„Lau-Lau“ bekam den ersten Orden
KASSEL. Seit 60 Jahren gibt es die „Gemeinschaft Kasseler Karnevalgesellschaften“ als Zusammenschluss der Kasseler Karnevalvereine. Die Geschichte des Karnevals in Kassel ist freilich lang. Die Närrinnen und Narren blicken auf eine 600 Jahre alte Tradition zurück. Eine Urkunde aus dem Jahr 1431 belegt, dass es mit dem so genannten „Brotreichentag“ schon buntes Treiben gab.
An diesen Donnerstagen vor Rosenmontag wurden Bürgerinnen und Bürger von der Stadt Brot, Speck, Kalbfleisch, Kraut, Nüssen, Käse, Wurst, Schmalz und Bier eingeladen. Landgraf Ludwig II. lud Sänger und Gaukler ein, Gesang erklang in den Gaststätten, verkleidete Menschen zogen durch die Gassen. Es ist urkundlich belegt, dass am Rosenmontag ein festlicher Umzug vom Rathaus zum Schloss führte. Am Dienstag nach Rosenmontag verließ der Landgraf berichten zufolge das Schloss, besuchte als Gast seine Bürger und besuchte auch das Rathaus.
Während die Gattin des Landgrafen Friedrich II. nach einer Notiz der „Hessen-Casselischen Polizy-Commerzien-Zeitung“ vom 14. Februar 1771 nunmehr außer den bisherigen Karnevalslustbarkeiten des Schlosses durch Maskeraden und Bälle in den letzten Tagen vor der Fastenzeit neue Höhepunkte gab, feierten die Bürger die gesamte Fastnacht von Januar an mit wöchentlich stattfindenden Maskenbällen. Dr. Alfred Stommen berichtet von Bällen im Opernhaus oder beim beliebten Gastwirt Goullon im Hause „Zur Post“ am Königsplatz. Es wird berichtet, dass man den Landgrafen in seiner immer benutzten venezianischen Maske oft erkannte, die Landgräfin hingegen ihr Inkognito zu bewahren wusste.
Rauschende Bälle unter „König Lustig“
„Freude herrscht in Kassels Hallen, Freude in des Volkes Brust, Jubeltöne hört man schallen zu der schönsten Fastnachtslust.“ So beginnt ein Gedicht, das am Rosenmontag des Jahres 1812 dem König von Westfalen, Napoleons Bruder Jerome, überreicht wurde. Solch einen Karneval hatte Kassel bisher noch nicht erlebt. Viel sagte Jerome nicht, aber immer wieder „lustik, lustik“ und so hatte er seinen Namen „König Lustik“ schnell bekommen. Bis zu sechzehnmal in einer Nacht wechselte der feierfreudige Monarch in einer Ballnacht das Kostüm. Die Bevölkerung aber eroberte in Maske und Kostüm die Straßen. Ein Umzug der Metzger mit einem geschmückten Ochsen und einer Riesenwurst, die der König und seine Gattin gnädigst zum Geschenk annahmen, bildeten den Höhepunkt.
Unter den beiden Kurfürsten wurde es dann etwas ruhiger, wenn auch nicht weniger aufregend. So soll doch im Jahre 1822 trotz strenger polizeilicher Vorschriften anlässlich eines Maskenballes im Stadtbausaal der Lakai Bechstädt anstelle des späteren Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. mit einem Glas Grog vergiftet worden sein. Er hatte mit seinem Chef das Kostüm getauscht.
Seifenfabrikant gründet „Carnevalsverein“
Schon 1863 hatte der beliebte Seifenfabrikant Christian Reul den „Carnevalsverein“ gegründet. Erstmalig gab es nun auch in Cassel nach rheinischem Muster ein „Elfer Comitä“. Die Veranstaltungen des Vereins begeisterten so, dass 1865 bereits eine Aufnahmebeschränkung für Mitglieder erwogen werden musste. Dabei war der Eintrittsbeitrag so hoch wie ein Wochenlohn eines Arbeiters.
Weitere Vereinsgründungen folgten. So u.a. der „Columusrat“, eine Art Prinzengarde, aus deren Mitte der Prinz, „Columus“ genannt, gewählt wurde und die „NG“ = „Namenlose Gesellschaft“. Unter Mithilfe der preußischen Garnison konnten riesige Karnevalsumzüge veranstaltet werden. Allein der Prospekt des Zuges von 1886 im Postkartenformat aneinandergereiht, hat eine Länge von 5 Metern = Bilder von 51 Gruppen und Wagen.
Diese Vereine jedoch überlebten nicht die Jahrhundertwende. Sie wurden abgelöst vom Verein der Rheinländer. Ursprünglich eine Vereinigung von nach Kassel versetzten Polizeibeamten. Das Gründungsdatum der mittlerweile aufgelösten Karnevalgesellschaft ist der 1. Oktober 1892. Sie prägte das karnevalistische Leben in Kassel auch in den zwanziger und dreißiger Jahren.
Neue Vereinen nach dem Krieg
Neuen Auftrieb erhielt der Kasseler Karneval nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich der Verein der „Rheinländer“ wieder zusammen fand. Im Jahr 1949 wurden sodann die Pääreschwänze und in 1952die katholische „Narrhalla Chasalla“ gegründet. Unvergessen sind die Großveranstaltungen der „Rheinländer“ mit der Prinzenproklamation in der Silvesternacht in allen Sälen der zwischenzeitlich wieder hergestellten Kasseler Stadthalle.Die somit in den frühen fünfziger Jahren bestehenden drei Kasseler Karnevalsgesellschaften feierten ihren Karneval vorwiegend vereinsintern. Das von den „Rheinländern“ alljährlich inthronisierte Prinzenpaar besuchte die Veranstaltungen der beiden anderen Gesellschaften.
Erster Rathaussturm 1959
In der Session 1958/1959 ergab sich erstmals nach erfolgter Rathauserstürmung die Gelegenheit, dass das amtierende Prinzenpaar und die drei Kasseler Karnevalsgesellschaften von dem Oberbürgermeister und dem Magistrat der Stadt Kassel empfangen wurden. So wurde dem amtierenden „Prinz Frieder I“ und ihrer „Lieblichkeit Prinzessin Marlies“ erstmals der Stadtschlüssel und die Regierungsgewalt für die „drei tollen Tage“ vom damaligen Oberbürgermeister Dr. Lauritz Lauritzen übergeben. Laut Presseberichten waren 3000 begeisterte Bürger der Stadt Kassel Zeugen dieses denkwürdigen Ereignisses. „Na, dann wollen wir mal“, sagte Lauritzen und begrüßte erstmals die Narren. In Anerkennung für diese Pionierleistung verlieh man Lauritzen, oder wie man ihn bei den Karnevalisten liebevoll nannte „Lau-Lau“, den ersten Orden „in joco veritas“ (im Frohsinn liegt Wahrheit“. Die drei Kasseler Karnevalsgesellschaften nahmen dieses Ereignis und natürlich auch die erfolgreiche harmonische Zusammenarbeit zum Anlass und gründeten eine „Arbeitsgemeinschaft“, um auch zukünftig die Rathauserstürmung gemeinsam durchzuführen.
Die Repräsentanten der drei Karnevalsgesellschaften Alfred Strüning, Robert Knörzer, Hans Herr, Willi Nesselhut und Heinz Heicken wählten Robert Knörzer zum 1. Vorsitzenden dieser Arbeitsgemeinschaft und nannten sie „Bund Kasseler Karnevalgesellschaften“. Ihr Ziel war laut Gründungsurkunde, den Karneval zu fördern, Großveranstaltungen zu ermöglichen und den Karneval „sauber und rein“ zu halten. Getreu dem Motto „Von Zoten frei die Narretei.“. Seit dem Jahr 1960 schlossen sich weitere Gesellschaften diesem Bund an, den man schließlich in „Gemeinschaft Kasseler Karnevalgesellschaften (GKK)“ umbenannte. Die Zahl der Kasseler Vereine hat sich mittlerweile reduziert. Aus den eigenständigen Vereinen „Die Windbiedel“ und „Fuldatal die Spanschlauchbiedel“ wurde vor einigen Jahren die „Große Kasseler Karnevalsgesellschaft Fuldatal – die Windbiedel“. Außerdem gibt es noch heute die „M-Einser“, die „KG Süd“ und die „Pääreschwänze“. Die Karnevalgesellschaft „Herkules“ ist zudem auch ein Tanzsportclub. Zusätzlich gehören zur „GKK“ heute der „Club ehemaliger Prinzen“ und der „Rat der Ehrenritter“. Auch der Zissel war zeitweilig über seinen damaligen „Kasseler Show-, Tanz- u. Musikzug“ beteiligt.
Neue Vereine kommen hinzu
Nach der Wiedervereinigung kam der Arnstädter Carneval Club hinzu. Auf Initiative des Festausschusses der GKK und dem Präsidium der GKK wurde im Jahr 1979 der Ehrensenat der GKK gegründet der selbstverständlich ebenfalls der GKK angehört. Auch der im Jahr 1999 gegründete Prinzessinnenclub schloss sich der heutigen GKK an. Auf Grund einer besonderen Verbundenheit zu Einbeck wurde im Jahr 2006 die Gesellschaft der Karnevalsfreunde Einbeck ebenfalls in der GKK aufgenommen.
Freundschaftliche Verbundenheit pflegten die Kasseler Karnevalisten lange Jahre zur „ Narhalla 58“ im kanadischen Hamilton sowie zum Bundeswehr-Nachschub-Bataillon 11. Unvergessen sind in diesem Zusammenhang die regelmäßigen Erstürmungen der damaligen Graf Haesler Kaserne, bei denen sich die dort stationierten Soldaten symbolisch gefangen nehmen ließen und dadurch zur Teilnahme an den Rathauserstürmungen zwangsverpflichtet wurden. Auch das Heeresmusikcorp nahm an diesen Umzügen teil.
Eine weitere Freundschaft wurde mit der Partnerstadt Mulhouse im Elsass gepflegt. Auch hier sind die regelmäßigen gegenseitigen Besuche unvergessen. Gemeinsam wird die Prinzenproklamation, der Festzug mit Rathaussturm, der Karneval für die Kasseler Sparkasse, der Seniorenkarneval und die „Närrische Stadtverordnetenversammlung – um nur einige Beispiele zu nennen – organisiert bzw. mit Programmpunkten bestückt. Vielfältige Programme in Seniorenheimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Kindergärten und Bürgerhäusern runden das Programm ab. Nicht zu vergessen ist das ganzjährige Training und die Turnierteilnahme im Bereich des karnevalistischen Tanzsports. Bis zur Gründung des „Vereins für Tanzsport“ (VfT), der ebenfalls Mitglied der GKK ist, wurden ab dem Jahr 1967 zahlreiche Tanzturniere durch die GKK durchgeführt. So war die GKK Ausrichter der Deutschen Meisterschaften 1975 1991 sowie für Jugend und Junioren im Jahr 1979 und 1983. Die Norddeutschen Meisterschaften wurden 1997 und 2005 von der GKK und im Jahr 2016 vom VfT ausgerichtet. In diesem Jahr findet das 53. Gardetanzturnier in Kassel statt.
Wege in die Zukunft
Längst geht die „Gemeinschaft Kasseler Karnevalgesellschaften“ auch neue Wege. Sie nutzt dafür die Kreativität ihrer Mitgliedergesellschaften. Ob „Herrensitzung“ oder „Rosenmontagsparty“ im „Palais-Hopp“, „Narrengottesdienst“ in Rothenditmold oder Kostümbälle mit Stargästen: Der Kasseler Karneval hat viel zu bieten. „Auch wenn wir keine Hochburg des Straßenkarneval sind, Karneval feiern kann man in Kassel sehr vielfältig“, freut sich der amtierende GKK-Präsident Lars Reiße. Und er ist stolz auf viel Aktive in den Vereinen, die sich das ganze Jahr über ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit engagieren. Auch medial ist man aktuell: Eine eigene Smartphoneapp gibt es, Instagram und Facebook werden bespielt, wie auch der eigene Youtube-Kanal. Reiße: „Gerade die Leistungen der Karnevalvereine für Kinder in dieser Stadt werden leider oft übersehen und auch das Engagement für Inklusion und Integration.“ Für die nächsten 60 Jahre haben sich die Karnevalisten vor allen Dingen eines vorgenommen: „Traditionen pflegen, Neues zeitgemäß wagen und den Menschen Freude machen“, so Lars Reiße.
Die Präsidenten der „Gemeinschaft Kasseler Karnevalgesellschaften“
Robert Knörzer (1959 – 1962 und 1964 – 1965, KG Die Pääreschwänze); Frieder Bernett (1962 – 1963, Verein der Rheinländer); Siegward Dreyer (1963 – 1964 und 1987, Bürgerverein Rothenditmold / KG Die Windbiedel / Club ehemaliger Prinzen); Helmuth Graf (1965 – 1974 und 1986 – 1987, Verein der Rheinländer); Heinrich Rudolph (1974 – 1980, KG Die M-Einser); Walter Grafen (1980 – 1986, Verein der Rheinländer); Werner Wurst (1987 – 1995, KG Fuldatal Die Spanschlauchbiedel); Gerd Butzmann (1995 – 2006, KG & TSC Herkules); Thomas Träbing (2006 – 2012, KG Die M-Einser); Patrick Hartmann (2012 – 2015, Große Kasseler Karnevalsgesellschaft Fuldatal- die Windbiedel); Lars Reisse (ab 2015, Große Kasseler Karnevalsgesellschaft Fuldatal- die Windbiedel). (pm | Leitschuh)
Mehr Infos unter www.karnval-kassel.de und www.facebook.de/karnevalkassel