Schaulaufen um sozialdemokratische Werte in ihrer letzten Hochburg
BAUNATAL. „Nur wer von sich selbst begeistert ist, kann andere begeistern“. Mit diesen Worten begrüßte Klaus Tovar die mehr als 800 Genossen bei der einzigen nordhessischen Regionalkonferenz in Baunatal.
Thorsten Schäfer-Gümbel, der sich entschuldigt hat, hatte angekündigt: „das wird eine der lautesten Veranstaltungen, weil dort eine Menge tolle Menschen kommen“. Ebenfalls keine Zeit hatten Manu Dreyer und Manuela Schwesig. Aber das ist nicht weiter schlimm, geht es doch gerade um den neuen, zukünftigen SPD-Vorsitz.
In Nordhessen ist die SPD-Welt noch in Ordnung – starke Partei
Lob gab es dann von Lars Klingbeil für die Baunataler Bürgermeisterin Silke Engler, die er aus einer gemeinsamen Fortbildung vor 10 Jahren kennt: „Silke, 70 Prozent gegen drei Männer, in Nordhessen ist die Welt noch in Ordnung!“ In der Tat ist Nordhessen für die SPD die letzte, echte, sichere Hochburg. Silke Engler verriet am Rande, dass sie wirklich heute Abend sehen wolle, wer es am besten kann und damit sprach sie für die Motivation fast aller im Saal.
Es war in vielerlei Hinsicht eine besondere Veranstaltung in der rappelvollen Baunataler Stadthalle, die angemietet wurde, weil sich mehr Genossen angemeldet hatten, als der ursprüngliche Tagungsraum in Bad Hersfeld hätte fassen können. Das 11. Kräftemessen mit einer fairen Debatte, so Klingbeil, sei also nun Halbzeit. Die erste Halbzeit kann in der Tat vorentscheidend für das Endergebnis sein. Aber, so der Generalsekretär, wenn man Vorsitzender der SPD werden will, sind 23 Regionalkonferenzen noch das Geringste gegen das, was danach kommt. Stühle reintragen und Hallen – der Nachfrage wegen – umbuchen, so Klingbeil, sind Signale dafür, dass die SPD stark ist.
Timon Gremmels: Doppelspitze für die SPD hier erfunden
Timon Gremmels, der als Bezirksvorsitzender das Kräftemessen organisiert hat, wünscht sich wieder mehr Fairness in der SPD. Hier, mit 4.300 Mitgliedern, funktioniert die Doppelspitze mit Andreas Siebert und Silke Engler. Nicht nur deshalb kann sich die SPD in Nordhessen etwas abgucken. Absolute SPD-Mehrheiten gibt es in der Republik fast nur noch hier. Sieben verbliebene Paare traten an, der letzte Einzelkandidat, Karl-Heinz Brunner, hatte heute erst zurückgezogen. Die Reihenfolge heute Abend wurde allerdings nicht gewählt, sondern gelost:
Gesine Schwan und Ralf Stegner: Vertrauen durch Verlässlichkeit zurückbringen
Gesine Schwan und Ralf Stegner, die Politikveteranen in der SPD, durften den Anfang machen. Wir müssen zeigen, was in uns steckt und wofür wir stehen. Ganz ungewohnt von Stegner: Alle Aussagen kommen wie mit dem Maschinengewehr abgefeuert. Applaus für die Äußerung: Wenn uns die Rechte nicht wählen, sei das nicht schlimm. Das Problem der Gegenwart sei nicht die Vielfalt, sondern die Einfalt. „Ich bringe Standfestigkeit von der Küste mit und habe eine der klügsten Frauen Deutschlands an meiner Seite“. Gesine Schwan führte gleich fort: „Wir bringen Vertrauen durch Verlässlichkeit zurück. Ich umso mehr, weil ich schon so alt bin. Sozialdemokratische Werte haben nur mit solidarischer Europapolitik eine Chance. Die Bürger in den Kommunen müssen eine Rolle spielen, Nationalstaaten verheißen keine Zukunft, verrät Frau Schwan.
Petra Köpping und Boris Pistorius: Mit dem Geist von Regine Hildebrandt Brücken bauen
Petra Köpping war in Sachsen die einzige SPD-Landrätin und ist jetzt Gleichstellungsministerin im östlichsten Bundesland. In Niedersachsen ist Boris Pistorius Minister. Köpping beruft sich auf den Geist von Regine Hildebrand und möchte innerhalb der Partei Brücken bauen und den guten Umgang miteinander pflegen. Boris Pistorius beschreibt mehr seine Partnerin als sich selbst und so wissen die Genossen am Ende viel über die Sächsin, etwas weniger über den Niedersachsen. „Dramen gibt es mit uns nicht“, so das Versprechen, „wir wollen eine SPD, die sich um die Menschen kümmert und nicht um sich selbst. Aber gleichzeitig soll die SPD im Mittelpunkt stehen und dabei nicht ihre Flügel in den Mittelpunkt stellen. Das wird nicht leicht, aber diese SPD kann mehr und dafür stehen wir.
Christina Kampmann und Michael Roth: „Wir sind gekommen, um zu bleiben!“
Den lautesten Applaus gab es für das dritte Paar: Christina Kampmann und Michael Roth – der einzige mit Heimvorteil. Kampmann erzählte, dass sie ihren Wahlkreis in Bielefeld immer direkt gewonnen hat, einer Stadt, die es angeblich gar nicht gibt. Sie möchte das Aufstiegsversprechen in der Gesellschaft erneuern und als Duo haben sie das Versprechen abgegeben, eine SPD zu schaffen, die wieder begeistert. Die ehemalige Standesbeamtin hat viele Menschen glücklich gemacht, die sich das Ja-Wort gegeben haben. „Wenn Ihr uns wirklich wählen wollt, dann traut Ihr Euch was“, so die Botschaft: „Wir sind nämlich die jüngsten! Wir sind gekommen, um zu bleiben, denn Ex-Vorsitzende, die uns das Leben schwer machen, haben wir schon genug. Natürlich hat Roth auch sechsmal hintereinander seinen nordhessischen Wahlkreis gewonnen. Die Antwort auf die Trumps und Bolzonaros, auf die Kapitalisten, sind die vereinigten Staaten von Europa!
Nina Scheer und Karl Lauterbach: „Wir sind das Original!“
Nina Scheer und Karl Lauterbach durften – ausgelost – als Vierte auf die breite Bühne der Stadthalle. „Wir sind das Original“, erklärte Genossin Scheer, „wir haben das Erneuerbare Energiengesetz erfunden“ und das Wort Energiewende werde in vielen Ländern gar nicht übersetzt. Ohne sie, werden sich keine Fluchtursachen bekämpfen lassen. Karl Lauterbach stellte selbstkritisch fest, dass weniger als fünf Prozent der jungen Menschen der SPD die Lösung der Zukunftsfragen zutrauen. Das müsse sich ändern, genauso wie das Zweiklassensystem in der Medizin. Dass die Große Koalition gerade Dinge tut, die dem entgegenstehen, erklärt die Botschaft von Karl Lauterbach: „Wir wollen die SPD aus der Großen Koalition herausführen!“
Hilde Mattheis und Dierk Hierschel: Wirtschaftsdemokratie ohne Hartz IV
Hilde Mattheis und Dierk Hierschel versuchten die Baunataler mit Lob zu ködern. Hier gibt es starke Gewerkschaften und mit VW eine florierende Industrie. Weil das so ist, schafft die SPD hier noch 60 Prozent. Ohne Hartz IV, mit 12 Euro Mindestlohn und mehr Mitbestimmung, genannt Wirtschaftsdemokratie, soll alles besser werden. Auch in der Partei soll die Mitbestimmung gestärkt werden. Nicht (mehr) von oben nach unten wollen sie die SPD regieren. Man müsse sich auch für Fehler der Vergangenheit entschuldigen können: In den Rückspiegel schauen, um nach vorne zu überholen! „Wir sind radikal sozialdemokratisch“ Statt Wirtschaftsliberalen die Türen zu öffnen, die Zivilgesellschaft hören, ist die Devise
Klara Geywitz und Olaf Scholz: Der Sozialstaat als Errungenschaft
Klara Geywitz und Olaf Scholz sind die Sechsten. Geywitz beklagt, dass sich die FDP in die Büsche geschlagen habe und deshalb die SPD einspringen musste. „Ohne uns“, so eine Botschaft, „wird es keine Grundrente geben. Auch keinen Ausstieg aus der Männerpolitik hin zu mehr weiblicher Politik. Der Finanzminister klärte erst einmal auf. Er sei nicht Finanzminister von Beruf, sondern Fachanwalt für Arbeitsrecht. Der Sozialstaat sei die wichtigste Errungenschaft der Sozialdemokratie und der müsse erhalten werden. Das wird historisch schwer zu belegen sein, aber kräftigen Applaus gab es vor allem dafür!
Saskia Eskem und Walter-Borjans: Zukünftig nicht mehr rechts abbiegen
Kommunaler Zusammenhalt ist für Saskia Eskem die Basis. 400 Milliarden Euro werden in Deutschland vererbt. Sie SPD sei die größte Gemeinschaft gegen Hetze von Rechts, sagt Walter-Borjans und ist trotzdem bedrückt, dass sie so wenig Vertrauen genießt. Die SPD sei unter den früheren „Busfahrern“ irgendwann falsch abgebogen. Auch er will in den Rückspiegel schauen und nach vorne für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen.
Mehr Inhalt in der zweiten Runde
In der zweiten Runde, Klaus Tovar stellte die Fragen, griff Michael Roth die Situation in seinem Wahlkreis an. Wenn ein großes Logistik-Unternehmen, bei dem alle bestellen, einen Obsttag statt einen Tarifvertrag einführe, sei das entschieden zu wenig. Umverteilung, Arbeitsrecht (Olaf Scholz) und Arbeitnehmerrechte standen im Fokus. Soziale Gerechtigkeit wurde fast in den Stellungnahmen fast gequält. In der dritten Runde, als die Genossen im Saal fragen durften, wurde das Duo um Lokalmatador Roth am meisten angegriffen. Man rächt sich halt gerne an denen, die man kennt und denen gönnt man vielleicht am wenigsten und damit lieferten die Genossen das beste Beispiel dafür, dass sich in der SPD nicht viel ändern wird.
Luigi Coppola aus Baunatal fragte alle, „warum seid Ihr nicht früher auf das Miteinander gekommen?“ Das blieb eine rhetorische Frage, aber die Menschen, so Coppola, hätten den Streit satt. Einem Luigi Coppola, als Stadtrat das Aushängeschild gelungener Integration in der Volkswagenstadt, würde in Baunatal niemand das Wort entziehen. Der Moderator tat es, weil er keine Frage hörte. Das tat er öfter, denn die Botschaften – wann hat man schon mal die Gelegenheit als Parteimitglied so intensiv im Mittelpunkt zu stehen – waren länger als die vorgegebene Zeit für die Fragesteller. In der SPD haben eben alle viel zu sagen. Es wäre tatsächlich aber um die Antworten gegangen.
Welche Große Koalition meint die SPD?
Einige Antworten gab es trotzdem. Dass man mit Andreas Nahles schlecht umgegangen sei, bestätigte Olaf Scholz zum X-ten Male, Boris Pistorius will mehr für die Rentner tun, Michael Roth verteidigt sein Abstimmverhalten im Bundestag, schließlich regiere man trotz allem solidarisch. Trotzdem ist die Basis spürbar unzufrieden mit der GroKo. Was die Genossen – vor allem an der Basis nicht verstanden haben ist, dass nach der nächsten Wahl die Große Koalition gar keine Große mehr sein dürfte. Wer eine dritte Kraft zum Regieren braucht, hätte kaum das Recht sich als „groß“ zu fühlen. Aber man fühlt sich noch groß. Wenn alles vorüber ist und die SPD neue Vorsitzende hat, werden die Wähler – für alle Parteien – entscheiden, wie groß sie letztendlich sind.
Gesine Schwan stellte – gefragt nach Lösungen – das Wachstum als Ziel infrage. Sie möchte am liebsten den Kapitalismus abschaffen, aber sie räumt ein, dass das nicht einfach wird. Eine Kreislaufwirtschaft sei wichtiger als Wachstum. Hilde Mattheis wünscht sich eine Pflegevollversicherung und weniger Menschen, die mit Pflege Geld machen. Olaf Scholz verteidigt den Rest-Soli, Karl Lauterbach, seit 1987 Vegetarier, findet, die Tierhaltung in Deutschland sei Tierquälerei. Dafür gab es den wenigsten Applaus an diesem Abend. In einem Demokratischen Sozialismus muss die Profitlogik verschwinden, die Daseinsvorsorge stärker werden, stelle Dierk Hierschel fest.
Walter Berle, ehrenamtlicher Stadtrat und Altenheimleiter aus Gudensberg, will ganz konkret wissen, ob die Mitarbeiterkosten steigen, um den Pflegenotstand zu beenden und dann die Pflegebedürftigen mehr zahlen müssen? Michael Roth kann zum Schluss noch einmal glänzen: Es braucht einen gesellschaftlichen Konsens und mehr Geld für die Pflege. Und Karl Lauterbach möchte, dass nur noch jemand abrechnen kann, der Mitarbeiter nach Tarif entlohnt. (Rainer Sander)
8 Kommentare
Die SPD hat es mal wieder an vorderster Front in die Medien geschafft. Das konnten Nahles, Kühnert und Co. auch. Also; was soll der ganze Zirkus ???
Nahles hat fertig (Flasche leer) und Kühnert ist noch nicht volljährig.
Hier sehen wir nun das letzte Aufgebot: Parteisoldaten die mit Platitüdenplatzpatronen schießen.
Meckern, aber immer wieder SPD wählen… oder woher kommt immer wieder die Mehrheit her?
Ach so, ich vergas… die Grünen sind ja schuld.
Schwan und Stegner geben dieser Partei sollten sie gewählt werden den Gnadenschuss.
Pöbelralle und Pleitepräsidentin Gesine haben noch nie eine Wahl gewonnen und werden sicherlich diese Serie fortsetzen.
Ich tippe auf Grinse-Olaf und Wieheisstdienochmal.
Die ganzen Forderungen klingen eher nach Linkspartei . Was man für die Arbeitnehmer die hier den ganzen Staat finanzieren konkret tun will sagt keiner . Wäre ja auch sehr merkwürdig denn die Partei steht ja noch in Regierungsverantwortung und muss dem Wähler bald die nächste große Rechnung zur Rettung der Welt präsentieren . Frau Schwan möchte sogar den Kapitalismus abschaffen. Die Partei ist überflüssig geworden . Den Anfang hat Schröder mit Arbeitnehmerfeindlicher Politik zusammen mit den Grünen gemacht. Frau Schwan und Konsorten werden die Partei endgültig begraben
Johannistriebe einer sterbenden Partei.
Bla bla bla bla bla bla bla bla……
Kommentare wurden geschlossen.