Montag, 8. Juni 2020, 22:30 Uhr, Die Story im Ersten
WOLFHAGEN. Ein Kopfschuss aus nächster Nähe. Walter Lübcke sitzt am späten Abend des 2. Juni 2019 noch auf seiner Terrasse. Dass er schon in vielen Nächten dort beobachtet wurde, hat er nie bemerkt. Diesmal drückt der Mörder ab.
Ein Jahr später soll der Prozess diese Tat aufarbeiten. Verantworten müssen sich dann zwei Neonazis, die dem hessischen Verfassungsschutz einst als gefährlich bekannt waren, dann aber aus dem Fokus gerieten. Und das zu jener Zeit, als sie Walter Lübcke wohl zum ersten Mal begegneten. Weil sich der Kasseler Regierungspräsident für die menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten einsetzte, machten Stephan E. und Markus H. ihn im Netz zur Hassfigur weit über die rechtsextreme Szene hinaus.
Die Dokumentation „Tödlicher Hass – Der Mordfall Walter Lübcke“ begibt sich auf die Spuren des Ermordeten und zeichnet die Gewaltbiographie des mutmaßlichen Täters nach. Die Taten von Stephan E. erzählt der Film im Kontext der bestens vernetzten Neonaziszene, entlarvt die Ideologie hinter der Gewalt, macht die lange unterschätzte Gefahr des Terrors von rechts beklemmend greifbar. Die Filmautoren treffen auch eine Frau, die schon 2003 am Rand einer Demonstration von dem mutmaßlichen Mörder angegriffen wurde. Sie schildert ihn als brutal, eiskalt, gefährlich. Sie stoßen auf ein bislang unbekanntes Dokument, das zeigt, wie der mutmaßliche Komplize Markus H. bereits kurz nach dem tödlichen Schuss auf Lübcke wieder am Schießstand trainierte.
Wie konnten die beiden Angeklagten je vom Radar der Verfassungsschützer verschwinden? Wäre der Mord an Walter Lübcke zu verhindern gewesen? Wer oder was ermutigte die Angeklagten, einen Politiker hinzurichten? Nach dem Mord an Walter Lübcke konnten noch weitere rechtsextreme Anschläge nicht verhindert werden. Nicht in Halle, nicht in Hanau, nicht in Celle. Stehen diese Fälle für eine Stimmung in der Gesellschaft, die befeuert wird von rechten Netzwerkern, die Verschwörungstheorien von einem „Bevölkerungsaustausch“ verbreiten? Beim Prozess will Familie Lübcke den Angeklagten in die Augen sehen. „Die Nebenklage ist symbolisch auch ein Engagement gegen Hass und Gewalt, ein Engagement gegen Rechtsextremismus und ein Klima der Angst“, sagt ihr Anwalt den Autoren der Dokumentation. Der Film richtet den Blick auch auf die Mitverantwortung jener, die nie vor Gericht stehen werden. (pm)