Gedenkfeier erinnerte in Gudensberg an die Pogrome von 1938
GUDENSBERG. „Gudensberg ist judenfrei!“ Das konnten die Stadt und eine starke NSDAP-Gruppe als eine der ersten in Deutschland schon im Mai 1938 melden. Bis dahin lebten 194 jüdische Mitbürger in der Stadt, die allesamt „umgesiedelt“ oder deportiert wurden. Die Synagoge war in Privatbesitz übergegangen. Die Pogromnacht am 9. November 1938 ist Gudensberg deshalb erspart geblieben.
Einmal im Jahr kehren jüdische Kultur und Erinnerung an jüdisches Leben in die alte Synagoge, heute ein Kulturhaus, in Gudensberg zurück. Mit einer bewegenden Feierstunde erinnert die Stadt jedes Jahr an die Verbrechen gegenüber einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Ein Arbeitskreis organisiert sie sets am 9. November. Kurz nach den Ereignissen in Halle und zunehmendem Antisemitismus, herrschte eine noch etwas bedrückendere Atmosphäre als in den Vorjahren. Ein Polizeiwagen stand vor der Tür, während Autor Dr. Dieter Vaupel und Alida Scheibli die außergewöhnliche Biographie der Holocaust-Überlebenden Blanka Pudler in einer szenischen Lesung im Kulturhaus Synagoge vorstellten.
„Warum sollten Menschen so etwas tun?“
Warum noch eine Geschichte, frage der Autor selbst. Blanka war eine besondere Frau, das wussten alle, die sie kannten. Warmherzig war sie und als sie nach vielen Jahren zurückkehrte nach Deutschland, wollte sie dazu beitragen, dass heutige Generationen eine gerechtere und schönere Zukunft aufbauen. Mit 15 war sie nach Auschwitz gekommen, hat dort ihre Mutter in der Gaskammer verloren, Dr. Mengele kennengelernt und selbst nur wegen einer Alterslüge der Blockältesten überlebt. Dabei konnten weder sie noch andere glauben, was über Auschwitz erzählt wurde. Die Hoffnung starb nie, denn warum sollten Menschen so etwas tun?
Aber Auschwitz war ein so grausamer und Würde raubender Ort, dass man schon nach einem kurzen Moment nicht mehr der Mensch gewesen ist, als der man dort angekommen war, hat sie Dr. Vaupel erzählt, der einige Jahre gebraucht hat, um das Buch fertigzustellen. Die Verlegung in ein Arbeitslager bei Hessische Lichtenau, wo sie in der Munitionsfabrik arbeiten musste, rettete Blanka Pudler letztlich endgültig vor dem Tod.
Werner Pilgram: Antisemitismus entgegentreten
Antisemitischen Tendenzen gilt es entgegenzutreten, sagte Stadtrat Werner Pilgram, der Bürgermeister Frank Börner vertrat. Die Tat von Halle schließe an die Nazi-Verbrechen an. Nach der Lesung erinnerten Firmlinge der katholischen Kirchengemeinde, Schüler der Dr. Georg-August-Zinn-Schule und Deborah Tal-Rüttger an die Mitglieder der ehemaligen Jüdischen Gemeinde Gudensbergs.
Für jeden vertriebenen, ermordeten oder in den Selbstmord getriebenen ehemaligen Mitbürger zündeten sie eine Kerze an. „Auf einem fremden unbewohnbaren Planeten“ so heißt die Biografie, die in allen Buchhandlungen erworben werden kann.
Hintergrund: Die Pogromnacht vom 9. November 1938
1938 organisierte das NS-Regime im Gebiet des damaligen deutschen Reichs gegen die jüdische Bevölkerung gerichtete Pogrome und inszenierte sie als spontanen Ausbruch des „Volkszornes“. In der Nacht vom 9. auf den 10. November und in den Tagen danach verloren über 400 jüdische Bürger ihr Leben, 1.400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume sowie zahllose Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. (rs)
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Eine Kerze für jeden ermordeten und vertriebenen jüdischen Bürger © Foto: Rainer Sander