Rund um die Kalkwand des ehemaligen Steinbruchs am Kalkberg bei Lauterbach-Maar findet man sich in einer ganz anderen Welt wieder:
LAUTERBACH-MAAR. Auf dem Gelände steht heute ein Schafstall, die Tiere pflegen diese besonderen Flächen, halten sie offen und tragen so zum Artenreichtum bei.
In den Sommermonaten werden seltene Schmetterlinge von der Blütenpracht angezogen. Offene Kalkwände, vereinzelte Wachholderbüsche und das Zirpen unzähliger Grillen erwecken den Eindruck, man sei in der Fränkischen Schweiz und nicht in der Vulkanregion Vogelsberg.
Die Pflanzenwelt zeigt dem Betrachter, dass sich unter seinen Füßen nicht Basalt sondern Kalk befindet: verfestigte Meeresablagerungen aus abgestorbenen Meeresbewohnern (z. B. Muscheln), die vor rund 245 Millionen Jahren in dem flachen germanischen Becken lebten. Auf diesem kalkhaltigen, trockenen Untergrund haben sich wertvolle Magerrasen gebildet, die als FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat) geschützt sind. Seit Dezember 2017 steht die Kalkwand unter besonderem Naturdenkmalschutz des Vogelsbergkreises.
Bevor Vulkanausbrüche die Landschaft des Vogelsberges veränderten, bildeten neben Buntsandstein die Gesteine des Unteren und Mittleren Muschelkalkes den Untergrund. Durch Absenkung entstand der geologisch sehr interessante „Großenlüder-Lauterbacher-Graben“, der etwa zwei Kilometer breit und 20 Kilometer lang ist. Innerhalb des Grabens waren die Gesteine des Unteren und Mittleren Muschelkalks von Erosion geschützt und blieben erhalten. Im Osten schließt sich Buntsandstein an und in westlicher Richtung die vulkanischen Erhebungen – nur 1,5 km entfernt am Ossenberg kann man den durchgebrochenen Basalt deutlich in Säulenform erkennen.
Die weitgehend fossilfreien Kalksteine sind grau bis graublau und werden aufgrund ihres welligen Gefüges als Wellenkalke bezeichnet. Sie bilden den größten Teil des Unteren Muschelkalks. Unterbrochen werden die Wellenkalkfolgen von Kalksteinbänken voller Mineralkügelchen und Schill. Schill ist eine Ansammlung von Überresten der dort lebenden Organismen wie Gehäuse, Schalen und Klappen. Die Leitbänke ermöglichen eine Untergliederung und zeitliche Einordnung des Unteren Muschelkalks.
Im Mittleren Muschelkalk lagerten sich Abfolgen aus Kalk, Mergel, Dolomit, Gips bzw. Anhydrit und Steinsalz ab, da durch Verringerung des Wasseraustausches das Meer langsam eindampfte. Durch die Nutzung als Steinbruch sind der Untere und Mittlere Muschelkalk aufgeschlossen.
Der bröckelige Wellenkalk war zum Bauen übrigens nicht verwendbar, er wurde beispielsweise in den nahen Brennöfen zu Branntkalk verarbeitet. Leider sind nur noch die Reste eines Ofens erhalten geblieben. Straßennamen wie „Am Kalkofen“ sind Zeugnisse der frühindustriellen Kalkverarbeitungsgeschichte: Bei Temperaturen von über 800 Grad Celsius wird aus kohlensaurem Kalk (CaCO2) durch Verlust von CO2 ungelöschter Kalk (CaO), auch Branntkalk genannt.
Dieser ist stark ätzend, weshalb er immer außerhalb von Siedlungen produziert wurde. Er wurde dann als Desinfektionsmittel für Marktplätze oder Begräbnisstätten verwendet. Oder man mischte dem gebrannten Kalk Wasser bei, so dass dieser „gelöschte“ Kalk für die Herstellung von Mörtel und Putzen sowie für Kalkbausteine verwendet werden konnte.