Bernd Gieseking auf Rückblick-Tour in Gudensberg
GUDENSBERG. Da war er wieder, der Gieseking. Für viele, auch für den Akteur selbst, ist der Jahresrückblick „Ab dafür!“ Fester Bestandteil im Jahreskalender. Ein neues Jahr kann eigentlich nicht beginnen, bevor Bernd Gieseking das alte endgültig abgeschlossen hat.
Seit 27 Jahren ist Gieseking mit seinem Jahresabschluss unterwegs und damit tatsächlich einer der wichtigsten Chronisten des letzten Vierteljahrhunderts. Irgendwann wird es heißen, „frag den lieben Gott oder den Bernd Gieseking!“ Diesem Jahr gab es sogar neue Texte, wie der Satiriker, Kolumnist, Kabarettist humorvoll feststellte. Zu einem Jahresrückblick nach Gieseking gehören gelegentliche Flaschen Wein – „es war nicht die erste“ -, der Ostwestfälische Weise „Konfusion“ und das alte Wählscheibentelefon aus der Zeit vor den „Chroniken von Germania“. Der liebe Gott hat – „wir kennen uns“ – diesmal übrigens nicht auf der Bühne angerufen. Joachim Sauer – „wir kennen uns“ – aber auch nicht. Gibt es da Kommunikationsstörungen?
Vertieft man sich in die Seele eines Kalenderjahres
Ob es leicht ist, ein Jahr zu porträtieren, muss man den gebürtigen Ostwestfalen, der teils in Kassel zu Hause ist nicht Fragen. Man muss schon einiges wegstecken und eine gehörige Portion Optimismus aufbringen, vertieft man sich in die Seele eines Kalenderjahres. Bernd Gieseking gelingt das Jahr für Jahr, auch wenn die Realität es Satiriker zunehmend schwer macht noch gegen sie anzukommen. „Philipp Amthor – ‚die CDU arbeitet mit dem Enkeltrick‘ – und Sebastian Kurz werden jeden Morgen von ihren Eltern ins Parlament gefahren“, erklärt der leibhaftige Satiriker den Aufbruch der Jugend in Europas Parlamenten und Regierungen. Ganz im Gegensatz dazu steht Friedrich Merz: „Aschehaufen haben es gerne, wenn man sie für erloschene Vulkane hält“. Auch Konfusion sagt etwas dazu: „Ein Kater, der nicht warten kann, fängt auch keine Mäuse…“
Der Doppelsinn erschließt sich spätestens beim näheren Hinschauen und das tut Gieseking zunehmend perfekt, inzwischen nahezu prophetisch. Den britischen Premierminister spart er aus: „Das große Jahr des Boris Johnson beginnt jetzt!“ Freuen wir uns auf „Ab dafür!“ 2020!
Das Jahr der Frauen (und des Jürgen Klopp)
2019 war das Jahr der Frauen. Greta Thunberg war mit dem Segelboot nach Amerika unterwegs, Ursula von der Leyen ist indes nach Brüssel entkommen. Das Szenario ist bisweilen beängstigend: Frauen wie Luisa Neubauer, Carola Rackete oder eben Greta Thunberg stehen lauter alten Grauen Männern gegenüber, den Bolsonaros, Trumps, Salvinis und Orbans… Die einzige Hoffnung unter den Männern von heute: „Jürgen Klopp“ und natürlich Konfusion: „Würden wir unser Inneres nach außen stülpen, wären plötzlich ganz andere schön.“
Da lohnt es sich, einen Augenblick drüber nachzudenken. Aber auch die scheinbaren Zeichen dieser Zeit bleiben einem Satiriker nicht verborgen. Humorvoll reagieren auf Morddrohungen, online-Hetze und vollzogene Straftaten? „Bei uns setzt nur das Strafgesetzbuch der Meinungsfreiheit Grenzen“, erklärt Gieseking die ewige und unaufhörliche Leier von „man darf hier nicht sagen was man denkt“. Und damit ist an dieser Stelle auch Schluss mit lustig- Bei Morddrohungen gegen Kinder endet die Satire und bei Morden oder Drohungen gegen Politiker folgt die Schlussfolgerung „wer will und soll noch in die Politik gehen?“
Die Finnen sind schuld…
Willy Brandt ruft an. „Freie Liebe, weniger Anzug, mehr Hippie wagen!“ O.K., Gieseking hält dagegen: „Statt Bachelor Professional, Minister Professional“. Danach ist Pause und nach der Pause folgt die Erklärung für den Klimawandel: die Finnen sind schuld, weil sie keine Saunaregeln haben. Und wenn die alle ihre Saunatüren offen stehen lassen dann muss das Eis am Polarkreis schmelzen. Und Greta, die vom Polarkreis kommt? Das Mädchen ist nicht der Gegner, erklärt Bernd Gieseking in aller Ruhe: „Kinder nehmen Dinge ernst und sie dürfen auch nach der Demo Burger essen. „Sie müssen nicht konsequenter sein als ich!“
Nicht ausgelassen werden Themen wie „Künstliche Intelligenz“: „Menschen lassen sich lieber von einem Roboter ersetzen als von einem Menschen. Der Roboter weiß auch nicht, wie man sich Krankschreiben lässt. Wer wirklich krank ist und ins Bett gehört, findet dort die ultimative Apokalypse: „Das Kopfkissen macht CT und die Bettdecke ein MRT. Das Schlimme ist, man kann im System nicht mal mehr den Stecker ziehen, seit man kabellos laden kann…
Der Wolf, Quasimodo und Konfusion…
E-Scooter sind die Pocken der Gegenwart aber der Wolf ist der einzige Verbündete gegen die Waschbären. Der Söder wünscht sich einen Weltraumbahnhof. Was kann noch Hoffnung machen? „Notre Dame ist abgebrannt, bis auf den Glockenturm, wo Quasimodo wohnt…“ Und Resümee? „Der Redner kann ruhig ein Narr sein, Hauptsache, der Zuhörer ist Weise“, weiß Konfusion. Und schließlich überzeugen schlichte Wahrheiten: „Die erste Nacht am Galgen ist immer die schlimmste!“ (Rainer Sander)