Info-Talk „Essen ist politisch“ – mit Sarah Wiener und Martin Häusling
BAD ZWESTEN. Für Donnerstag hatten der Ortsverband Bad Zwesten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN öffentlich zum Info-Talk mit Fernseh-Köchin Sarah Wiener und Biobauer Martin Häusling eingeladen. Beide vertreten die Öko-Partei als Abgeordnete im Europa-Parlament.
In der Einladung stand: „Gemeinsam möchten sie über den Zustand der Landwirtschaft und die Auswirkungen unserer Ernährungsgewohnheiten informieren und mit Ihnen diskutieren. Essen, so der Text weiter, ist in Zeiten des Klimawandels nicht nur eine Frage des Geschmacks und der Vorlieben. Mit unserem Einkauf nehmen wir Einfluss auf die gesamte Lieferkette vom Acker bis zum Teller, und damit auch auf unsere Umwelt und unsere Gesundheit – heute und für die Zukunft. Darf unser Essen weiterhin eine Weltreise machen? Wollen wir hochverarbeitete Nahrungsmittel aufgetischt bekommen, von denen wir nicht nachvollziehen können, was drinsteckt? Oder sollen wir lieber gesunde Lebensmittel von regionalen Produzenten essen, um damit im besten Fall noch einen akzeptablen CO2-Fussabdruck zu hinterlassen?“
Wer sind WIR und was ist UNSER Interesse?
Wer ist „Wir“ und wer ist „Unser“? Die Frage geht von einem bewussten Umgang Aller mit dem Thema Ernährung um. Mit der Einleitungsfrage war zwar vorgegeben, was gerade Thema ist, aber auch bereits klar, dass es keine schlüssige Antwort geben wird. Die Diskussion gestaltete sich entsprechend lebhaft. Zusätzlich Zündstoff gab es, weil der Bad Zwestener Martin Häusling noch kurz zuvor den Bauern – gemeint waren die konventionellen – die Vergiftung des Bodens und die Vernichtung von Arten vorgeworfen hat.
In der Woche, in der die Landwirte wegen der bundesdeutschen Politik mit ihren Traktoren bis nach Berlin gefahren waren, fiel der Weg mit schwerem Gerät bis vor das Kurhaus Bad Zwesten vergleichsweise leicht. Auf dem – durch Bauarbeiten ohnehin eingeschränkten – Parkplatz machten sich „Grüne Ungetüme“ breit. Im Saal waren „Grüne Politiker“ nicht ganz so unbeweglich. Aber schnell wurde klar, dass einerseits zwei Welten aneinandergeraten, wenn konventionelle und ökologische Landwirtschaft aufeinandertreffen, Bauern eine deutliche Sprache sprechen und dass sie andererseits immer auch eine Menge gemeinsam haben.
Ernährung hat immer etwas mit Bildung zu tun
Ein Landwirt, zugleich Metzgermeister, stellt in der Diskussion fest, dass 90 Prozent der Menschen egal ist, was sie Einkaufen und hat damit irgendwie vermutlich recht. Eine andere Diskussionsteilnehmerin ist es leid, dass Verbraucher immer wieder für niedrige Preise – aufgrund ihres Einkaufsverhaltens – verantwortlich gemacht werden. So könnte es aber sein und natürlich kann man dabei steuern. Es kann aber nur funktionieren, wenn die Menschen dafür Bewusstsein entwickeln.
Sarah Wiener gelingt es immer wieder, die Diskussion auf den Punkt zu bringen. Als Köchin wisse sie gar nicht, was eine Tütensuppe mit 2 Prozent Trockenfleisch überhaupt sein soll. Und sie weiß, dass gesunde Ernährung auch immer mit dem Bildungsstand korrespondiert. In der Sarah Wiener Stiftung kocht sie mit Kindern, die dann schnell begreifen, die Natur wertzuschätzen und den Wert von Nahrung zu begreifen. Aber als die Frage aufkommt, was die EU für die Bildung tut, muss Martin Häusling passen: „Dafür ist sie nicht zuständig!“ Stimmt!
Pflanzengift ist kein Pflanzenschutz
Manchmal scheint es eher eine Glaubensfrage zu sein. Die einen, so wird deutlich, sehen sich in der Verantwortung, die ganze Welt satt zu machen und sprechen von Pflanzenschutzmitteln, die anderen, wie Häusling, sehen die Lebensgrundlagen gefährdet und stellen fest, dass ein Mittel, das Leben tötet kein Insektenschutz- oder Pflanzenschutzmittel sein kann. Es ist aber mehr als ein semantisch-sprachliches Problem.
Coolness gegen Emotion und Sachlichkeit
Während der einerseits-noch-Landwirt-aber-andererseits-Politiker Häusling cool und abgeklärt reagiert, politisch Andersdenkende nicht anschaut und von der vermuteten Lösung her rückwärts denkt, merkt, er vielleicht gar nicht mehr, dass er damit genau das Bild des abgehobenen, bürgerfernen Politikers transportiert, bis es ihm ein streitbarer Landwirt aus Römersberg sagt: „Ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem zu reden, der mich nicht anschaut.“
Der Gegenpol ist Sarah Wiener, die – medienerprobt und noch nah an der Scholle – als „Auch-Landwirtin-und-Fernsehköchin“ noch in der Lage ist eine Diskussion wieder einzufangen. Landwirte sind schließlich alle auf Bienen und Biodiversität angewiesen, Eine Kuh, sagt Frau Wiener, frisst nun mal von Natur aus weder Soja noch Mais. Man soll Kühe doch das fressen lassen, wofür sie gemacht sind. Es sei doch ein Wunder der Schöpfung, dass überall etwas wächst… Nicht die Kuh ist der Klimakiller, sondern der Mensch. Ein falsches System mache Kühe krank.
Regionales Denken gegen Globalisierung?
Es ist immer gefährlich, denn wenn es scheinbar nur eine Lösung gibt und niemand erklärt, dass das immer auch etwas mit dem Preis zu tun haben wird, den man entweder als Steuergeld an die EU zahlt (romantische Erinnerungen an alte EU-Subventionen poppten nämlich auch wieder auf) oder eben unmittelbar an der Ladentheke. Dann kommen meistens Menschen, die eine einfache Lösung präsentieren und behaupten, dass man alles schnell anders machen kann, wenn man nur die Köpfe „da oben“ austauscht und die Globalisierung per Dekret ausschaltet. Während der Verbraucher über Amazon & Co in China bestellt. Aber der Hinweis eines Diskussionsteilnehmers, dass Sarah Wiener (als Gebürtige Österreicherin) eine Außerdeutsche sei, wurde immerhin mit Raunen quittiert.
Eine schöne Idee kam aus dem Publikum auf: Wenn die 1 Million Nordhessen jeden Tag einen Euro für Lebensmittel ausgeben, die wirklich aus Nordhessen kommen, sprechen wir über 365 Millionen Euro jährlich, um hier für einen funktionierenden und gesunden Kreislauf zu sorgen… (rs)