Wenn ein Bürgermeisterauto rollender Bewegungsmelder wird
MARBURG | NEUKIRCHEN. Stellen Sie sich vor, der zehn Jahre alte Privatwagen von ihrer Frau – oder ihrem Mann – ist zur Inspektion in der Werkstatt und diese ruft sie aufgeregt an: „Wir haben in ihrem Fahrzeug ein schwarzes Kästchen gefunden, das da nicht gehört, haben Sie das angebracht?“
Die Frage unterstellt: „Verfolgst Du Deine Frau?“ Und was denken Sie dann, wenn sie den Peilsender nicht angeschraubt haben, wohin gesendete Signale gehen werden? Vermuten Sie, dass ihr Ehepartner gestalkt wird? Dass das organisierte Verbrechen Ihre Familie ins Visier genommen hat? Dass es Ihnen so geht, wie Walter Lübcke, weil Sie couragiert Plakate der Partei „die Rechte“ abgehängt haben? Vor allem aber, was tun Sie? Anzeige erstatten und damit die Täter aufstacheln? Oder Schweigen und am Ende Opfer werden?
Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer?
Der, dem das im nordhessischen Neukirchen mit dem zehn Jahre alten Toyota Yaris seiner Gattin passiert ist, war diese Woche Bürgermeister Klemens Olbrich. Der hat sofort die Polizei gebeten, dass Gerät zu sichern und damit eine Strafverfolgung gegen unbekannt eingeleitet, nicht ahnend, dass er damit das technische Gerät, das jeder ohne Schwierigkeiten im Internet bestellen kann, an seine rechtmäßigen Besitzer zurückgeben würde. „Ich habe völlig naiv bei der Polizei angerufen“, sagt er.
Sein Rechtsanwalt Karl-Christian Schelzke brachte ihn auf den Gedanken, dass die Strafverfolgungsbehörden das gleiche Modell einsetzen, wenn sie schwere Straftaten aufzuklären haben. Was nun? Nachfragen in der Polizeidirektion Schwalm-Eder und beim Polizeipräsidium Nordhessen förderten weder vehemente Dementis zutage noch hat auf eine Strafverfolgung jemand wirklich Lust. Paragraf 100 der Strafprozessordnung regelt tatsächlich, dass solche – im Grunde „freiheitseinschränkenden“ – Maßnahmen ergriffen werden können, wenn es um die Strafverfolgung geht. Das „Tracken“ gehört dazu. Unweigerlich dürften Gedanken aufkommen, ob nicht auch andere Autos überwacht werden, vielleicht die „Firmenwagen“ der Stadtverwaltung? Und wie steht es mit Telefonen und Postverkehr?
Ist die Demontage eine Behinderung von Ermittlungen?
Was tut man eigentlich als Bürgermeister in solch einer Situation? Sucht man energisch nach der Quelle? Da niemand Neigung verspürt hat, diese Vermutung zu entkräften, geht Klemens Olbrich zunächst davon aus, dass die Justiz ihn im Visier hat.
Auch wir haben bei der Staatsanwaltschaft Marburg nachgefragt und wurden um Verständnis dafür gebeten, dass man – wenn der Verdacht zuträfe – bei verdeckten Ermittlungen natürlich grundsätzlich nicht öffentlich sagen könne, ob man verdeckt ermittelt. Ja klar! Aber wie verhält man sich als Betroffener nun? Ist es Behinderung der Justiz, wenn in Dienstwagen und in Privatwagen gefundene Peilsender demontiert werden? Muss man das aushalten? Kann man die Polizei trotzdem bitten zu ermitteln, wohin die Daten gesendet werden? Und vor allem, was bedeutet es, wenn die Justiz scheinbar zum „Äußersten“ bereit ist?
nh24 hat sich bei der Polizei etwas ungehört. Klar sagen will das niemand, aber mit der Tatsache konfrontiert kann man schon heraushören, dass die Ordnungshüter „das Ding“ anbringen mussten. Die Montage war hinter einer Abdeckung, die bei Reparaturen schon mal abgenommen wird, allerdings eine suboptimale Ausführung. In moderneren Fahrzeugen lassen sich die Sender tatsächlich besser verstecken, wohl auch in den Polstern, in denen man sie nur sehr schwer findet. Das zusätzliche Batteriefach (siehe Foto) offenbart, dass das Teil möglichst lange Daten übertragen sollte.
Wie in China oder Russland?
Klemens Olbrich war nach eigenen Worten geschockt, als er nach dieser Erkenntnis feststellen musste, dass Polizei und Staatsanwaltschaft seine Wege und vielleicht auch Kommunikation überprüft haben. Das, so der Bürgermeister, habe er nur in Ländern wie Russland oder China für möglich gehalten. „Will man mir unbedingt Beweise unterjubeln“, fragt er im Gespräch. „Ich fühle mich gerade hoch kriminalisiert durch das Eingreifen in meine Privatsphäre. Und seine Frau sei regelrecht traumatisiert. Sie wird schließlich keiner Straftat verdächtigt, aber in ihrem Auto überwacht.“
Hintergrund dürfte eine Hausdurchsuchung bei 30 Personen aus dem Umfeld der Stadtverwaltung sein, um den Vorwurf einer Zeugenbeeinflussung beziehungsweise Anstiftung zur Falschaussage bezüglich eines möglicherweise belastenden Dokumentes in einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung wegen Unterlassung. Auch wenn sich für die Familie Olbrich gerade alles geändert hat, weil alle Kameras und private Computer – sogar mit den wichtigen Medizindaten seiner Frau – beschlagnahmt sind, macht Klemens Olbrich keinen zerstörten Eindruck, wohl aber einen extrem verstörten. Nach 30 Jahren im Dienst als Bürgermeister, ein Zeitraum den nicht viele schaffen, ist diese Konsequenz und Vehemenz für ihn unangemessen. Das kann man nachvollziehen. (Rainer Sander)
5 Kommentare
Der Vergleich mit China oder Russland ist das Dümmste, was ich hier je gelesen habe und disqualifiziert den Verfasser. Da ist das Niveau bei dem Käseblatt HNA ja noch anspruchsvoller. Und das ist seit Jahren nur noch auf Tauchfahrt.
Sorry APAB, aber dieser Beitrag disqualifiziert nur einen. Der Berichtsverfasser hat mit keinem Wort mit China oder Russland verglichen. Hättest du genau gelesen, hättest du dir deinen Kommentar gespart.
Und dennoch finde auch ich die Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden für überzogen. Die Gattin des Bgm. hat offensichtlich mit dem tragischen Fall nichts zu tun. Das ist allerdings mein ganz persönliches Empfinden.
Haben die Strafverfolger nichts Besseres zu tun ? Die sollen sich lieber um richtige Verbrecher kümmern.
Diese ganze Sache beweist nur einmal mehr, wie in diesem Land an den wirklichen
Problemen vorbei gearbeitet wird. Was da für Ressourcen verschwendet werden für dieses traurige Schauspiel. Es ist einfach nur lächerlich und befremdlich, was hier abläuft.
Keines der gestorbenen Kinder wird durch diese unwikliche Schlammschlacht wieder zu seinen Eltern zurückkehren.Keiner der Beteiligten lässt das ganze geschehen einfach so an sich vorüberziehen,doch was jetzt daraus gemacht wird ist mit Worten nicht mehr zu beschreiben.Familien,Freundschaften,Kollegium uvm.wird zerstört.Ein trauernder Ort wird zum Spielball der Presse und auch der (justiz) Muss das sein????
Herr Sander meint wohl, er stünde über der Judikativen. Die Presse meint, sie bestimmt, was Recht und Gesetz ist?
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