Polizeiliche Kriminalstatistik für den Schwalm-Eder-Kreis
SCHWALM-EDER-KREIS | MELSUNGEN. Einmal im Jahr gibt es gebündelte Zahlen über Mord und Totschlag, Raub und Vergewaltigung, Diebstahl und Drogensumpf, Einbruchsserien, umherstreifende Clans, Straßenraub, nächtliche Überfälle und Autoaufbrüche. Das Böse lauert überall?
Dass wir uns in einem solchen „Sumpf“ befinden, würde vielleicht sogar einigen gefallen und wer die richtigen Internetseiten anklickt, bei den richtigen Parteien nachschaut, die entsprechenden Facebook-, Social-Media-Kanäle und Foren studiert, wird das Gefühl nicht los, die Welt ist jedes Jahr ein bisschen schlechter, die Sicherheitslage immer noch ein wenig bedrohlicher und dass es besser ist, nachts das Haus nicht zu verlassen. Aber auch dort ist man eigentlich nicht mehr sicher?
Allerdings: Jahr für Jahr belegen die Statistiken genau das Gegenteil. So auch die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2019.
Höchste Aufklärungsquote „ever“, niedrigster Wert bei Straftaten seit 50 Jahren
Noch nie, so verkündeten Hubertus Hannappel (Leiter der Polizeidirektion Schwalm-Eder), Markus Brettschneider Pressesprecher der Polizeidirektion), Dirk Eschinger (Stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei) und Hans-Jochen Ringelhann (Stellvertretender Leiter der Polizeistation Melsungen) vergangene Woche in Melsungen, bei einer Pressekonferenz über aktuellen Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), gab es im Schwalm-Eder-Kreis eine so hohe Aufklärungsquote und seit 1971 Jahren keine solch niedrige Zahl an Straftaten in Relation zur Einwohnerzahl, wie im Jahr 2019. Fast allen Zahlen, die den Landkreis betreffen, bestätigen den Landestrend und sinken teilweise deutlich.
Mit 6.135 zur Anzeige gebrachten Delikten, sind 316 Fälle und damit 4,9 Prozent weniger als noch 2018 (6.451). Die tatsächliche Kriminalitätsbelastung wird durch die sogenannte Häufigkeitszahl ausgedrückt, die die Fälle pro 100.000 Einwohner vergleichbar macht. Sie sank auf den seit 1971 niedrigsten Wert von 3.404 (2018: 3.569). In nur 15 Jahren hat sich die Zahl der Straftaten um 1/3 verringert, denn 2004 waren es noch 9.285 Straftaten. Gleichzeitig hat sich die Aufklärungsquote erneut erhöht und erreichte den Spitzenwert von 66,3 Prozent. Im Bereich des Polizeipräsidium Nordhessen beträgt sie mit 63,7 Prozent etwas weniger und auch landesweit liegt sie mit 65,2 Prozent unter dem heimischen Wert.
Kriminalität wird digital und rechtsnational
Natürlich könnte man noch mehr Polizisten einstellen, vor allem könnte man sie dort hinstellen, wo man sie sieht, an Straßen und Parks. Aber die Kriminalität nimmt dort zu, wo sie nicht sichtbar ist. Aktuell steigen die Fallzahlen im Bereich der Internetkriminalität, allerdings auch bei politisch motivierter Kriminalität, so dass die aktuellen Zahlen vor allem eine Verdoppelung rechts motivierter Straftaten ausweist.
Für den Bereich der politisch motivierten Kriminalität wurden im Jahr 2019 insgesamt 60 Straftaten gezählt, deutlich, nämlich 19 mehr (+46,3 Prozent) als 2018. Unter diesen Straftaten waren drei sogenannte Gewaltdelikte. Die Steigerung der Fallzahlen geht mit 19 Taten quasi allein auf das Konto rechtsgerichtete Straftaten, die von 22 auf 41 angestiegen sind. Dabei spielt das Umfeld bekannter Gruppen, wie in Neukirchen-Seigertshausen und anderen Orten, eine Rolle. Die Links-motivierten Straftaten gingen indes um zwei – auf drei Taten – zurück. Eine Tat fällt unter den Bereich ausländische Ideologie und 15 Taten sind diesen Phänomenbereichen nicht zuzuordnen. Auch das sind für den Schwalm-Eder-Kreis keine dramatischen Zahlen, aber sie zeigen eine deutliche Tendenz.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Landrat Winfried Becker in der letzten Kreistagssitzung 2019 noch Entwarnung hinsichtlich rechts motivierter Straftaten gegeben hatte, nach Vorfällen in jüngster Zeit aber zu Jahresbeginn 2020 plötzlich von einem deutlichen Anstieg sprach. Das Problem hierbei: der Kreis ist außerhalb der jährlich veröffentlichten Statistiken auf Zahlen aus Wiesbaden angewiesen und die dort herausgegebenen Zahlen zeichneten ein harmloseres Bild.
Die Formen der Internetkriminalität umfassen ein breites Spektrum an Delikten und sind kein eigener Deliktsbereich. Betrug im Internet macht einen Großteil der Fälle aus. Die Straftaten werden in anderen Bereichen gezählt und zusätzlich nach Vorkommen im Internet ausgewertet. Die Anzahl der Taten stieg um 171 Delikte auf insgesamt 746 Delikte. Die Aufklärungsquote sank indes von 89,5 Prozent auf 78 Prozent. 600-mal War Kreditbetrug darunter, fünfmal Loves-Scamming.
Enkeltrick und falsche Polizisten
17-mal waren falsche Polizisten aktiv (2018: 18), 45-mal konnten sie ermittelt werden (2018: 44). Der Enkeltrick wurde 48-mal erfolglos angewendet, 2-mal konnten die Täter damit eine größere Menge Geld erbeuten. Derzeit nehmen Delikte mit diversen Gewinnversprechen zu.
Deutlich weniger Wohnungseinbrüche – deutlich mehr scheiternde Täter
Dass man den eigenen 4 Wänden nicht sicher ist, auch nur eine gefühlte Wahrheit. In den 27 Gemeinden des Landkreises wurden 2019 in Summe 114 Wohnungseinbrüche (einschließlich Versuche) registriert. Das entspricht einem Rückgang von 29 Fällen (-20,3 Prozent) im Vergleich zu 2018. Tendenziell gehen die Fallzahlen seit 2015 zurück. In diesem Jahr lagen sie mit 212 fast doppelt so hoch. Die Aufklärungsquote sank im vergangenen Jahr zwar um 17,3 Prozent auf insgesamt nur noch 11,3 Prozent, aber das liegt an der zunehmenden Erfolglosigkeit der Einbrecher. Die – in der Statistik mit gezählten – gescheiterten Wohnungseinbrüche stiegen um 7 Prozent auf inzwischen 51,8 Prozent und hier lässt die geringe Spurenlage meist keine erfolgreiche Täter Ermittlung zu.
Kein einheitliches Bild auf der Straße – Tendenz: fallend
Auch dass man auf der Straße seines Lebens nicht mehr sicher ist, wäre Teil einer Legende. Tatsächlich sinkt die Straßenkriminalität seit 10 Jahren deutlich. Bei der Straßenkriminalität sank der Wert von 1.936 im Jahr 1999 auf 847 gezählte Fälle in 2019. Dies bedeutet ein Rückgang der Fallzahlen um 54 Prozent innerhalb von 20 Jahren. Allein vor 5 Jahren, im Jahr 2014 lag der Wert noch bei 1.289. Im vergangenen Jahr stieg die Fallzahl dennoch geringfügig um 0,5 Prozent an (4 Fälle). Die Aufklärungsquote sank hingegen um 5,1 Prozent auf den Wert von 27,9 Prozent.
In die Kategorie Straßenkriminalität fällt eine Vielzahl von Delikten, die im öffentlichen Raum begangen werden. Rückgänge wurden beim Diebstahl an und aus Kraftfahrzeugen mit -19 Fällen (-14,1 Prozent), beim Taschendiebstahl mit -7 (-41,2 Prozent) und beim Straßendiebstahl mit -18 (-5Prozent) festgestellt.
Beim Straßenraub gab es einen Anstieg um 4 (+57,1 Prozent) auf insgesamt 11 Fälle. Die Fahrraddiebstähle stiegen um 6 (+21,4 Prozent) auf 34 Fälle. Raubüberfälle in Wohnungen sanken von 6 auf 5 Fälle (-16,7 Prozent).
Die Anzahl der Körperverletzungen stieg um 81 Fälle (+13,3 Prozent) auf 692 Fälle. Bei zwei Dritteln der Fälle (462) handelt es sich um einfache Körperverletzungen. Die Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen stieg um 9,6 Prozent auf 80 Taten an.
Man kann sich des Lebens sicher sein!
Apropos, „des Lebens nicht sicher sein“: Bei mehr als 180.000 Menschen im Landkreis gab es 9-mal „Straftaten gegen das Leben“ von Menschen, zwei weniger als 2018 (11). Dabei kamen drei Menschen tatsächlich ums Leben, denn bei sieben Totschlagsdelikten, blieben sechs beim Versuch erfreulicherweise erfolglos. Ein Mord wurde registriert, eine Geisterfahrt mit Todesfolge in suizidaler Absicht auf der A 49. Dazu kam eine fahrlässige Tötung. Wie im Vorjahr konnte nur ein Fall nicht aufgeklärt werden.
Die Anzahl der Körperverletzungen stieg im Berichtsjahr um 81 Fälle (+ 13,3 Prozent) auf 692 Fälle, die Aufklärungsquote blieb mit 93,8 Prozent gleich. Von den 692 Körperverletzungen entfallen 193 (+ 22 Fälle) auf die Kategorie gefährliche/schwere Körperverletzung. 462 Delikte waren einfache Körperverletzung, 25 Delikte fahrlässige Körperverletzung, 11 Delikte Misshandlung Schutzbefohlener und ein Delikt Körperverletzung mit Todesfolge.
Jugendkriminalität rückläufig – trotzdem jeder 5. Täter jugendlich
Der Anteil tatverdächtiger Minderjähriger (bis einschließlich 20 Jahre) sank im vergangenen Jahr um 38 (- 5,4 Prozent) auf 670 (Vorjahr: 708). Die 670 tatverdächtigen Minderjährigen stellen somit 21,2 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen (Gesamt: 3.154).
Die als jugendtypisch bezeichneten Deliktsfelder sind Diebstahlsdelikte und Sachbeschädigungen. Bei den Diebstählen lag der Anteil der minderjährigen Tatverdächtigen bei 28,8 Prozent (34,6 Prozent), bei den Sachbeschädigungen bei 41,5 Prozent (47,4 Prozent).
Auch in weiteren Bereichen sind minderjährige Tatverdächtige überrepräsentiert: Bei den Raubstraftaten stellen sie 25,0 Prozent (46,4 Prozent) und bei den Körperverletzungen 23,5 Prozent (23,7 Prozent) der Tatverdächtigen. Bei den Rauschgiftdelikten blieb der Anteil mit 31,8 Prozent (31,6 Prozent) annähernd gleich. Bei den Brandstiftungen stieg der Anteil auf 48,1 Prozent (38,2 Prozent) (Vorjahrszahlen in Klammern).
Deutlicher Rückgang bei Diebstahl, Anstieg bei Raub, Betrug in Rangliste vorn
Die Gesamtzahl der registrierten Diebstahlsdelikte sank um 261 Fälle (- 14,1 Prozent) auf insgesamt 1.589 Delikte. Die Aufklärungsquote stieg von 36,4 Prozent auf 37,4 Prozent (+ 1 Prozent). Bei den Diebstählen in und aus Wohnungen (keine Einbrüche) sank die Zahl der Delikte von 111 auf 64. Dies ist ein Rückgang um 42,3 Prozent. Der Tageswohnungseinbruch sank deutlich von 60 Delikten auf insgesamt 25 Delikte (- 58,3Prozent).
Die Anzahl der Raubdelikte stieg im Berichtsjahr deutlich um 16 auf 41 Delikte. Dies stellt einen Anstieg der Delikte um 64 Prozent dar. Die Aufklärungsquote bei den Raubdelikten stieg gleichzeitig auf 80,5 Prozent, 33 Delikte wurden aufgeklärt.
Bei den Betrugsdelikten gab es zwar einen Rückgang um 109 Fälle (- 8,5 Prozent) auf insgesamt 1.173 Fälle. Der Anteil der Betrugsdelikte an den gesamten Straftaten beträgt in der Summe immer noch knapp 20 Prozent. Die Aufklärungsquote stieg allerdings um 3,3 Prozent auf insgesamt 73,6 Prozent und liegt damit deutlich über dem Durchschnitt. Bei 622 (Vorjahr 664) Taten handelt es sich um Waren- oder Warenkreditbetrug.
Sachbeschädigung gehen zurück – Sprayer im Aufwind
Die Fallzahlen der Sachbeschädigung sanken im Jahr 2019 um 43 Taten auf insgesamt 736 (- 5,5 Prozent). Die Aufklärungsquote sank von 35,0 Prozent auf 29,6 Prozent. Ein Rückgang war bei den sonstigen Sachbeschädigungen an KFZ (ohne Graffiti) zu verzeichnen. Hier sank die Anzahl von 273 Delikten auf 259 Delikte (- 5,1 Prozent).
Die Anzahl der Graffiti und Farbschmierereien (55 Graffiti, 88 Farbschmierereien) stieg indes um 7,5 Prozent auf 143 Delikte.
Rauschgiftkriminalität konstant – Zunahme von Sexualstraftaten
Im Deliktsbereich Rauschgiftkriminalität gab es einen Rückgang um 7 Fälle (- 1,1 Prozent) auf insgesamt 432 Fälle. Die Aufklärungsquote stieg geringfügig auf 98,1 Prozent (+0,8 Prozent), wobei Rauschgiftkriminalität immer nur dann auffällt, wenn gegen sie vorgegangen wird. Im Jahr 2019 wurde im Schwalm-Eder-Kreis kein Todesfall registriert.
Bei den Straftagen gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab es eine Zunahme um 21 auf insgesamt 138 Delikte (+17,9 Prozent). Die Aufklärungsquote sank um 7,3 Prozent auf 88,4 Prozent. Das Internet spielt in diesem Deliktsbereich eine Rolle. Bei dem Verbreiten pornografischer Schriften gab es eine Steigerung von 28 auf 51 Fälle (+ 82,1Prozent).
Mehr Gewalt und Widerstand gegen Polizeikräfte
Die Zahl der Übergriffe gegen Polizeibeamte blieb im vergangenen Jahr annähernd gleich bei 32 Taten (Vorjahr 33 Taten). Gesunken ist die Anzahl der Polizeibeamten als Opfer. In der Zeit von 2014 bis 2017 sank die Anzahl der Polizeibeamten als Opfer von 67 auf 30. Im Jahr 2018 stieg diese Zahl hingegen auf 64 Opfer an. In 2019 sank die Zahl wieder auf den Wert von 54 (44 männlich, 10 weiblich).
Was auffällt, ist eine zunehmende Aggressivität auch gegenüber Rettungsdiensten und Hilfskräften.
Anteil von Ausländern in der Tatverdächtigenanalyse sinkt
Im Jahr 2019 wurden 3.113 Tatverdächtige ermittelt (Vorjahr 3.154). Der Anteil Nichtdeutscher an den ermittelten Tatverdächtigen betrug in 22,9 Prozent. Damit ist zweiten Mal in Folge seit 2017 der Anteil der Nicht-Deutschen Tatverdächtigen leicht gesunken.
Die Verteilung der Straftaten im Kreis ist gravierend unterschiedlich. Weil entlang der Autobahnen eine Häufigkeit auftritt, allein durch Tankbetrug, liegt Knüllwald mit 2 Rastanlagen und 8.172 Fällen daher tatsächlich an der Spitze der Statistik. Ohne die A7 sähe die Situation allerdings anders aus. Schwalmstadt führt die Statistik mit 6.627 Delikten an, gefolgt von Homberg mit 4.532, Fritzlar mit 4.029 und Melsungen mit 3.492. Körle ist mit 1.115 Fällen die „friedlichste“ Kommune im Landkreis, gefolgt von Schrecksbach (1357 und Jesberg (1461). (rs)
Foto: Markus Brettschneider Pressesprecher der Polizeidirektion Schwalm-Eder), Dirk Eschinger (Stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei), Hubertus Hannappel (Leiter der Polizeidirektion Schwalm-Eder) und Hans-Jochen Ringelhann (Stellvertretender Leiter der Polizeistation Melsungen) © Foto: Rainer Sander