Kreistag Schwalm-Eder beschäftigt sich mit CDU-Berichtsantrag
HOMBERG | BORKEN. Mit „Rechten Tendenzen“ hat sich der Kreistag Schwalm-Eder gestern in Borken (Hessen) beschäftigt. Anlass: Ein Berichtsantrag der CDU-Fraktion aus der Sitzung im September.
Die CDU hatte wissen wollen:
- Welche Netzwerke des rechtsextremen politischen Spektrums sind im Schwalm-Eder-Kreis mit welchen Aktivitäten aktiv? A) Wie steht es um die Aktivitäten der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“? B) Was ist über Aktivitäten der Identitären Bewegung im Schwalm-Eder-Kreis bekannt? C) Was ist über die Partei „Die Rechte“ im Schwalm-Eder-Kreis bekannt? D) Gibt es weitere bekannte Netzwerke oder Organisationen aus dem rechtsextremen Bereich?
- Ist bekannt wie viele gewaltbereite Menschen in diesen Netzwerken im Schwalm-Eder-Kreis aktiv sind?
- Wie viele Reichsbürger gibt es im Schwalm-Eder-Kreis und wie viele von diesen sind im Besitz einer Waffenbesitzerlaubnis?
- Wie haben sich allgemein die Aktivitäten rechter Netzwerke im Schwalm-Eder-Kreis in den vergangenen Jahren hinsichtlich beteiligter Personenzahl, öffentlicher Sichtbarkeit und strafrechtlich relevanter Handlungen entwickelt?
Landrat Winfried Becker beantwortete jetzt die Fragen und betonte, dass es nichts gäbe, was nicht schon einmal in der Presse erwähnt worden wäre. Positives zu Beginn des umfassenden Vortrages: Das Netzwerk des Kreises „Gewalt geht nicht“ arbeitet präventiv, im Verfassungsschutzbericht taucht der Schwalm-Eder-Kreis nicht auf.
„Rechte-Schulung“
- Freie Kräfte Schwalm-Eder? Die Rechtsextreme Szene hat sich verändert. Es gibt ein loses Netzwerk aber keine festen Kameradschaften mehr. Seit fünf Jahren lassen sich keine Aktivitäten mehr beobachten
- Identitäre? In 2017 wurden Aufkleber der Identitären Bewegung an fünf Schulen im Landkreis verteilt und Plakate geklebt. Ein Mitglied sei in 2017 wegen Sachbeschädigung rechtskräftig verurteilt worden. Die Bewegung versuche Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft zu finden. Auffällig waren in der Vergangenheit die Aktivitäten in Homberg und Schwalmstadt. 2018 tauchten in Melsungen Plakate auf. 2019 wurden Flugblätter in Fritzlar verteilt.
- Partei die Rechte? Bis zum Europawahlkampf war die Partei im Kreis nicht bekannt. In Neukirchen tauchten bei der Europawahl 2019 Plakate auf, die Bürgermeister Klemens Olbrich entfernen ließ. Nichtsdestotrotz, zwei Vorstandsmitglieder der Rechten stammen aus dem Schwalm-Eder-Kreis. Eine Veranstaltung in Neukirchen, so Becker, konnte verhindert werden. Zeitgleich (vermutlich unbeobachtet von Kreisausschuss und Kreistag) stellte die Partei einen Artikel auf ihrer Internetseite online, in dem sie über eine Rechte-Schulung berichtet. Ein nettes Wortspiel, denn bei der Schulung ging es darum, Rechten ihre Rechte zu erklären, weil die Polizei die Geburtstagsfeier eines Mitglieds in Neukirchen unangenehmerweise „besucht“ hat (wir berichteten hier ).
- Reichsbürger? 700 Reichsbürger, so Becker gibt es vermutlich in Hessen, der Schwalm-Eder verzeichnet mit 41 bis 50 die zweithöchste Zahl in Hessen. Die Angabe „von-bis“ zeigt, wie schwer die Rechte Szene zu kontrollieren ist. 55 Reichsbürger aus Hessen besitzen – nach Daten des Verfassungsschutzes – eine waffenrechtlicher Erlaubnis. Davon sind 7 im Schwalm-Eder-Kreis zuhause. Eine weitere Zuordnung wird vermutet.
Straftaten nur aus der „PKS“ – und die allgemeine Entwicklung?
Identitäre, Reichsbürger, das Haus Richberg, das nach langjährigem Besitz von Manfred Roeder (verurteilter, verstorbener Rechtsterrorist) von Lady Renouf. einer bekannten Holocaust-Leugnerin erworben wurden hatte man stets in Beobachtung.
Quelle für Straftaten ist nur die Polizeiliche Kriminalstatistik. Von 2009 bis 2015 verlaufe die Kurve stagnierend. Ein Anstieg war in 2016 – vor dem Hintergrund der Flüchtlingszunahme – zu beobachten, es gibt seitdem mehr Hasspostings. Dem Kreis liegen darüber hinaus keine Erkenntnisse vor. Zu beobachten sei gleichwohl eine Enttabuisierung von Themen und Alltagsrassismus. Es gelte darauf achtzugeben und für die Demokratie zu streiten.
Die Fraktionen
- Günter Rudolph (SPD) stellte in der Debatte fest, dass auch im Schwalm-Eder-Kreis der Rechtsextremismus ein Thema ist. Bei Wahlen gab es eine lange Periode mit der Präsenz rechter Parteien. Gestern, Rudolph, wurde Walter Lübcke die der Wilhelm-Leuschner-Medaille geehrt. Er habe nicht gedacht, dass in Nordhessen jemand auf seiner Terrasse ermordet wird, weil er eine Lebenseinstellung geäußert hat, die die meisten Menschen so verinnerlicht haben. „Man wird ja wohl noch mal sagen dürfen…“, sei ein vielgeäußerter Satz „Ja! Man wird aber auch mal antworten dürfen auf das, was gesagt wird!“ So der Landtagsabgeordnete. Und weiter: „Die Demokratie muss wehrhaft sein, das ist eine Erkenntnis aus dem Nationalsozialismus!“
- Jochen Böhme-Gingold (LINKE) findet die Zahlen des Landesamtes für Verfassungsschutz unzureichend, weil sich die Behörde darum nicht ausreichend kümmert. Man wisse mehr, als geäußert wird. Es gäbe eine Gruppe Nordkreuz mit 25.000 Menschen als Anhänger. Auch Süd- und Westkreuz seien aktiv. Diese Gruppen planten die Tötung von Menschen. Heute Walter Lübcke, morgen Frank Jansen (Journalist)? Die Frage habe bereits im Raum gestanden.
- Reinhard Otto (CDU) Sagte „Danke!“ für den sehr umfassenden Bericht und bestätigte die Worte des Landrates: „Alle sind aufgerufen, die Demokratie muss wachsam sein!“
- Wiebke Knell (FPD) kommt aus Neukirchen und in dieser Stadt mache man seine eigenen Erfahrungen. Hass finde auch gegenüber Kommunalpolitikern statt. Die Gesellschaft müsse stärker werden: „Es kann nicht sein, dass man nichts tut, weil es sich nicht lohnt, gegen Täter vorzugehen!“
- Marcel Breidenstein (B90/GRÜNE) erinnerte an das frühere Auftreten der „FKS“. die Freien Kräfte Schwalm-Eder hätten sogar Behinderte in Einrichtungen angeschrieben, sie sollten sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zur Vergasung melden. Auch Kommunalpolitiker hatten jüngst bedrohliche Post in den Briefkästen, wenn sie Flüchtlingen geholfen haben.“
Renate Glaser kann nicht ehrenamtliche Richterin werden
An der Diskussion nicht beteiligt hat sich die AfD, die sich aber den gesamten Kreistag über nicht zu Wort gemeldet hat. Wenige Minuten zuvor war die Fraktionsvorsitzende der AfD, Renate Glaser, als einzige nicht auf die Vorschlagsliste für die Benennung von ehrenamtlichen Richtern beim Verwaltungsgericht Kassel gewählt worden. (rs)