KASSEL. Was für eine Reaktion! Allen Unkenrufen zum Trotz bezwang die MT Melsungen in einem furiosen und begeisternden Kampfspiel den SC Magdeburg mit 31:29 (16:13) und zahlte damit nach der Schmach von Balingen einiges an Tribut zurück.
Vor 4.098 Zuschauern in der Kasseler Rothenbach-Halle vermochte der bis dato ungeschlagene Tabellenführer nicht ein einziges Mal in Führung zu gehen. Nervenstark schlug Melsungen immer dann zurück, wenn die Gäste auf dem Weg waren, vielleicht eine Wende herbeiführen zu können. Gestützt auf zahlreiche Glanzparaden von Nebojsa Simic und angeführt vom zwölfmal erfolgreichen Torschützen Tobias Reichmann dankten die Nordhessen den Fans deren bärenstarke Unterstützung. Erfolgreichster Akteur auf Magdeburger Seite war Tim Hornke, der alle seine sechs Tore im zweiten Durchgang erzielte.
Es war ein starker Auftakt in der Rothenbach-Halle. Und damit ist nicht der Spielbeginn gemeint. Wer erwartet hatte, dass angesichts der zuletzt gezeigten Leistung in Balingen die Fans ihrem Unmut Luft machen würden, der sah sich getäuscht. Im Gegenteil war Stimmung unter dem Dach und die Unterstützung der Anhänger allgegenwärtig. Scheinbar genau das, was die Mannschaft gebraucht hatte. Denn die legte prima los. Vor allem in der Deckung, durch die der SCM zunächst keine Wege fand. Folgerichtig führte der erste Block von Finn Lemke über den direkten Gegenstoß sofort zur Führung, die Marino Maric auf Zuspiel von Julius Kühn erzielte. Gefolgt vom zweiten defensiven Ballgewinn den Kühn selbst veredelte – 2:0 und grandiose Stimmung auf den Rängen (2.).
Allerdings schlichen sich schnell auch die ersten Fehler ein. Die zunächst noch Nebojsa Simic mit zwei feinen Paraden ausbügelte. Doch auch er war machtlos, als Daniel Pettersson erst von Rechtsaußen, dann von der Siebenmeterlinie zum 3 : 3 traf (8.). Den zweiten Siebenmeter des Schweden parierte er allerdings, ermöglichte erneut Julius Kühn den Treffer zum 5 : 3 und war mit seiner bereits fünften Parade auch Ausgangspunkt zu Felix Danners 6 : 3 (12.). Erst Michael Allendorfs erste Bankstrafe der Partie brachte Magdeburg wieder zurück ins Spiel: Christian O’Sullivan traf aus der eigenen Hälfte ins leere MT-Tor und Matthias Musche machte per Tempogegenstoß den neuerlichen Ausgleich zum 6 : 6, gerade als Allendorf zurück war (15.).
Auch aus der zweiten Strafe, diesmal gegen Kühn, schlugen die Gäste eiskalt Kapital. Erst gelang Zeljko Musa das 8 : 8, dann Erik Schmidt das 9 : 9 jeweils vom Kreis (19.). Doch kaum komplett war die MT wieder Herr der Lage. Für Minuten waren nun aber die Referees die Gegner. Erst ein abgepfiffenes Tor von Maric, dann umstrittene zwei Minuten gegen Lasse Mikkelsen und zu allem Überfluss noch ein Siebenmeter gegen Rot-Weiß. Die Volksseele kochte, ging aber nahtlos über in den Jubelmodus, als Nebojsa Simic erneut, diesmal gegen Mathias Musche, Sieger blieb (11 : 9).
Die Intensität blieb sehr hoch, das Niveau vor allem in kämpferischer Hinsicht ebenfalls. Beide Mannschaften schenkten sich keinen Zentimeter Raum, gaben keinen Ball verloren und scheuten keinen Zweikampf. Wobei die Vorteile, gerade was die Deckung anging, aufseiten der Melsunger lagen. Das Rückzugsverhalten stimmte, die Zuordnung ebenfalls. Es brauchte Einzelleistungen wie Michael Damgaards 15:13, damit der SCM nicht noch höher in Rückstand geriet. Dem gegenüber standen feine Kreuzungen und Kombinationen der Gastgeber wie Lasse Mikkelsens Traum-Bodenpass auf den eingelaufenen Michael Allendorf, der unbedrängt vom Kreis zum Pausenstand einwarf.
Gehörte die Zeit unmittelbar nach Wiederbeginn noch der MT und Tobias Reichmann mit seinem erfolgreichen Tempogegenstoß, nahm mit etwas Verspätung auch der SCM-Express Fahrt auf. Albin Lagergren, vor der Pause noch ohne Torerfolg, zeichnete sowohl für das 17:15 (33.) als auch das 18:17 (35.) verantwortlich. Im zweiten Fall begünstigt von Julius Kühns zweiter Strafe. Den Konter von Marko Bezjak zum möglichen Ausgleich vereitelte Simic spektakulär, dafür verwandelte Tobias Reichmann seinen dritten Siebenmeter ohne Schnörkel zum 19:17 (38.).
Dass es auch der zur zweiten Hälfte eingewechselte Tobias Thulin im Magdeburger Kasten kann, stellte er unter Beweis, als Reichmann allein auf ihn zustürmte. Praktisch im Gegenzug rückte Simic mit seiner Glanztat gegen Michael Damgaard die Maßstäbe wieder zurecht. Als Lasse Mikkelsen sich im Zweikampf durchsetzte und zum 21:18 einwarf, wurde es mächtig laut in der Rothenbach-Halle. Angst um deren Statik musste man allerdings haben, als erst Johan Sjöstrand im Siebenmeterduell gegen Tim Hornke Sieger blieb und Tobias Reichmann mit zwei weiteren Gegenstößen auf 23:18 erhöhte (44.).
Magdeburg reagierte, die mittlerweile fünfte Überzahl nutzend, und verkürzte durch Bezjak zurück auf drei Tore Abstand. Längst war es ein packender Schlagabtausch auf nun tatsächlich hohem Niveau geworden, bei der selbst diese vermeintlich sichere Führung kein Ruhekissen für die Gastgeber darstellte. Wobei aber auch die Hektik auf dem Spielfeld zunahm. Erst kassierte Erik Schmidt nach 48 Minuten die erste Strafe auf Magdeburger Seite, dann mussten nach einer kleinen Rangelei Timm Schneider und Marko Bezjak gemeinsam runter. Es war Platz auf dem Feld, was Nebojsa Simic um ein Haar zum eigenen Torerfolg ins verlassene Gehäuse gegenüber genutzt hätte. Doch der zurückeilende Tobias Thule drehte das Leder mit den Fingerspitzen gerade noch so am Pfosten vorbei (50.).
Auch die nächsten beiden Aktionen sahen die Keeper im Vordergrund. Erst parierte Simic glänzend gegen den frei vor ihm auftauchenden O’Sullivan, dann nahm Thulin Reichmann eine Riesenchance weg und noch mal Simic brachte die Fans mit seiner 13. Parade gegen Erik Schmidt zum Toben. Dennoch traf Tim Hornke doppelt zum 27:25 (54.), weil Allendorf die inzwischen achte Strafe gegen die MT absaß – gegenüber zwei des SCM. Auch das nicht geahndete Foul an Kai Häfner mit Ballverlust sowie der anschließend verhängte Siebenmeter gegen die MT, den Tim Hornke zum 28:27-Anschluss verwandelte, brachten das Publikum auf die Palme.
Die strittigen Entscheidungen häuften sich bedenklich, aber einer behielt die Nerven im Hexenkessel: Tobias Reichmann traf unbeeindruckt erst per Strafwurf, dann aus spitzem Winkel zum 30:28 (59.) – die Vorentscheidung. Damgaard traf noch einmal die Latte, Allendorf scheiterte gegen den wieder eingewechselten Jannick Green. Doch bei Bennet Wiegerts letzter Auszeit waren nur noch 29 Sekunden auf der Uhr und die reichten gerade noch für Michael Damgaards 30:29, was Tobias Reichmann zum Endstand beantwortete.
Stimmen zum Spiel
Heiko Grimm: Die letzten Tage waren sehr turbulent. Aber wir haben trotzdem viel gearbeitet und vor allem viel gesprochen. Die Mannschaft wollte etwas gutmachen und das hat man heute deutlich gesehen. Speziell in der ersten Halbzeit haben wir sehr gut verteidigt. Wir wollten gegen die beweglichen Magdeburger Spieler aggressiv sein, waren dazu sehr diszipliniert im Rückzug, auch wenn das mit den zwei Wechseln nicht immer geklappt hat. In der zweiten Hälfte fand ich, dass es unserer Abwehr zu schnell ging. Magdeburg ist zu schnell zu Toren gekommen. Sicher hatten wir zum Ende hin ein wenig Matchglück, aber das muss man sich auch erst erarbeiten und wir hatten es uns verdient. Die Mannschaft hat heute auf Balingen reagiert und das sehr gut gemacht. Jetzt haben wir zehn Tage Zeit und müssen dann in Nordhorn nachlegen.
Bennet Wiegert: Herzlichen Glückwunsch an Heiko und Axel. Ich weiß, dass das zuletzt keine einfachen Tage für sie waren. Heute haben sie einen absolut verdienten Sieg gefeiert, weil wir nicht in der Lage waren, an unsere zuletzt guten Leistungen anzuknüpfen. Wir wussten natürlich, was uns hier erwarten würde, sind aber nie auf den Ememotionalen stand des Gegners gekommen. Wir haben es nicht geschafft, in unser Spiel zu kommen und sind ständig einem Rückstand hinterhergelaufen. Nach diesem Spielverlauf wäre es am Ende wahrscheinlich sogar unverdient gewesen, hier einen Punkt mitzunehmen, auch wenn das vielleicht möglich gewesen wäre. Dazu hatten wir einfach zu viele Fehler in unserem Spiel.
Axel Geerken: Es war nach dem Balingen-Spiel nicht einfach, die Messer waren von allen Seiten gewetzt, wenn man das so ausdrücken möchte. Aber wir sind trotzdem ruhig geblieben und haben viel aufgearbeitet. Die Mannschaft hat darauf eine gute Reaktion gezeigt und wir sind froh, dieses Spiel gewonnen zu haben.