FRIELENDORF. Wer in diesen Tagen mit selbstbewusstem Schritt Einkaufen geht, erlebt Menschen, die davonlaufen, hinter Regale flüchten oder wiederum andere, die aggressiv reagieren und wütend schimpfen. Wer auf der Straße, im Park oder selbst im Wald spazieren geht, trifft Menschen, die stoppen, die unsicher in Hauseingänge oder zwischen Bäume huschen oder die Straßenseite wechseln. Wir haben Angst voreinander…!?
Viele Leute sind unsicher, wissen nicht, wie sie sich zu verhalten haben, wie sie anderen Menschen begegnen dürfen. Wer akzeptiert was? Blickkontakt wird gesucht, um zu erspüren, „darf ich Dir näherkommen?“ Luftanhalten und im Supermarkt bei 1 Meter schnell vorbeihuschen? Oder warten? Doch besser einen Umweg zwischen den Regalen nehmen?
Geht ums gesund bleiben?
„Wir müssen doch alles tun, damit sich der Corona-Virus nicht verbreitet“, das ist der Satz, den ich gerade am häufigsten höre. Todesangst geht um? Die meisten Menschen, die ich treffe, mit denen ich spreche oder telefoniere, sind der Meinung, dass alles, was jetzt passiert, deshalb geschieht, damit sie selbst nicht krank werden. Das ist – so vermute ich – der größte Irrglaube, der meisten Menschen auf dieser Welt.
Tatsächlich geht es nach wie vor nur darum, die Ausbreitung zu verlangsamen, um Kapazitäten in der Intensiv-Medizin nicht zu überlasten. Drei Hoffnungen knüpfen sich an die aktuellen Einschränkungen:
- Die Verbreitung von Corona geschieht so langsam, dass entweder die Beatmungsplätze diszipliniert nacheinander in Anspruch genommen werden,
- Schnell genug neue Beatmungsgeräte aus den Fabriken kommen oder
- Ausnahmsweise ein Impfstoff innerhalb weniger Monate gefunden, erprobt und in ausreichender Menge produziert wird.
Es gibt viele Vermutungen, viele Theorien (auch abenteuerliche) und Wahrheiten über Corona. Dazu viele Meinungen und viele Interessen, die sich daran knüpfen. Eine unumstößliche Wahrheit ist: wir haben es mit einer Virus-Pandemie zu tun und gegen Viren gibt es keine Medikamente. Viren haben die saublöde Angewohnheit, sich nicht an Grenzen zu halten und sie kennen auch sonst wenig Rücksicht. Zudem sind sie sehr überlebensfähig.
Die Welt anhalten?
Selbst wenn wir die Ausbreitung vollständig stoppen könnten, wofür wir alle miteinander wenigstens 14 Tage (oder länger) gar keinen Kontakt zu gar niemandem haben dürften, wäre der Virus irgendwo noch da. Die ganze Welt müsste das gleichzeitig tun. Und dann würde ein einziger Mensch irgendwo auf der Welt reichen, bei dem der Virus überlebt hat und er wäre sofort wieder unterwegs und würde sich genauso schnell ausbreiten, wie jetzt. Das ist also Illusion…
Es scheint doch die Variante sehr wahrscheinlich zu sein, dass sich der Virus „totlaufen“ muss. Das wird dann der Fall sein, wenn er auf mehr immunisierte Menschen, als auf anfällige trifft. Weil ein Virus sich nicht selbst reproduzieren kann, sondern dafür eine lebenden Wirt, also einen von uns benötigt, der nicht bereits immun ist, stirbt er, wenn wir einen Immunisierungsgrad von 60% bis 70% der Bevölkerung erreicht haben, die der Virus schon einmal befallen hat oder die geimpft wurden.
Diese Erkenntnis dürfen wir unschön finden und sogar richtig „besch…“. Wir können Angst haben und Wut, aber nicht auf die, die jetzt krank sind, das wird nur nichts ändern. Wir können auch darauf hoffen, dass ausnahmsweise einmal ein Impfstoff schneller als nach 18 Monaten gefunden wird oder aber entscheiden, 18 Monate lang die Welt weitgehend anzuhalten. Bitte mal die Augen schließen und überlegen, wie es ist, sich erst in 18 Monaten wieder zu öffnen. Das geht nicht!
Nicht „verschlimmbessern“…
Ja! Aber auch mit Grippe-Viren haben wir JEDES Jahr Kontakt. 25.100 Menschen sind in Deutschland im vorletzten Winter gestorben. Da hätten wir schon das gleiche machen können, wie heute. Haben wir aber nicht. Nächstes Jahr wird wieder eine Grippewelle kommen vielleicht übernächstes Jahr wieder ein neuer Virus. SARS, Vogelgrippe, wir kennen das bereits und die Natur hat mit uns vermutlich noch so einiges vor. Halten wir nun jedes Jahr für 3, 4 oder 5 Monate die Welt und die Wirtschaft an?
Und schon stehen wir vor der Entscheidung: Ruinieren wir unsere Wirtschaft? Vernichten wir Existenzen? „Opfern“ wir Menschen, die sich Überschulden oder vereinsamen?“ Die Telefonseelsorge hat schon erhöhte Nachfrage, Beratungsstellen für andere Notlagen sind geschlossen. Die Kliniken und Arztpraxen „fahren runter“, selbst Krebspatienten bekommen nicht mehr die Versorgung, die sie bräuchten. Wie ethisch ist es, Kollateralschäden zu hinterlassen, um Herr der Lage zu bleiben?
Es gibt weniger Antworten als Fragen. Was bleibt, ist die Logik, dass es stets darauf ankommt, solche Extreme zu vermeiden, die eine Situation „verschlimmbessern“. Morgen mehr zum Thema „Wirtschaft“.
Ihr
Rainer Sander