Prozessauftakt gegen Bürgermeister Klemens Olbrich
SCHWALMSTADT | NEUKIRCHEN. Wie gefährlich ist ein See? Und zwar per Sé! Wie gut muss ein Gewässer gesichert werden? Diese Frage scheint das Amtsgericht Schwalmstadt zurzeit beantworten zu müssen. Die Fragen, was denn der Unterschied ist zwischen einem Löschwasserreservoir, einem Feuerlöschteich und einem Löschwasserteich, schließen sich daran an.
Seit am 18. Juni 2016 drei Kinder im Teich des Neukirchener Stadtteils Seigertshausen ertrunken sind, ist im Dorf alles etwas anders. Man spricht immer noch darüber, im Teich badet kaum noch jemand, jedenfalls weniger als früher und irgendwie schwebt der Tod noch über dem Dorf. Wenn es Kinder triff, ist es immer tragischer, egal, was passiert ist. Die Mutter wurde damals als verdächtige vernommen, wegen der Aufsichtspflicht, der Bürgermeister, wegen Sicherungspflicht. Dreieinhalb Jahre hat sich die Justiz Zeit gelassen. Heute begann der Prozess gegen Bürgermeister Klemens Olbrich.
Großes Interesse bei Bürgermeistern und Medien
Wenn 13 Medienvertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen im Saal sind, ist das nach über drei Jahren nicht mehr mit Trauer und Entsetzen über den Tod von drei Kindern zu erklären. Das Amtsgericht Schwalmstadt kann kein Grundsatzurteil treffen, aber im Grunde ist es nicht weniger als eine grundsätzliche und wegweisende Entscheidung darüber, ob Freizeitgewässer eingezäunt werden müssen oder nicht. Wer dem Prozessauftakt der Verhandlung gefolgt ist verstand schnell, dass es genau dazu kommen wird, weil niemand 100prozentig sagen kann, wann es gefährlich wird und wann nicht, wenn es ein offenes Gewässer gibt…
Die Last und die Nervosität waren zu spüren und zwar bei allen Beteiligten. Der wegen fahrlässiger Tötung angeklagte Neukirchener Bürgermeister Klemens Olbrich suchte immer wieder Blickkontakt zu seinen Kollegen im Saal. Viele aus der Nachbarschaft, vor allem solche, die einen See im Ort haben, wie Klaus Wagner aus Oberaula oder Philipp Rottwilm aus Neuental zeigten Anteilnahme und Interesse. Staatsanwältin Kerstin Brinkmeier war betont streng und strikt, Verteidiger Karl-Christian Schelzke wandte sich mit einer Portion Ironie schon vor Prozessauftakt direkt an die versammelten Bürgermeister im Zuschauerraum. „Überlegen Sie, ob Sie noch mal antreten, Bürgermeister sind für alles verantwortlich, auch für ungewollte Schwangerschaften!
Der Antrag der Staatsanwaltschaft
Am 18. Juni 2016 ertranken die drei Kinder, resümierte Staatsanwältin Kerstin Brinkmeier, in einem Teich, baulich beschaffen wie ein Löschteich. Einerseits Löschteich, andererseits Freizeitanlage. Nach DIN 14210 sind künstlich angelegte Löschwasserteiche 1,25 Meter hoch einzuzäunen. Der Bürgermeister habe Sicherungspflichten. Der Teich in Seigertshausen sei völlig ungesichert, Badeunfälle waren vorhersehbar. Die Ufergestaltung sei zudem anders beschaffen als bei einem Badeteich. Es sei nämlich schwieriger wieder herauszukommen.
Klemens Olbrich, in Homberg geboren, in Besse aufgewachsen, studierter Jurist, schilderte de Unglückstag selbst als außergewöhnlicher Moment in seinem Leben: „Ich bin traurig und betroffen, die Tragödie vom 18.06.2016 wird mir immer in Erinnerung bleiben.“ Den Moment, als die toten Kinder in einer Garage aufgebahrt waren kann und will er nicht vergessen. Es sei selbst Vater von drei Kindern und könne das Leid nachempfinden. Als die Leitstelle anrief ahnte er bereits nichts Gutes.
Seit mehr als 50 Jahren Freizeitgelände – nie Gefahr gesehen
Das Teichgrundstück, so schilderte der Bürgermeister, wird für Feste und Geburtstage, für gemütliche Feiern und zum Baden genutzt. Auch für Gottesdienste. Er zeigte ein Plakat und eine Postkarte aus den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, die den See schon vor 30 bis 50 Jahren als Badesee zeigen. Er hat sich immer auf die Mitarbeiter im Rathaus verlassen können, auch auf die Feuerwehr. Hätte man den Teich eingezäunt, wären viele Seigertshäuser dagegen gewesen.
Zu keinem Zeitpunkt habe irgendjemand, auch nicht aus dem Dorf eine Gefahr gesehen. Weder Feuerwehr noch Bauamt oder irgendjemand anderes hatte jemals einen Zaun haben wollen. Der 2014 bis 2015 errichtete Beach-Volleyballplatz unterstreiche die Nutzung als Freizeitgelände. Die Entscheidungen über Baumaßnahmen treffe im Übrigen der Magistrat, nicht der Bürgermeister. Der ist in diesem Fall von demokratischen Entscheidungen und „Nicht-Entscheidungen“ abhängig. Aber „auch ich wäre als Vater untröstlich“.
Löschwasserreservoir, Feuerlöschteich oder Löschwasserteich?
Die Anklage stützt sich auf zwei Punkte. Ist es ein Löschwasserteich nach DIN, muss er eingezäunt sein. Ist er es nicht, greift nach ihrer Auffassung zumindest die Verkehrssicherungspflicht. Die Stadt selbst habe den Teich mal als Feuerlöschteich bezeichnet und genau dafür 1976 eine Genehmigung erhalten.
Rechtsanwalt Karl-Christian Schelzke, zugleich Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes erklärte, diese Erlaubnis als Feuerlöschteich lief bereits 1996 aus. Sie war zudem erfolgt, bevor die DIN-Norm eine Einzäunung vorschrieb. Die Norm spricht auch nicht von Feuerlöschteich, sondern Löschwasserteich und dieser ist künstlich angelegt, wenn er der DIN-Norm unterliegt und nicht an ein fließendes Gewässer angeschlossen. Der Seigertshäuser Teich wurde nie als Löschwasserteich bezeichnet, die Grenzebach fließt hindurch und er ist natürlichen Ursprungs.
Die Entwidmung, so Schelzke, erfolgte faktisch. Es gäbe dort eine Grillhütte und andere Freizeiteinrichtungen. Eine weitere Erlaubnis wurde deshalb nicht beantragt, weil mit der Anschaffung eines Tanklöschfahrzeuges die Löschwassersicherheit gewährleistet war. Der Teich diene seitdem als Reservoir, wie jedes andere Gewässer auch. Schelzke: Ein Löschwasserreservoir kann auch ein Swimmingpool sein.
Souveräne und differenzierte Verhandlungsführung
Mit Seelenruhe leitet Strafrichterin Mareike Pöllmann die Verhandlung, obwohl gleich am ersten Tag klar ist, dass Verteidiger und Staatsanwältin keine guten Freunde werden dürften. Dass alles, was mit Wasser gefüllt ist, als Löschwasserreservoir dient, hofft sie im Brandfalle auch. Sie ist bemüht Abläufe, Regelungen und Zusammenhänge zu erfragen.
Der Teich in Seigertshausen war also wohl nie ein Löschteich und im Brandschutzkonzept nur als Reservoir vorgesehen, wenn Tank, Wasserleitung und Bach nicht reichen. Bürgermeister Olbrich erklärt die Abläufe. Sein Anwalt unterstützt: Der Bürgermeister hätte eine solche Baumaßnahme von der finanziellen Größenordnung her gar nicht allein entscheiden können. Wäre vor dem Unglück ein solches Ansinnen vorgetragen worden, hätte sich der ganze Ort gegen den Zaun und für die Erhaltung der Freizeitanlage eingesetzt.
Nicht an jedem schlimmen Ereignis ist jemand schuld oder verantwortlich
Auf die Frage, ob die Gefährdung bekannt war, sagte Olbrich, dass jedes Wasser gleichermaßen gefährlich sei. Die Kinder waren sehr lebhaft und nach den Schilderungen waren sie gern im gesamten Dorf unterwegs. Es gibt einen Treppenanlage mit Geländer, die in den Teich geht. Der Teich wurde aber auch zur Aufzucht von Fischen verwendet. Auf die Frage der Staatsanwältin, ob jetzt gesichert wurde, es läge doch ein Gefahrenpotential vor, antwortete er – mit Verweis auf den Ausgang des Prozesses – mit „Nein“.
Rechtsanwalt Mustafa Büstüm vertritt die Nebenklage von Frau Schneider, die Mutter der Kinder. Ob der Bürgermeister auch präventiv aktiv wird, will er wissen. Reagiert man in dieser Position nur, wenn die Wähler etwas wollen oder aus Verantwortungsbewusstsein bei Gefahrenquellen?
Schelzke erklärte, Paragraf 70 HGO weise dem Bürgermeister eine Verkehrssicherungspflicht zu. Dazu gehöre auch die Sicherung von Ästen. Aber nicht die Anordnung so weitreichender Maßnahmen. Er zitierte die Berggruen-Preisträgerin Martha Nussbaum: „Nicht an jedem schlimmen Ereignis ist jemand schuld oder verantwortlich.“
Betroffene Eltern
Dann kam der Moment, an dem die Eltern gehört wurden. Anja Schneider erzählt von dem Unglückstag, vom Essen und irgendwann waren die Kinder weg, zu welcher Uhrzeit sie es bemerkt hat, weiß sie nicht genau. Die Kinder sollten draußen spielen können, deshalb ist die Familie aufs Dorf gezogen. Zum Teich zu gehen habe sie den Kindern verboten. Bei der Polizei hat sie mal geäußert, der Teich übe magische Anziehung auf die Kinder aus, erinnert die Richterin. Aber ob sie öfter dort waren, weiß die Mutter nicht.
Der Zeuge Asis Tamo ist Vater von zwei der ertrunkenen Kinder. Er lebt in Belgien und bricht bei der Zeugenvernehmung in Tränen aus. Dass alle Kinder aus dem Dorf an den Teich gehen, hat er gehört, aber die eigenen Kinder nicht. Höchstens mit dem größeren älteren Bruder (damals 11 Jahre) waren sie allein im Ort unterwegs gewesen, sonst nur vor der Haustür.
Hilfskräfte hatten es nicht leicht
Ersthelfer Michael-Günter Vaupel erinnert sich genau. Er hat Fußball geschaut, als der älteste Bruder der drei Kinder mit dem Fahrrad kam und sagte, im See schwimme ein Toter. Die Ersthelfer haben versucht wiederzubeleben. Am Auslass hatten sie den Jungen gesehen und Schwierigkeiten ihn zu bergen, weil das Ufer dort gepflastert, vermost und daher rutschig war. Die Nebenklage will wissen, wie er das Gelände wahrgenommen hat. Als Freizeitanlage, sagt er. Er glaubt, dass es heute verboten sei, irgendwo zu baden, wenn es keine Bademeister gibt, was natürlich nicht stimmt. Er selbst habe als Kind auch dort gebadet und im Dorf gelte das nicht als gefährlich.
Martin Teutschmann war als Einsatzleiter der DLRG vor Ort. Es war der schwerste Einsatz bisher. Schon bei der Meldung war es klar, dass es schlimm ist, sagt er betroffen. Bis nach der Bergung der beiden weiteren Kinder nach 15 Minuten war nicht klar, ob noch ein viertes Kind vermisst wird. Die Taucher hatten das Problem, dass sie in den See hinein aber nicht mehr herauskamen. Sie haben sich mit einer Leiter geholfen.
Fünf Prozesstage sind angesetzt
In insgesamt fünf Prozesstagen werden zurzeit und in den nächsten Tagen weitere Zeugen befragt und Prof Dr. Dr. Reinhard Dettmeyer aus Gießen wird als Sachverständiger urteilen, bis Frau Vollmann nach den Plädoyers ihr Urteil spricht.
Sie wird ahnen, was für eine Bedeutung das haben kann: Kein Bürgermeister und kein Magistrat werden sich jemals wieder dem Risiko aussetzen, wegen fahrlässiger Tötung angeklagt zu werden, weil sie eine Gefahr nicht in ihrer Tragweite erkannt haben. Also zäunen wir aus lauter Vorsicht sicherheitshalber zukünftig alle Bäche – die im Gegensatz zum See in Seigertshausen ja auch noch fließen -, Flüsse, Teiche und Seen ein oder bleibt alles, wie es jetzt ist? Ufer, die schwer zu erklettern sind, gibt es an jedem Bach oder Fluss, selbst am Silbersee in Frielendorf, einem ausgewiesenen Badesee, der nur 6 Wochen lang von der Freiwillig von der DLRG betreut wird, gibt es Uferabschnitte, an denen man kaum allein herauskommt…
Ein spannendes Urteil ist zu erwarten, das Karl-Christian Schelzke lieber gleich von einer höheren Instanz bekommen hätte. Es könnte unser Freizeitverhalten deutlich beeinflussen… (Rainer Sander)
3 Kommentare
Alle Bürgermeister sollten Ihre Ämter niederlegen bin mal gespannt was dann los ist im Lande !!!!!
Man muß ja immer damit rechnen dann man für Fehler anderer belangt wird !!
dem Bürgermeister jetzt zum Sündenbock machen ist schon dreist, wenn man Kinder hat sollte man drauf aufpassen!!!!
Alle schreinen jetzt nach einen Zaun das ist doch lächerlich !!! Kinder klettern auch über einen Zaun !!!! so wie wir früher auch auf Bäume geklettert sind !!!
es muss jetzt auf biegen und brechen ein schuldiger gefunden werden.
am besten man zäunt die ganze brd ein damit keinem mehr was passieren kann.
klar es ist eine scheckliche tragödie aber leider passieren solche unfälle jeden tag auf dieser welt.
jetzt dem bürgermeister die verantwortung dafür zuzuschieben ist schon paradox.
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