ZIERENBERG-NIEDERELSUNGEN. Der Hessische Bauernverband hatte auf den Hof Cordula Krüger-Rose und Thomas Rose eingeladen, um Bilanz für die Getreideernte zu ziehen. Das Resümee fiel nicht einheitlich schlecht aus, auf jeden Fall gab es aber auch nichts wirklich Gutes zu berichten.
Die Witterung der vergangenen Jahre führt zu Veränderungen und treibt den Landwirten Sorgenfalten auf die Stirn. Vor zwei Jahren noch war es zu nass und in den letzten beiden Jahren (2018 und 2019) sorgt die Trockenheit für Ernteausfälle. Manche Frucht geht gar nicht erst auf, wie beim Raps, von dem aktuell nur noch die Hälfte angebaut wird. Und wenn sich ein Getreide trotz Trockenheit behauptet, sorgen Starkregen und vor allem Hagel örtlich für Totalausfälle. Gudensberg und Wolfhagen waren zuletzt am schlimmsten betroffen.
Weltbevölkerung wächst – der Hunger wächst mit
Ein solcher Rückgang, wie dieses Jahr bei Winterraps – von 54.700 Hektar auf 27.500 Hektar Anbaufläche –, sei noch nie dagewesen, sagte Karsten Schmal, Präsident des Hessischen Bauernverbandes. Zudem sorgt sich Schmal um die globale Welternährung. Nur vier Prozent der Erdoberfläche sei für Pflanzenanbau geeignet und „wir gehen damit um, als wäre es nichts wert“. Damit kritisiert er den Umgang mit dem Flächenverbrauch hierzulande, aber auch neue internationale Abkommen. 20 Jahre habe man am Mercosur-Abkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay verhandelt. Um mehr Autos exportieren zu können. Kommen jetzt womöglich zusätzliche 99.000 Tonnen Rindfleisch, 180.000 Tonnen Geflügelfleisch und 190.000 Tonnen Zucker – zu begünstigten Zollsätzen – zu uns. 10.000 Arbeitsplätze hingen daran.
Und dass, obwohl in Deutschland mit großen Belastungen aufgeforstet wird und Brasilien unter Jair Bolzonaro Regenwald für die Fleischproduktion opfert. Er habe außerdem gerade über 200 Pflanzenschutzmittel zugelassen, die in Europa keine Chance hätten. Seine Hoffnung? Dass das Europaparlament das ganze Abkommen noch ablehnt, wenn die EU Verbraucherschutz- und Nachhaltigkeitsstandards nicht eingehalten werden. Man glaube immer, kritisiert Karsten Schmal, die Versorgungssicherheit sei selbstverständlich, „aber die Weltbevölkerung wächst und der Hunger auch!“
Neues züchten und nicht auf Verbraucher setzen?
Züchterisch Dinge zu verändern, sei kein Problem, denn Leben ist immer Veränderung. Die Diskussion, ob CRISPR/Cas Gentechnik ist oder nicht, sieht er eindeutig: „Deutschland und die EU schießen uns vom Markt“. Der Verbraucher wolle Regionalität, aber es müsse zukünftig mehr importiert werden. Dass die Verbraucher ihre Macht einsetzen, sieht Schmal indes nicht. Die Kunden proklamierten Qualität, kauften aber nur das Billigste.
1970 gaben Verbraucher noch 19 Prozent ihres Budgets für Nahrungsmittel (einschließlich Alkohol) aus, aktuell mit 10 Prozent fast nur noch die Hälfte. Es sei immer schwerer Qualität zu günstigen Preisen zu produzieren, zumal nur ein Viertel der Ausgaben an die Landwirte geht.
In der Tiefe fehlt das Wasser – gute Böden haben Vorteile
Aktuell bereitet dem Waldbesitzer auch der Zustand deutscher Wälder Sorgen. „Das“, so sagt Schmal, „ist unsere Lunge. Wir sind die Einzigen, die wieder Sauerstoff aus CO2 machen können. Aber der Wald denke in längeren Zeiträumen. Damit ist er beim Klimawandel angekommen und der sorgt für gravierende Veränderungen in der Landwirtschaft, die an den Ernteerträgen abzulesen sind:
Die lange und extreme Trockenheit 2018 und fehlende Niederschläge im Winter haben die Aussaat- und Startbedingungen, insbesondere für Winterraps und Wintergetreide, verschlechtert. Überdurchschnittliche Niederschläge im Mai haben zur Verbesserung beigetragen, aber nur in den oberen Bodenschichten. Schlechte Standorte mit flachgründigen Böden seien im Nachteil, ohnehin gute Böden seinen wegen ihrer besseren Wasserhaltefähigkeit jetzt besonders im Vorteil.
Die aktuellen Getreide-Erntezahlen
Die Ernte der Wintergerste ist bis auf Restflächen abgeschlossen, die von Winterweizen in Frühdruschgebieten ebenfalls. In Mittelgebirgslagen und Nordhessen hat sie begonnen.
- Wintergerste hat meist gute Erträge. Die Anbaufläche ist von 65.000 Hektar (2018) auf 72.900 Hektar gestiegen, der Ertrag in diesem Zeitraum um sieben bis zehn Prozent.
- Sommergerste (Braugerste) leidet stärker unter der Trockenheit. Bei 80 Prozent abgeschlossener Ernte liegen Anbaufläche und Erträge dennoch auf Vorjahresniveau
- Winterweizen ist zu früh abgereift. Die Anbaufläche ist gegenüber 2018 von 153.100 Hektar auf 161.800 Hektar gestiegen, die Erträge aber um 10 Prozent gesunken.
- Triticale, eine Kreuzung aus Winterweizen und Winterrogen (reines Futtergetreide), verzeichnet eine Ertragssteigerung um fünf Prozent. Anbaufläche: 20.900 Hektar (2018: 17.500)
- Roggen hat die Anbaufläche von 12.300 auf 16.700 Hektar und den Ertrag um fünf Prozent gesteigert, bei jetzt zur Hälfte abgeschlossenen Ernte.
- Hafer braucht mehr Niederschläge, hier wird mit Rückgängen trotz Steigerung der Anbaufläche von 8.400 auf 9.400 Hektar gerechnet
- Winterraps ist das Sorgenkind. Die Aussaatbedingungen im August 2018 waren schlecht. Die Anbaufläche ist deshalb um die Hälfte (von 54.700 auf 27.500 Hektar) gesunken. 30 Prozent sind geerntet. Hier liegt der Ertrag auf Vorjahresniveau.
Die Folgen des Raps-Verlustes seien gravierend. Die Fruchtfolge ist gestört und es fehlen Rohstoffe für Speiseöl, Biodiesel und Futter. Es müsse mehr Sojaschrot importiert werden. Um den Bedarf deutscher Ölmühlen zu decken, müssen auch fünf Millionen Tonnen Raps importiert werden. Ernst Winfried Döhne, stellvertretender Vorsitzender des Bauernverbandes Kassel betonte, dass im Raum Kassel die nächsten Tage entscheiden werden, wie die Erträge ausfallen.
Andere Feldfrüchte
- Silomais hatte schlechte Startbedingungen und ist stellenweise vertrocknet. Auf dem 2. und 3. Schnitt ruhen die Hoffnungen.
- Zuckerrüben haben mehr Anbaufläche (Steigerung von 18.100 Hektar auf 19.100 Hektar) entwickeln sich gut, brauchen jetzt aber Wasser
- Kartoffeln werden wie im Vorjahr auf 3.800 Hektar angebaut. Es ist schon jetzt abzusehen, dass das Ertragsniveau der letzten Jahre nicht zu halten ist.
Hoffnung auf unbürokratische Hilfen – Bio ist nicht das Heilmittel
Die Landwirte hoffen auf die Politik, um die Export- und Importregeln zum Schutz der heimischen Landwirte zu beeinflussen und zudem die Anbaubedingungen hier nicht weiter mit einschränkenden Wettbewerbsnachteilen zu belasten. Auch eine Risikoausgleichsrücklage sei notwendig, erklärte Schmal. In der Biolandwirtschaft sieht er nicht unbedingt die Lösung. Die Märkte wachsen langsamer als die Umstellung. Viele Bauern haben Probleme, beispielsweise Bio-Milch überhaupt als solche loszuwerden. Gastgeber Thomas Rose erläuterte als Geflügel-Bauer, dass über Jahre hinweg Legehennen und Erträge nach Osteuropa abgewandert sind, sich jetzt die Geflügelhaltung aber erhole. Auch ohne Bio haben seine Hühner genügend Auslauf. In Hessen läge die Selbstversorgung bei Eiern aber gerade mal bei 20 bis 25 Prozent. (rs)