch hier Zwang ausgeübt würde und Mitarbeiter von VW ermordet wurden. Endlich den Schlussstrich zu ziehen, wie es inzwischen viele fordern, ist für ihn nicht möglich und es sei gut, jungen Menschen die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu ermöglichen.
Das ist fortan auch in Baunatal möglich und die Erinnerung an Walter Lübcke, als prominentes nordhessisches Opfer von jungen Nazis, ist einer der Gründe, warum ein solcher Schlussstrich gar nicht möglich ist. (rs)