Margot Käßmann in der Stadtkirche Treysa
TREYSA. Wer Sonntagmorgen zum Kirchplatz nach Treysa fährt und zum Gottesdienst möchte, weiß, es klappt, einen Parkplatz zu finden! Anders gestern Abend: wildes Parken rund um die Stadtkirche, auf Grünflächen, vor Einfahrten, nur um diese Begegnung nicht zu versäumen, pünktlich dabei zu sein, wenn Margot Käßmann aus ihrem neuen Buch liest.
Die 550 Plätze im Kirchenschiff waren lange ausverkauft.
In ihren Pfarrer-Jahren im Kirchspiel Spieskappel (Frielendorf) war es übrigens genauso leicht am Sonntagmorgen einen Parkplatz vor der Klosterkirche zu finden. Müssen Pfarrerinnen oder Pfarrer erst Bücher schreiben, damit sie im „Haus des Buches der Bücher“, also der Bibel, volles Haus haben? Das ist wirr? Also: Das Buch ist nicht besser als die Bibel, nur weil einmal ein paar Leute mehr kommen und in der Kirche sogar herzhaft lachen. Frau Käßmann ist auch keine bessere Pfarrerin, seit sie keine Pfarrerin mehr ist. Sie hat halt etwas zu sagen, jenseits der Christenlehre, mehr diesseits, mitten aus dem Leben und dann verkündigt sie doch irgendwie etwas. Also nicht von der Kanzel und nicht belehrend von oben herab, nicht diese Dinge, die erst erklärt werden müssen, damit wir sie verstehen, ganz so als hätte Gott sich stets so geäußert, dass man einen Übersetzer, einen Religionswissenschaftler benötigt, um überhaupt zu erfahren, was er uns, seinen Geschöpfen, zu sagen hat.
Von Mensch zu Mensch
Margot Käßmann hat geredet, ganz einfach von Frau zu Frau, von Mensch zu Mensch. „Stimmt!“ konnte sogar „Mann“ ständig denken, „So ist es!“ oder „Recht hat sie!“. Es kommt oft nur auf die Rückschlüsse an, die man aus dem zieht, was einem tagtäglich begegnet, damit einem auffällt, „Ach so passt das zusammen“ oder „Warum nicht mal so sehen!“ Man muss Margot Käßmann übrigens nicht mögen, nicht ihre Äußerung zur Weltpolitik und zu Afghanistan teilen, um zu verstehen was sie sagt und für sich neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das würde übrigens einen guten Pfarrer oder eine gute Pfarrerin ausmachen, wenn sie das Leben erklärt, ohne Wegweiser und Verbotsschilder, einfach so, dass ein jeder seine eigenen Gedanken dazu spinnt…
Um zu erklären, wie es ist, alt zu werden, beschreibt sie erst einmal ihr halbes Leben. Halt! „das Halbe“, darüber hat sie mit Eckart von Hirschhausen schon gesprochen, beide sind gleich alt und jetzt hat die letzte Etappe begonnen, nicht etwa die zweite Hälfte.
Madonnas Hände oder Omas Hände?
Wir haben ähnliche Fragen. Warum kann man nicht alles Schöne feiern, zum Geburtstag etwa? Was ist das, was wirklich zählt? Ist 60 wirklich das neue 40? Kann man alt und zugleich glücklich sein? Was ändert sich? Ist man alt, weil man plötzlich Traueranzeigen liest und die Hände braune Flecken bekommen, wie bei Oma früher? Muss man sie wegoperieren wie Madonna oder kann man damit leben, wie Margot Käßmann? Und ja, man könnte inkontinent werden und vielleicht nicht mehr joggen können.
Wie kann man sich vorbereiten auf das Altwerden? Warum gibt es eigentlich nur Geburtsvorbereitungslehrgänge und keine Sterbevorbereitung? Wie ist es, wenn man zurückblickt, wenn einem die eigenen Kinder den Spiegel vorhalten und man selbst Spiegel für die eigene Tochter ist, die plötzliche Mutter wird und merkt, dass richtige Erziehung gar nicht so einfach ist. Noch mal leben und Kinder großziehen, in einer Zeit, in der man nicht nur die Hebamme fragt, sondern das ganze Internet, um zu erfahren, wie gefährlich Rohmilchkäse ist und dass überall Viren lauern? Wie ist das mit dem Tod, in dem wir das gelebte Leben feiern können, anstatt über die Jahre zu trauern, die jetzt nicht mehr gelebt werden.
Auch das Sterben zulassen
Was Margot Käßmann nicht ausblenden kann, ist ihre christliche Ethik und ihr gnadenloses Bekenntnis zu Gott. Und darin finden sich auch Antworten auf so schwierige Fragen, wie zum Beispiel, warum wir das Sterben nicht mehr zulassen können, wo es doch so sehr zum Leben gehört. Wenn man nicht mehr trinkt und isst, geht das Sterben sehr schnell…
Nach einer Stunde wissen die 550 Besucher in der Stadtkirche, dass es um die Gelassenheit geht, Dinge so zu nehmen, wie sie sind und dann sind es „Schöne“ Aussichten“, wie der Buchtitel verheißt.
Gemeinsam ins Alter
Einen Weg sucht der Verein „Gemeinsam ins Alter“ in Schwalmstadt, der Margot Käßmann eingeladen hat. Er plant ein gemeinschaftliches Wohnprojekt als Genossenschaft. Doris Schäfer, die Vorsitzende, kennt Frau Käßmann noch aus der Zeit in Frielendorf und verabschiedete sie mit einer Bio-Wurst und Bio-Brot aus der Region, die mal ihre Heimat gewesen ist. (rs)