FRIELENDORF. Vor Sonnenaufgang schon in die Kirche und singen, still und schweigend Osterwasser holen, den Frühling genießen, von den ersten Sonnenstrahlen wärmen lassen, Ostereier im Freien suchen, Mitmenschen treffen, die Osterandacht hören, Grüne Soße essen, Kaffee trinken… So ganz wie jedes Ostern, war es bisher nicht? Oder doch?
Videotelefonie mit Oma? Kommt darauf an, wie alt Oma ist! Gottesdienst gab es nur im Fernsehen für alle und online sogar mancherorts aus der eigenen Kirche. Spazierengehen? Gefühlt waren die Wälder weit leerer als sonst, auch Ausflüge funktionieren inzwischen bestens am Computer. Schöne Bilder, schöne Videos, die Welt da draußen ist wunderbar aber gefährlich? Oder doch nur verwundbar?
Wir rücken der Natur dort auf die Pelle, wo sie mit Krankheiten reagiert, auf die wir nicht vorbereitet sind, weil wir ihnen normalerweise nicht begegnen. Solange wir sie nicht herausfordern, verschonen sie uns. Es ist unser Bestreben alles in Ordnung zu halten, vorauszuberechnen und zu kontrollieren. Aber dann und wann und gerade jetzt, wo wir auch noch das Klima beeinflussen, erleben wir Jahr für Jahr etwas mehr, wie verwundbar wir sind und wie machtvoll die Natur sich zu zeigen versteht. Der Preis wird stets höher für das, an was wir glauben und glauben im Griff zu haben…
Üblicherweise suchen wir Schuldige und Gründe. Irgendjemand ist schuld, wir auf keinen Fall! Wer ist „wir“? Die Liste ist schon lang. Die Chinesen, Geheimbünde, Juden, Amerikaner, Russen – je nach politischer Position – und schließlich auf jeden Fall Politiker, die zu zögerlich waren, die Grenzen nicht schließen können, keinen Impfstoff befehlen und die Folgen nicht vorhersehen oder andersherum zu vehement reagieren, die Grundrechte aushöhlen und die Wirtschaft ruinieren. Am Ende aber auch diejenigen, die krank sind und den Virus weitertragen, Nachbarn, Arbeitskollegen und schließlich diejenigen auf der Straße, die uns näherkommen als zwei Meter und keinen Mundschutz tragen.
Möglicherweise ist es ziemlich egal, was Politik entscheidet. Das Ergebnis wird stets ähnlich sein, aber Angst und Wut waren schon immer die mit Abstand schlechtesten Ratgeber. Wenn selbst aus Nordkorea, dem Land mit den sichersten Grenzen, von Erkrankungen mit Corona-Symptomen und Sterbefällen berichtet wird, scheint es nicht unwahrscheinlich zu sein, dass es letztlich keinen Schutz gibt. Je besser wir uns schützen, desto länger werden wir wohl etwas von diesem Virus haben, bis am Ende die üblichen zwei Drittel der Bevölkerung immun sind. Vielleicht ist es an der Zeit, die Welt, unsere Gesundheit und unser Handeln insgesamt anders zu verstehen.
Da hilft es womöglich, für einen kurzen Augenblick am letzten Osterfeiertag innezuhalten und nachzudenken. Die Osterbotschaft ist recht einfach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34). Gemeint hat Jesus am Kreuz damit den Pöbel, der ihn ausgeliefert hat genauso, wie die Obrigkeit, die einen Aufrührer loswerden wollte, als auch die Schutzmacht Rom, die dem Unrecht kein Ende setzte.
Ostern ist das Fest der Vergebung. Es ist immer gut, wenn alles vergeben ist, denn nur wer vergeben kann, ist auch wirklich frei. Frei von der Vergangenheit bereit für die Zukunft. Wer gefangen ist in Ärger, Verdruss und Schuldvorwürfen – auch gegen sich selbst – hat kaum Platz für neue Gedanken und bleibt unfrei. Diese Viren kommen in immer kürzeren Abständen und immer vehementer. Vor ihnen davonzulaufen ist kaum die richtige Strategie. Das nächste Virus wird kommen, es ist nur eine Frage der Zeit. Es wäre gut, darauf gefasst zu sein. Für eine stabile Gesundheit können wir alle selbst sorgen, dafür, dass sich etwas ändert gemeinsam auch. Das Verhalten eines jeden ist gefragt. Pontius Pilatus hat am Ende dem Druck des Volkes nachgegeben. „Was ist Wahrheit“, soll er gefragt und dann festgestellt haben, „ich finde keine Schuld an ihm“.
Ostern ist tatsächlich die beste Zeit, um zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die geschehen und deren Sinn man erst viel später begreift da es tatsächlich Situationen gibt, in denen man nicht alles verhindern kann. Zeit, den Druck des Volkes umzukehren. Politiker werden immer nur das machen, das wir wollen. Wir wählen schließlich nur die, die uns versprechen, was wir akzeptieren.
Ostern, wäre nicht Ostern, wenn es nicht tatsächlich weiterginge. Heute ist nämlich Ostermontag, der Tag der Auferstehung und der richtige Zeitpunkt für neue Gedanken, andere Einsichten, veränderte Betrachtungsweisen…
Ihr
Rainer Sander