Silke Engler im nh24-Gespräch
BAUNATAL. Seit vielen Jahren ist das Bürgermeister-Interview im ersten Treffpunk Baunatal des neuen Jahres und bei nh24 eine schöne Tradition. Zeitungen gewähren neuen Amtsinhabern eine Bewährungs- und Orientierungsfrist von 100 Tagen, bevor sie mit Fragen konfrontiert werden, die plausible Antworten und Lösungen verlangen.
Frau Engler hat erst vor einem Monat das Amt angetreten, doch genau genommen ist sie seit 180 Tagen diejenige, die das Amt ausfüllt, in dass die Wähler sie beeindruckend bestätigt haben. nh24-Redakteur Rainer Sander hat die neue Bürgermeisterin in der zweiten Januarwoche im Rathaus getroffen.
nh24: Hat das neue Jahr gut begonnen?
Silke Engler: Ganz entspannt, mit guten Freunden und Familie, mit Feuerwerk am Strand in Warnemünde, mit viel Ruhe, guten Gesprächen und Zeit für mich. Genau das hat nach dem letzten Jahr gut getan.
nh24: Hinter starken Persönlichkeiten fällt wenig Licht in die Reihen dahinter. Trotzdem kann da ordentliches gedeihen. Was macht das mit Ihnen, plötzlich im Scheinwerferlicht zu stehen und den Verkehr souverän und entschlossen dirigieren zu müssen?
Silke Engler: Ich hatte das Glück, im Schatten eines großen Baumes groß werden zu dürfen. Natürlich war Manfred Schaub der Bürgermeister und stand an der ersten Stelle. Durch die Art, wie wir miteinander gearbeitet haben, lag für meinen Bereich, die Verantwortung aber auch bei mir. Nach dem 20. Mai hat sich das verändert, doch seit dem 14. Dezember nicht mehr. Anders sind seit der Amtseinführung aber Wahrnehmung und Wertschätzung der Funktion. „Frau Bürgermeisterin“ klingt anders, als „Frau Stadträtin“ und wenn ich die Unterschrift lese, „Engler – Bürgermeisterin“, dann stimmt das zwar, ist aber noch ungewohnt.
Der innere Kompass hilft bei der Orientierung
nh24: Also nicht jeden Morgen kneifen?
Silke Engler: Nein. Aber ich musste mich die ersten Tage konzentrieren, nicht auf den falschen Parkplatz zu fahren.
nh24: Sie haben sich bei aller notwendiger Ernsthaftigkeit für eine der wichtigsten kommunalen Positionen in Nordhessen etwas freches, Jugendliches bewahrt. Das ist erfrischend und kommt wohl gut an. Ist es schwer, die eigene Identität, Offenheit und Dynamik mitzunehmen in eine Welt voller Regeln, Hürden, Konventionen, Zwänge und unendlich vielen Interessen?
Silke Engler: Ich habe meinen inneren Kompass und wenn ich sagen kann, das passt zu mir, dann ist das auch richtig für mich. Bei offiziellen Terminen ist manche Terminologie sicher anders und bei Treffen mit Oberbürgermeistern der Volkswagenstädte und dem VW-Vorstand könnte man auf die Idee kommen, jetzt zu den wichtigen Menschen zu gehören. Aber die wichtigen Menschen für mich leben hier in Baunatal. Ich gehe nach wie vor in der Stadt einkaufen, dabei werde ich auch angesprochen und diese Nähe brauche ich. Ich bin und bleibe ansprechbar, ich werde mich weder anders kleiden, noch anders ausdrücken und ich sage allen, die mir nahestehen, „zuppelt mich, wenn Ihr eine Änderung beobachtet!“
Sortieren, planen und mit Ehrgeiz umsetzen!
nh24: Ich beobachte, dass es Ihnen regelrecht Freude bereitet, möglichst viele und vor allem knifflige Herausforderungen zu meistern – oder täuscht das?
Silke Engler: (lacht) Ja das stimmt! Ich brauche bei großen Herausforderungen, wie dem Haushalt oder den Bränden im vergangenen Jahr schon einen Moment zum Sortieren. Aber dann habe ich einen Plan und damit erwacht sportlicher Ehrgeiz! Mit 70 Millionen in der Stadt und 20 Millionen in den Stadtwerken, bewegen wir jedes Jahr 90 Millionen Euro, zusammengesetzt aus vielen kleinen Bausteinen. Ich habe tatsächlich Freude daran, alles jetzt so zu sortieren, dass es trotz Abstrichen allen gut geht. Es ist immer schön, wenn ein schwieriger Plan aufgeht!
nh24: Die „Never-Ending-Story“ bei VW präsentiert Ihnen Herausforderungen frei Haus. Der perfekte Zeitpunkt für einen Amtsantritt. Wir groß ist der Spaßfaktor zurzeit?
Silke Engler: Es gäbe sicher etwas schöneres, als sich über Einsparungen Gedanken zu machen. Bei meinem Einstieg 2006 hatten wir schon eine kleinere Delle und wir wissen seit 60 Jahren, dass die Wellen von VW auch unsere Wellen sind. Es ist aber schön, wenn wir es erreichen, bei dem was Baunatal ausmacht, wie beispielsweise der Bildung, der Zusammenhalt oder der Vereinsarbeit, weiter Schwerpunkte setzen zu können. Die VW-Werker in Baunatal haben das aber nicht zu verantworten und wir müssen dazu beitragen, den Standort hier zu stabilisieren!
nh24: Wie sind die konkreten Auswirkungen auf die Haushaltslage?
Silke Engler: Wir müssen ehrlich sein, es wird nicht jede Investition sofort geben, dafür haben wir aber auch keinen Sanierungsstau und können uns ein langsameres Tempo erlauben. Wir werden auch weiterhin in Baunatal Sachen machen, die andere nicht tun! Wir haben einen guten Mittelstand, der auch Gewerbesteuer zahlt. Natürlich denken wir nicht nur über die Ausgaben nach, sondern auch über die Einnahmen. Wir haben seit 10 Jahren viele Gebühren nicht angepasst. Wenn, dann müssen alle solidarisch ein bisschen ins Töpfchen tun. Im März bringe ich den Haushalt ein und bis dahin haben wir noch etwas Zeit zum Rechnen.
Die Hessenkasse macht es Baunatal nicht leichter
nh24: Es ist unmöglich, sich von VW unabhängig zu machen. Dafür ist das Werk zu groß. Gibt es Strategien für die Zukunft, noch mehr Flexibilität, noch mehr Rücklagen oder ganz andere Vorkehrungen?
Silke Engler: Auch der Mittelstand ist hier von VW abhängig. Ob Bäcker oder Maler. Die Rücklagenstrategie hat ja bisher gut funktioniert. Mit der können wir sicher bis zum Ende der Krise durchhalten. Natürlich müssen wir wieder ansparen können. Durch das Hessenkasse-Gesetz rächt sich aber widersinniger Weise unsere bisherige Strategie, keine Schulden zu machen, sondern in zehn Jahren 99 Millionen für Infrastruktur-Maßnahme aus dem Cash zu finanzieren. Jetzt wird eine höhere Liquiditätsreserve verlangt und das bereitet mir größere Sorgen.
nh24: Die Zeit bleibt nicht stehen und Menschen erwarten viel. Was sind die konkreten Auswirkungen?
Silke Engler: Die Substanz hält es aus, drei bis vier Jahre auf große Investitionen und umfangreiche Straßenbaumaßnahmen zu verzichten. Wir haben beispielsweise die Kindertagesstätten und Sportanlagen erneuert. Deshalb bin ich auch nicht verzagt. Das VW-Werk gilt es natürlich auf dem neuen Weg zu unterstützen und die Stadt auf Veränderungen, wie die Elektromobilität, vorzubereiten. Hier werden nicht auf Dauer 17.000 Menschen arbeiten. Aber es nützt ja nichts, darüber zu jammern. Wir werden aus eigener Kraft Lösungen finden. Die genauen Auswirkungen kann ich noch nicht sagen, aber ich gehe davon aus, dass sie für jeden einzelnen undramatisch sind. Dazu werden auch Gespräche mit unseren Nachbarn in Schauenburg, Edermünde und Kassel über interkommunale Zusammenarbeit beitragen.
nh24: Sie haben die E-Mobilität angesprochen. Passiert etwas spannendes als Ergebnis des gemeinsamen Umsetzungsprojektes mit Borken und Reinhardshagen?
Silke Engler: Von Seiten der Stromanbieter ist alles klar. Aber die Menschen brauchen einen Lotsen, um sich zurechtzufinden. Wenn es gelingt, das Gutscheinheft für Beratung, Probefahrt und Umsetzung zu realisieren und dabei auch Volkswagen einzubinden, dann sind wir auf gutem Weg, die Stadt und den Standort mit neuer Technik zu stabilisieren.
Die Baunataler Laubdiskussion ist am Ende eine Kostenfrage für alle
nh24: Ich wohne in der größten Flächen- und Landgemeinde des Schwalm-Eder-Kreises mit unheimlich viel Natur und gerade überstandenem Schutzschirm. Eine Diskussion über Laubentfernung wäre dort sofort peinlich. In Baunatal sind einige Menschen so frei. Was würde es bedeuten, wenn eine Stadt sich zur Verantwortung für bunte Blätter bekennt?
Silke Engler: Laub hat die Angewohnheit über Grenzen zu fliegen. Ich weiß nicht, ob alles Laub auf der Straße von städtischen Bäumen stammt. Ich bin da als Juristin gerne auch mal spitzfindig. Bisher ist die Diskussion lokalisiert auf einen Stadtteil. Wir nehmen das aber ernst und wollen die Straßenreinigungssatzung ohnehin gerade anpassen. Ich habe aber immer gesagt, dass die Wilhelmshöher Straße nicht die einzige ist, mit besonderen Laubeigenschaften. Und wenn wir beraten, das Laub durch die Stadt zu entsorgen, dann sprechen wir über alle Straßen mit Bäumen. Dann reden wir über Arbeitszeit, die nicht übrig ist, außerdem über neue Laubsauger und Container, also über Geld. Damit werden wir uns im Februar im Haupt- und Finanzausschuss beschäftigen. Wenn wir dann vermutlich eine Gebühr diskutieren, bin ich gespannt auf die Reaktionen derer, die auch weiterhin vor der eigenen Tür kehren wollen.
nh24: Das Absaugen hätte doch auch ökologische Auswirkungen?
Silke Engler: Als langjährige Umweltdezernentin frage ich mich natürlich, ob es sinnvoll ist, mit der Baunataler Blühmischung im Sommer den Lebensraum für Insekten zu vergrößern und diese im Herbst dann alle mit dem Laubsauger zu vernichten.
Zusammenhalt in der Stadt ist wichtig!
nh24: Was sind Ihre Wünsche für 2019?
Silke Engler: Für uns in Baunatal wünsche ich mir eine gute Haushaltsdiskussion und eine Pflege des Zusammenhaltes. Die verrückte Welt, gerade über die Feiertage wieder mit Hackern und Angriffen auf Politiker, den Ausschreitungen in Frankreich, führt dazu, dass die Menschen Sehnsucht nach Frieden haben. Große Sachen kann man nur mit Zusammenhalt bewältigen. Manfred Schaub und ich haben immer gesagt, wir müssen den Frieden hier in der Stadt organisieren. Ich wünsche Allen Gesundheit und den Mut, Neues zu bewältigen.
nh24: Gibt es etwas, auf dass sich die Baunataler freuen können?
Silke Engler: Das Stadtmarketing organisiert wieder wunderbare Feste. Neben dem Stadtfest finden großartige Sport- und Kulturveranstaltungen statt. Es wird für jeden – bis zur Automobilmesse – etwas dabei sein. Und Baunatal zeigt bei jeder Jahreszeit schöne Seiten.
nh24: Frau Engler, vielen Dank für das Gespräch. (rs)