Kreistag Schwalm-Eder: Berichtsantrag nach Todesfällen und zu Schlachthäusern
HOMBERG | BORKEN (HESSEN). Überall außerhalb Nordhessens würde man bei „Alte Wurst“ und und „Gammelwurst“ auf zwei Begriffe für das Gleiche Produkt tippen. Hier ist Ahle Wurscht ein Kulturgut und Gammelwurst kann lebensgefährlich sein. Beides hängt manchmal trotzdem irgendwie zusammen.
Beunruhigung in der Bevölkerung
Der Kreistag Schwalm-Eder hat sich ein seiner gestrigen Sitzung unter anderem mit den Lebensmittelkontrollen und den Schlachthöfen beschäftigt. Vor dem Hintergrund des Skandals rund um die Firma Wilke im Kreis Waldeck-Frankenberg wollten die Fraktionen der SPD und der FWG folgendes wissen:
- Welche Betriebe und Betriebsarten im Zuständigkeitsbereich der Lebensmittelkontrolle des Schwalm-Eder-Kreises kontrolliert werden müssen.
- Nach welchen Standards werden diese Lebensmittelkontrollen durchgeführt und wie laufen diese Kontrollen ab.
- Wie hoch ist die Anzahl der durchgeführten Kontrollen, auch in Bezug auf die zu prüfenden Betriebe im Schwalm-Eder-Kreis?
- Wie ist Personalausstattung der Lebensmittelüberwachung im Zuständigkeitsbereich des Schwalm-Eder-Kreises?
Als aktives Controlling sollte es verstanden werden, wenn die Frage von den beiden „Regierungsparteien“ im Kreis eingebracht wird. Markus Opitz (FWG) erläuterte die Anfrage und machte klar, dass Beunruhigungen in der Bevölkerung – auch durch Meldungen bei „Hessenwarn“ verständlich seien. Hinweisen müsse man nachgehen, Durchführungen auf Erfolg überprüfen.
2673 Betriebe aus 93 Betriebsarten werden überprüft
Der Erste Kreisbeigeordnete Jürgen Kaufmann beantwortete die Fragen: Im Schwalm-Eder-Kreis gibt es 2673 Betriebe aus 93 Betriebsarten, die zu überprüfen und zu beproben sind. Neben den klassischen Lebensmittelbetrieben wie Fleischereien und Bäckereien gehören dazu auch Küchen in Schulen und Kindergärten, aber auch Kaffeeröstereien oder Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln. Bei 1.874 Betrieben unterliegen sowohl Produktion als auch der Handel der Lebensmittelüberwachung und bei 799 Betrieben werden auch Proben durch das Landeslabor entnommen. In 2 Groß-, 21 mittleren und 15 Kleinbetrieben sind amtliche Fachassistenten oder Tierärzte des Kreises tätig.
Auf Grundlage des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), EU-Verordnungen zur risikoorientierten Kontrolle sowie der Arbeitsanweisung Betriebskontrolle werden Kontrollen auf jeder Stufe der Produktion immer von 2 Personen nach dem 4-Augen-Prinzp durchgeführt und die Zuständigkeiten nach dem Rotationsprinzip gewechselt. Interessenskonflikte werden so vermieden und außerdem wird ohne Vorankündigung kontrolliert, außer wenn Unterlagen vorgelegt werden müssen. Mache Kontrollen erfolgen sogar täglich, andere nur alle 3 Jahre. Zielgruppe oder Relevanz entscheiden, Babynahrungshersteller werden öfter kontrolliert als Kioske.
30 Millionen Hähnchen- und 90.000 Großtierschlachtungen
Ausführlich erläuterte Kaufmann die Abläufe von der Vorarbeit und Auswahl, Zweck und Umfang bis zu Festlegung von Sanktionen. Die Besichtigung des Grundstückes oder eine Überprüfung der Mitarbeiter werden genauso einbezogen, wie die der Eigenkontrollen eines Betriebes. Bei Risiko erfolgen Probenentnahmen und gegebenenfalls Untersagungen. Alle Kontrollen werden dokumentiert.
Im Jahr 2018 wurden bei 1.872 zu kontrollierenden Betrieben 1.581 risikobewertete Kontrollen durchgeführt und damit das Soll zu 100 Prozent erfüllt. Außerdem wurden Betriebe kontrolliert, die der Schlachttier und Fleischhygiene unterliegen: In zwei Großbetrieben werden 30 Millionen Hähnchen, 68.000 Schweine (zukünftig 130.000) und 765 Rinder geschlachtet. In 21 Mittleren und 15 Kleinbetrieben wurden weitere 17.000 Schweine und 722 Rinder geschlachtet.
7 Mitarbeiter im Einsatz
Kaufmanns Resümee: Die Lebensmittelüberwachung und Kontrolle sei gut aufgestellt, zu den 7 zuverlässigen Mitarbeitern (6,37 Stellen) kann man Vertrauen haben. Mängel werden beseitigt und auch mal – wie bei der Großbäckerei Brede – ein Betrieb geschlossen. Ein Betrieb hat dieses Jahr schon nach einer Salmonelleninfektionen geschlossen. Man müsse auch bereit sein, einen höheren Betrag zu bezahlen, schließlich habe sich die Zusammenlegung von Gesundheits- und Veterinärwesen bewährt.
Die Fraktionen dazu:
Reinhard Otto (CDU) gratulierte dazu, dass vernünftig kontrolliert wird: „Es bedarf noch mehr unangemeldeter Kontrollen. Eigenkontrolle hat nicht immer funktioniert. Unabhängige staatliche Kontrolle muss erfolgen, auch wenn das Mehrarbeit ist.
Wiebke Knell (FDP) erinnerte daran: „heute vor zwei Monaten wurde Wilke viel zu spät geschlossen!“ Es habe Versäumnisse des Ministeriums gegeben: Der Skandal im Skandal. Es habe, so Knell, eine Zeit gegeben, in der man nicht die Sorge hatte, gesundheitsgefährdende Produkte zu kaufen. Das müsse wieder so werden. Zahlen zeigen, mit wie wenig Mitarbeitern so viele Kontrollen durzuführen sind. Man solle aber nicht nur Veterinäre zur Kontrolle einsetzen, die das Thema in der Ausbildung nur streiften. Gelernte Fleischer und Bäcker wären zudem billiger.
Hermann Häusling (B90/GRÜNE) sieht die Situation kritischer: „Auch der Kollege in Waldeck Frankenberg hätte vor einem halben Jahr noch gesagt, dass alles in Ordnung ist. Man habe in Gudensberg den größten Schlachtbetrieb für Hähnchen in Hessen und es stünden Seuchen vor der Tür, wie die afrikanische Schweinepest, mahnte er.
Dr. Martin Herbold (SPD) verglich die beiden Landkreise miteinander: „Es läuft anders und besser im Schwalm-Eder-Kreis. Fachpersonal sorgt für Sicherheit und 7 Vollzeitstellen sind alle besetzt.“ In Waldeck Frankenberg seien nur halb so viele Mitarbeiter beschäftigt und die müssten zudem noch mehr Betriebe kontrollieren
Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (LINKE) unterstützte Reinhard Otto, der gesagt habe, dass die Landeregierung mehr Mittel zur Verfügung stellen müsse. Bei Wilke wären auf allen Ebenen Fehler gemacht worden. Man könne heute noch nicht wissen, ob man nicht irgendwo auf Wilke-Produkte trifft. „Die Ketten sind bis heute nicht öffentlich“.
Die abschließende Behandlung in den Ausschüssen wurde einstimmig beschlossen.
Schlachtstätte erhalten
Nach einem Ammoniakaustritt wurde der Schlachthof Bad Wildungen zunächst geschlossen. nh24 hat berichtet. Die CDU hat vor diesem Hintergrund eine Resolution mit folgendem Wortlaut eingebracht:
„Nach der vorgenommenen Stilllegung des Schlachthofes Bad Wildungen und der durchgeführten endgültigen Schließung des Schlachthofes Kassel ist keine regionale Schlachtung in dieser Region mehr möglich. Für die landwirtschaftlichen Betriebe der Region, insbesondere für die Direktvermarkter im Haupt- und Nebenerwerb, ist eine nahegelegene Schlachtstätte in der Region Bad Wildungen/Fritzlar von besonderer Bedeutung für die Vermarktung ihrer Tiere. Deshalb unterstützt der Kreistag des Schwalm-Eder-Kreises alle Maßnahmen die schnellstmöglich wieder eine regionale Schlachtung ermöglicht. Für eine regionale Vermarktung sollte auch eine regionale Schlachtstätte vorhanden sein. Auch im Interesse des Tierwohls ist der Erhalt regionaler Strukturen aus unserer Sicht unerlässlich.“
Fordern kann man viel, aber von wem eigentlich, drängt sich dem Betrachter unweigerlich als Frage auf. Die Fraktionen sahen das so:
Die Fraktionen:
Hartmut Spogat: (CDU): Im August sei er mit Jürgen Kaufmann in Waldeck-Frankenberg gewesen. Deb Schlachthof müsse man weiterbetreiben oder neu bauen, um kurze Wege zu garantieren. Das könne auch in Fritzlar geschehen. Ahle Wurscht sei ein Markenbegriff für die Region.
Frank Börner (SPD): Betrat mit Ahler Wurscht in der Hand ans Rednerpult: „Ohne sie fahre ich nicht in den Urlaub.“ Kenner wüssten es, sie müsse warm verwurstet werden: „Wie soll das gehen, wenn es keinen Schlachthof gibt?“ Die SPD unterstütze die Resolution der CDU ausdrücklich. „Wir müssen regional produzieren können, der Schlachthof Bad Wildungen muss erhalten bleiben.“
Lothar Kothe (FWG) sah das anders: In Kassel war keiner bereit zu retten. In Marburg, Heiligenstadt und Fulda wird jetzt geschlachtet und die Firme. Helwig (Anmerkung der Redaktion: Helwig Handels GmbH & Co KG) in Schwalmstadt erweitere bereits für mehr als doppelt so viele Schweine: „Resolutionen ohne Bereitstellung von Geld machen keinen Sinn!“
Wiebke Knell (FDP) findet, der Antrag sei zu dünn. Frank Börner forderte sie auf, Ahle Wurst aus der Schwalm zu kaufen, die sind deutlich dicker.
Hermann Häusling (B90/GRÜNE) findet es gefährlich, was ist in Bad Wildungen passiert. Man solle nicht grundsätzlich eine Unterstützung des Kreises ausschließen.
Die Resolution wurde mit deutlicher Mehrheit verabschiedet. (rs)