Stadtverordnete in Schwalmstadt zu ÖPNV, Wahlwerbung und „Ökobau“
SCHWALMSTADT. Es ist schade, dass das Interesse an Politik so gering ist, dass nicht – wie im Bundestag – die Besuchertribüne vollbesetzt ist mit Schulklassen und Besuchergruppen. Dabei ist Lokalpolitik greifbar und berührt alle, die in einer Stadt leben.
Dass Politik sogar Spaß machen kann, bewiesen gestern Abend die Stadtverordneten in Schwalmstadt. Wenn es um die Förderung nachhaltigen Bauens, barrierefreie Umgestaltung der ÖPNV-Haltestellen, die Erstellung einer Wahlwerbesatzung oder um polizeibekannte Ereignisse geht, dann ist das dem Papier nach durchaus interessant.
Wie in Schwalmstadt Personal und Personen befördert werden
Es war nicht die Sitzung der großen Entwürfe, auch nicht voll neuer Erkenntnisse oder Durchbrüche, sondern eher „heiter bis wolkig“. Wie aus dem „Personenbeförderungsgesetz“ (PBefG) – in einem Antrag der Grünen auf der Tagesordnung – plötzlich das „Personalbeförderungsgesetz“ werden konnte, war auch für Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto nicht plausibel nachvollziehbar. Das passiert vielleicht, wenn Politik in der Vorbereitung einer Sitzung auf die (Lebens-) Wirklichkeit in einem Schwälmer Rathaus trifft, in dem das städtische Personal entweder von Beförderung träumt oder in der Organisationsberatung jäh aus allen Träumen darüber gerissen wird?
Paragraf 8 Abs. 3 des PBefG ist Hintergrund des Grünen-Antrages. Danach muss der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ab 2022 vollständig barrierefrei sein. Ein sportliches und gesamtgesellschaftlich nicht ganz preiswertes Ziel, über dessen Fahrplan und Kosten die Grünen für die Haltestellen in Schwalmstadt genaues wissen wollten. Vor allem, ob für den Haushalt bis 2022 schon etwas eingeplant ist. Die Antwort aus dem Rathaus wird kommen, verspricht Bürgermeister Stefan Pinhard, aber nicht gestern Abend.
Wahlen: Weg von der Materialschlacht
Kurz vor der Europawahl treibt alle Parteien im Parlament – mit Ausnahme der CDU – die Sorge um das Plastik um: Immer mehr Kunststoffplakate (Hohlkammerplakate), die mit Kabelbindern aus Polyamid befestigt werden. Mit 21 Ja-Stimmen, bei 11 Enthaltungen aus der CDU, wurde der Magistrat beauftragt, bis zum 16. Mai 2019 eine Beschlussvorlage zu präsentieren, nach der Wahlwerbung nur noch auf Plakatwänden und mit Großflächenplakaten möglich sein soll. Inhalte träten hinter einer Materialschlacht zurück, so die Begründung. Für die Europawahl kommt das dann zu spät.
Pro Wahlbezirk, so die fünf Antragsteller (Bündnid90/Grüne, FDP, FWG, Die Linke, SPD) sollte eine Möglichkeit ausreichen, die jeweiligen Ziele, Ansichten und Kandidaten sichtbar zu machen. Das dürfte auch viel Geld einsparen. Banner bei nh24 sind übrigens nicht aus Plastik!
Wird verpflichtend: Regenerative Energie bei Bauen berücksichtigen
Wenn auf Baugebieten von mehr als 5.000 Quadratmetern gebaut wird, dann nur noch mit Photovoltaik, Kraft-Wärme-Kopplung, Stromspeicherung oder anderen Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien. Genossenschaftliche Zusammenschlüsse sollen gefördert werden. So war die Vorstellung der Fraktion der Grünen, deren Antrag für eine solche Erweiterung der städtischen Planungsrichtlinien, mit 29 Ja-Stimmen, bei 3 Enthaltungen, das Parlament passiert hat. Jetzt dürfen Verwaltung und Magistrat sich damit beschäftigen, um festzulegen, wie der Plan umgesetzt wird.
Mit Anwohnern über Probleme sprechen
Wer von Parlamentariern lösungsorientiertes Handeln erwartet, könnte gelegentlich dann enttäuscht werden, wenn es um Aufgabenstellungen geht, die über den eigenen Wirkungskreis hinausgehen. Gestern Abend stellten sich alle sechs Fraktionen einem gemeinsam eingebrachten Antrag zu „Polizeibekannten Ereignissen“. Der Magistrat soll schon bis zur nächsten Stadtverordnetenversammlung Konzepte entwickeln und umsetzen. Das Ziel: Ein „problemorientierter“ Austausch mit betroffenen Anwohnern, in dem Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden sollen.
Es geht um Ruhestörung, Randale, Vandalismus, Eigentums- und Drogendelikte, durch die sich Bürger massiv in ihrer Sicherheit bedroht fühlen, ist formuliert. Bisher, so die Antragsbegründung weiter, habe es keinerlei Kontakte zwischen Stadt und betroffenen Bürgern gegeben. Nur Runde Tische. Der Sozialausschuss habe schon längst Ergebnisse. Ruth Engelbrecht (Bündnis90/Grüne) merkte an, dass der „Verein der Altstadtfreunde“ aktiv geworden ist und zu einem Runden Tisch eingeladen hat.
Präventiv arbeiten
Die Überschrift des Antrags verrät schon, dass hier die Polizei und der Staatsanwalt das Heft des Handelns in der Hand haben, nicht die städtischen Gremien. Was die Stadt tun kann, ist präventiv handeln, wie Stefan Pinhard erläuterte. Das Thema, so der Bürgermeister, liege nicht in der Schublade. Aufsuchende Jugendarbeit war auch Thema unter dem Tagesordnungspunkt „Mitteilungen, Fragen und Anregungen“. Ein Präventionsrat wie in Gudensberg, sei eine weitere Idee, genauso wie die Teilnahme am Polizei-Projekt Kompass. Streifen durch das Ordnungsamt finden auch statt, aber drei neue Mitarbeiter reichen nicht für nächtliche Streifen. Mit der Kirche wird darüber gesprochen, deshalb die Nutzungszeiten an informellen Treffpunkten wie Totenkirche und Stadtkirche einzuschränken, um Ordnungsbehörden und Polizei zu befähigen, die Sicherheit zu erhöhen. Einen Termin dazu wird es in Kalenderwoche 7 geben.
Was ist mit den Straßenausbaubeiträgen und der Organisationsberatung?
Marcus Theis (CDU) erinnerte Stefan Pinhard daran, dass das Land den Kommunen freigestellt hat, wie sie künftig mit den Straßenausbaubeiträgen umgehen. Alsfeld entlaste die Bürger bereits. Ob das auch in Schwalmstadt geplant sei? Thomas Kölle (FWG) wundert sich, dass die Organisationsberatung auch ohne Auftrag und bewilligte neue Gelder weiterläuft. Ob das mit Restmitteln rechtens ist, will er bei den übergeordneten Aufsichtsinstanzen anfragen. Außerdem wundert er sich, warum in der Ernst-Hohmeyer-Straße vom Bauträger vertraglich zugesicherte Maßnahmen nicht erfolgen. Wer die Einhaltung von Verträgen überprüfe, will er wissen? Bürgermeister Pinhard ist dafür, „dass wir das auch so zu machen, wie in AlsfeId!“
Seniorenbeförderung, Jugend und Bäume
Patrick Gebauer will wissen, warum der Sozialausschuss nicht stattgefunden, was aus dem Fachrat für Jugend wird, dem Seniorentaxi oder Seniorenbus und dem neuen Konzept für das Jugendparlament? Der Bürgermeister dazu: Vom Land Hessen gibt es noch keine Antwort auf die Resolution. Zwei Vollzeitstellen für aufsuchende Jugendarbeit, also Streetwork seien mit 60.000 Euro Personalkosten und 15.000 Euro Sachkosten eingerichtet. Statt Seniorentaxi wurde ein Bus vom Land Hessen im Rahmen eines Förderprogramms angeschafft. Das Thema Jugendparlament wird weitererfolgt.
Christel Gerstmann (SPD) mahnte an, im Steinweg neu zu Pflanzen, nachdem Bäume gefällt wurden und an der Langen Hecke würden leere und zuwachsende Baumscheiben zur Beschädigungsgefahr für Autos werden. Stefan Pinhard will in der nächsten Sitzung darauf eingehen.
Digitalisierung scheitert an analogen Problemen?
Markus Theis und Thomas Kölle wollen beide etwas zum digitalen Sitzungsdienst wissen. Im Januar sollte es losgehen, dann im März? Werden Tablets von der Stadt für die Stadtverordneten angeschafft? Stefan Pinhard war offensichtlich überrascht: „Wenn es einen wirksamen Beschluss gibt, dass die Stadt Tablets kauft, kann man den auch umsetzen.“ Bis April wird es dauern.
Was wird mit der Schmelzaue? Will Tobias Kreuter (SPD) wissen. „Gerade heute kam die Mitteilung, dass die Gutachten vom Regierungspräsidium bearbeitet wurden.“ Helmut Böhm (SPD) interessiert die Situation im Schwimmbad: Hat eine Auftragsvergabe für das Planschbecken stattgefunden? Stefan Pinhard geht davon aus, dass die Kinder in der nächsten Saison planschen können.
Ortsbeiräte und Anfragenflut
Engin Eroglu (FWG) hat eine Frage zu den Budgets für die Ortsbeiräte. War das bisher erfolgreich? Sollte man das ausbauen oder wieder streichen? Wie ist der Plan im 3. Haushalt seit der Einführung? Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto, zugleich Ortsvorsteher in Allendorf sagte dazu, das Projekt sei erfolgreich und solle so weiterlaufen, das Geld dafür sei ausreichend. Dafür gab es zustimmenden Beifall aus allen Fraktionen.
Wenn Dr. Constantin H. Schmitt (FDP) die Bitte an alle seine Parlamentskollegen – aber speziell an die Grünen – richtet, die ohnehin schon zu langsame Verwaltung, nicht ständig mit noch mehr Prüfungsanfragen zu belasten, sondern stattdessen selbst zu prüfen, dann ist eine gewisse Ironie nicht zu überhören. Aber sind die Grünen nun eher hyperaktiv oder die Verwaltungsmitarbeiter eher zu schlapp? Also mehr Anfragedisziplin oder doch ein Personalbeförderungsgesetz? (Rainer Sander)
2 Kommentare
Oder als Schlafunterlage
Guten Abend, grundsätzlich wurden hier ja einige interessante Punkte aufgeworfen. Ich lese u.a. Teilnahme von Bürgern und Digitalisierung und natürlich weitere Punkte. Aber besonders diese beiden Punkte treiben mich um. Die Stadt sollte, bevor sie jetzt anfängt Tablets zu kaufen, ihren eigenen digitalen Wandel voran treiben. In der heutigen Zeit reicht es nicht mehr, eine nette, aktuell sehr mit Informationen überladene, Webseite zu haben, sondern Möglichkeiten suchen wie der Bürger angebunden werden kann. Das sind einfachste Dinge, die auch mit dem Thema „Teilnahme von Bürgern an solchen Sitzungen“ zu tun haben. Warum (z.B.) kann ich mir als Interessent unterschiedlicher Themen, u.a. Stadtverordneten Versammlungen, nicht einen einfachen Newsletter einrichten, der mich über bevorstehende Sitzungen informiert, zu dem ich zB auch meine Teilnahme bekunden kann. Nächster Punkt: Warum kann man einen Abfallkalender nicht einfach als Kalenderdownload bereitstellen, in dem ich genau definieren kann wann, welcher Abfall an welchem Standort abgeholt wird. Usw. Solche Beispiele lassen sich zuhauf finden. Tablets für Stadtverordnete um einen digitalen Sitzungsdienst zu ermöglichen, okay…. aber das soll dann der Weg zur Digitalisierung sein? Da muss ein Gesamtkonzept her, eine Strategie, die man in den nächsten Monaten und Jahren verfolgt, etc. Sinnvoll wäre es , zuerst zu schauen, wie man den Bürger an die Kommune bindet und wie man einen geregelten Informationsaustausch hinbekommt, bevor man jetzt anfängt Tablets zu kaufen, die vielleicht letztlich (aufgrund fehlender Sach- und Fachkenntnis) als Schneidebrett oder Aufschnittplatte verwendet werden. MfG
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