Wie drastisch darf sich ein Kommunalparlament äußern?
SCHWALMSTADT. Es ist schwer, ein Anliegen abzuschmettern, das die EU bereits flächendeckend für das vereinte Europa festgestellt hat, nämlich den Klimanotstand. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat folgende Feststellung beantragt und damit die Stadtverordneten offensichtlich in Bedrängnis gebracht:
„Die Stadtverordnetenversammlung Schwalmstadt ruft den Klimanotstand aus. Sie erkennt damit an, dass akute und gegenwärtige Gefahr für das Klima und das Leben der Menschen durch den Klimawandel und seine Folgen besteht und Maßnahmen zum Klimaschutz dringend ergriffen werden müssen. Die Stadtverordnetenversammlung beauftragt den Magistrat, einen (mit 65% durch das Land geförderten) Klimaschutzbeauftragten einzustellen.“
Alles dem Klimaschutz unterwerfen
Dieser soll bestehende Konzepte für Klima und Ökologie auswerten und ein Klimaschutzkonzept erarbeiten. Es soll Maßnahmen voranreiben, die dem Klimaschutz dienen, beispielsweise in öffentlichen Gebäuden, im Radverkehr, im ÖPNV, bei einer zukunftsorientierten Wirtschaftsförderung und insbesondere in Gewerbegebieten oder Neubaugebieten. Jährlich soll er über die Folgen des Klimawandels für Schwalmstadt berichten. Künftige Beschlüsse soll er auf ihre Auswirkungen für das Klima prüfen und Beratungsmöglichkeiten durch Fachleute schaffen.
GRÜNE: Ohne Geschwurbel annehmen
Ruth Engelbrecht (B90/GRÜNE) möchte, dass der Antrag ohne Geschwurbel angenommen wird. Es gäbe die Verpflichtung, den Kindern eine Welt zu hinterlassen, in der sie leben können. „Die Blumen“, so erklärte sie in Anspielung auf eine frühere Kritik an ihr, „brauchen die Menschen nicht, wir brauchen die Blumen“.
FW: GRÜNE handeln anders als sie fordern
Thomas Kölle (FW) konstatierte nüchtern: „ja, das Klima liegt am Arsch!“ GRÜNE bauten Windanlagen im Reinhardwald, Autobahnen und anderes, was klimaschädlich sei, also könne von Klimanotstand keine Rede sein.
GRÜNE: Verwaltung braucht Fachkompetenz
Dr. Jochen Riege (B90/GRÜNE) reagierte darauf. Windkraft sei zentraler Bestandteil der Klimapolitik. Ohne erneuerbare Energien wäre Deutschland blank. Mit einem Wort wie Notstand solle man nicht inflationär umgehen, aber es bestehe eine existenzielle Gefahr. Die Verwaltung brauche dafür Fachkompetenz.
FDP: Auch Finanznotstand oder Notstand der Generationengerechtigkeit
Dr. Constantin Schmitt (FDP) kann dem Ansinnen zustimmen. Trotzdem habe die FDP Probleme damit, dass die Stadt nicht die richtige Ebene sei. Das Thema Klimanotstand sei in Brüssel und auf Bundesebene richtig aufgehoben. Klimanotstand hieße, auf vieles zu verzichten, vom Industriepark bis zur Kinderbetreuung. Man könne dann auch den Finanznotstand oder Notstand der Generationengerechtigkeit ausrufen. Es gelte vielmehr, pragmatische Lösungen zu finden. Der Antrag sei zu drastisch.
SPD: Andere Ansiedlung eines Klimaschutzbeauftragten
Sebastian Vogt (SPD) möchte interkommunal denken und die Stelle im Zweckverband ansiedeln. Michael Schneider (SPD) würde lieber bei der nächsten Besetzung einer Stelle im Bauamt, die geforderte Qualifikation berücksichtigen.
CDU: Selbst hinterfragen
Markus Theis (CDU) ist sicher, man sei in Sachen Klima weitgehend einer Meinung. Die Stadtverordneten müssen sich immer wieder selbst hinterfragen.
Dr. Jochen Riege (B90/GRÜNE) erklärte für seine Fraktion, man könne auch der Variante, die Qualifikation bei der nächsten Stellenbesetzung im Bauamt zustimmen. In den Ausschüssen war zuvor ein Änderungsantrag beraten worden, der den Begriff des Klimanotstandes entfernt hat und stattdessen davon spricht, dass sich die Stadtverordneten akuter Gefahren für das Klima bewusst sind. Mit dieser Änderung stimmten SPD und GRÜNE dem Antrag zu und damit existiert nun in Schwalmstadt zumindest die Gefahr des Klimanotstandes… (Anmerkung: Die Änderungen aus den Ausschüssen lagen der Presse oder zumindest einem Teil der Presse nicht in der Sitzung vor). (rs)