BALINGEN / MELSUNGEN. Dass die LIQUI MOLY Handball-Bundesliga jederzeit für Überraschungen gut ist, war selbst in der noch jungen Saison bereits mehrfach zu sehen. Den vorläufigen Sensationshöhepunkt hat nun jedoch das Spiel HBW Balingen-Weilstetten gegen die MT Melsungen geliefert.
Der Aufsteiger gewann nicht einfach nur überraschend gegen die wesentlich stärker eingeschätzten Nordhessen, sondern schickte diese gleich mit einer äußerst deftigen 36:23 (16:12)-Abreibung auf die Heimreise. Beste Schützen vor 2.193 Zuschauern in der Balinger Sparkassen Arena waren Kai Häfner, der gegen seinen frühen Verein achtmal traf und auf der anderen Seite Vladan Lipovina, Marcel Niemeyer und Filip Taleski mit jeweils sechs Toren für den HBW. Diese Vorstellung wird, so kündigte es MT-Manager Axel Geerken nach dem Schlusspfiff an, Konsequenzen haben.
Während die Gastgeber, die quasi schon beim 22:16 nach 37 Minuten auf der Siegerstraße waren, ihr Glück kaum fassen konnten, herrschte aufseiten der MT nach dem Abpfiff kollektive Fassungs- und Ratlosigkeit. “Es gibt im Laufe einer Profikarriere natürlich auch Niederlagen, die einem besonders schwer im Magen liegen. Das heutige Spiel aber übertrifft allerdings alles, was ich bisher an extremen Ergebnissen erlebt habe. Mir fehlen die Worte. Diese Vorstellung war absolut inakzeptabel”, so Axel Geerken in einer ersten Reaktion. Der MT-Vorstand weiter: “Wir werden darüber nachdenken, welche Konsequenzen dieser Auftritt haben muss und ab morgen früh mit der Aufarbeitung beginnen. Es wird jetzt einiges zu hinterfragen sein. Ich halte jedoch nichts davon, in der starken Erregung aller Beteiligten direkt nach dem Abpfiff vorschnell Entscheidungen zu fällen”.
Doch der Reihe nach: Schon der Auftakt verlief aus Sicht der MT alles andere als wunschgemäß. Nachdem HBW-Linksaußen Oddur Gretarsson das 1:0 erzielt hatte und sich Julius Kühn in den beiden folgenden Angriffen jeweils einen Fehlwurf erlaubte, stellten Lukas Saueressig aus dem Rückraum und Marcel Niemeyer vom Kreis auf 3:0. Gespielt waren da gerade mal 3 Minuten.
Sechseinhalb Minuten später hatte sich die MT auf 4:2 “herangearbeitet”, danke zweier Tore von Kai Häfner. Das sollte dann aber auch schon der knappste Abstand des gesamten Spiels bleiben. Denn der Aufsteiger bekam immer mehr Oberwasser. Maßgeblich trug der von den Rhein-Neckar Löwen gekommen Vladan Lipovina dazu bei. Der Linkshänder gab der MT-Abwehr, aus dem rechten Rückraum feuernd, immer öfter Rätsel auf. Bis zum Zwischenstand von 11:6 (20. Minute) hatte der montenegrinische Nationalmannschaftskollege von MT-Keeper Nebojsa Simic schon vier Mal getroffen. Zusehends unterstützt wurde Lipovina vom 112 Kilo schweren und deshalb kaum zu haltenden Kreisläufer Marcel Niemeyer.
Derweil mühte sich auf der anderen Seite die MT im Angriff redlich, wusste aber – wenn überhaupt – eher über Einzelaktionen zum Torerfolg zu kommen. Das traf für Kai Häfner, Lasse Mikkelsen und Timm Schneider zu, die mit überraschenden Würfen Erfolg hatten. Darüber hinaus konnte Yves Kunkel auf Linksaußen einmal in Szene gesetzt werden. Nicht selten stand aber Mike Jensen, der dänische Torwart-Hühne, im Weg. Wenigstens Kai Häfner hatte gegen seinen Ex-Klub das Visier gut eingestellt.
Stellvertretend für das berühmte Quäntchen Glück, das man sich durchaus erarbeiten muss, stand dann aus HBW-Sicht die letzte Szene vor dem Pausenpfiff: Erst pariert Nebojsa Simic einen Ball aus dem Rückraum, der aber genau zu Kreisläufer Benjamin Meschke abprallt und von dem dankbar zur verdienten16:13-Pausenführung genutzt wird.
Die Halbzeiterholung schien der MT aber nur bedingt zu neuer Durchschlagskraft verholfen zu haben. Denn den Drei Tore-Abstand konnte sie zunächst noch halten, nicht aber verkürzen. Hatte Heiko Grimm im Verlauf des ersten Durchgangs einige Umbesetzungen vorgenommen – Nebojsa Simic für Johan Sjöstrand, Marino Maric für Timm Schneider, Roman Sidorowicz für Julius Kühn – so stand mit Halbzeit zwei wieder die Anfangsformation auf der Platte. Aber auch die vermochte die immer selbstsicherer auftretenden “Gallier von der Alb” nicht aufzuhalten.
Mit einem sage und schreibe 6:0-Lauf zwischen der 35. und der 42. Minute schraubten die Hausherren den Zwischenstand von 19:16 auf 25:16 (43. Min.) nach oben. Damit war die Vorentscheidung praktisch gefallen. Heiko Grimm hatte zwar mit zwei relativ kurz hintereinander genommenen Auszeiten (39. und 41. Minute) jeweils versucht, seine Schützlinge vor einem Debakel zu bewahren, aber die erhofften Effekte wollten sich nicht einstellen. Im Gegenteil, es sollte für die Gäste noch schlimmer kommen.
So sahen sie sich kaum vier Minuten später erstmalig gar mit 10 Toren im Hintertreffen (29:19, 47.). Während beim HBW jetzt alles klappte und fast jeder traf – sogar Torhüter Jensen ins leere MT-Gehäuse – lief bei den Rotweissen nahezu nichts mehr. Sie mussten in der Schlussviertelstunde eine wirkliche Schmach über sich ergehen lassen, die mit 23:36 einen unrühmlichen Höhepunkt fand. Die höchste Niederlage, die die MT gegen einen Aufsteiger kassiert hatte, war damit perfekt.
Stimmen zum Spiel
Heiko Grimm: Dieses Ergebnis ist nicht zu entschuldigen und auch nicht zu erklären. Wir haben heute zwei Mannschaften auf dem Feld gesehen, eine mit Willen und Leidenschaft und eine andere, die alles über sich hat ergehen lassen. Das war nur peinlich. Man kann ja alles vorbereiten und besprechen, wenn dann aber die Umsetzung mangelhaft ist, nützt das alles nichts.
Julius Kühn: Das war heute desolat, ja katastrophal und für alle Beteiligten peinlich. Dafür kann man sich nur schämen. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal eine solch schlechte Vorstellung erlebt zu haben. Es war ein Versagen auf ganzer Linie.
Das nächste Spiel:
Do., 12.09.2019, 19:00 Uhr: MT Melsungen – SC Magdeburg, Rothenbach-Halle Kassel
Internet: MT Melsungen