SPANGENBERG | TREYSA. Auch wenn die Ernte im vergangenen Sommer nur mittelprächtig ausfiel – die Kartoffeln halten die Mitarbeiter der Hephata Diakonie auch im neuen Jahr noch in Atem. Anbau, Vertrieb und küchenfertige Zubereitung der Erdäpfel machen einen Großteil der Landwirtschaft der Hephata Diakonie aus. Zu Besuch auf Gut Halbersdorf, Demonstrationsbetrieb ökologische Landwirtschaft in Deutschland, vor den Toren Spangenbergs.
Schon beim Einbiegen in das Gut sind sie kaum zu übersehen: Die unzähligen Holzkisten, in denen die Kartoffeln angeliefert und verladen werden. Damit die großen Laster – manche haben bis zu 30 Tonnen Kartoffeln geladen – nicht mehr den steilen Hang hinab fahren müssen, entstand hier oberhalb der Lager- und Verarbeitungshalle ein neuer Kistenstellplatz. „Das ist auch ein Stück Arbeitssicherheit für unsere Klienten“, so Michael Tietze, Regionalleiter für den Schwalm-Eder Kreis im Bereich Soziale Rehabilitation der Hephata Diakonie.
In guten Jahren waren es bis zu 1.600 Tonnen an Kartoffeln, gegenwärtig sind es rund 800 Tonnen, die hier ab Mitte August frisch vom Feld angeliefert werden. Rund ein Drittel davon kommt vom Bio-Hofgut Richerode, dem anderen Biobetrieb der Hephata Diakonie. Die übrige Ware liefern nach Angaben von Tietze acht Landwirte aus Nordhessen – selbst mit Schlepper und Wagen oder durch eine Spedition.
Verschiedene Lebensmittelketten wie die Edeka Hessenring und Edeka Südwest gehören zu den Abnehmern der auf Gut Halbersdorf in 1,5 oder 12,5 Kilogramm-Säcken verpackten Kartoffeln. „Die Nachfrage ist zurück gegangen“, sagt Tietze. Der Grund seien veränderte Essgewohnheiten. Kunden würden mehr zu Reis, Pommes und Nudeln als zu Kartoffeln greifen, so der Handel, die Kartoffel passe nicht zur schnellen Küche.
Dabei ist es nicht nur ein heimisches, sondern auch ein handverlesenes Produkt, was sich schließlich in der Gemüseabteilung von Edeka findet, wie sich beim Rundgang durch die Lager- und Verarbeitungshalle auf Gut Halbersdorf zeigt. 22 Mitarbeiter und Klienten sind nach Angaben von Einrichtungsleiter Michael Schuck auf Gut Halbersdorf mit der Kartoffelverarbeitung beschäftigt, knapp die Hälfte von ihnen im eigenen Schälbetrieb gleich neben der Lagerhalle. Per Gabelstapler werden die Kartoffelkisten in die Lagerhalle gefahren. Einer der Staplerfahrer ist Stephan Ziegler, seit zehn Jahren Mitarbeiter auf Gut Halbersdorf, seit zwei Jahren Betriebsleiter Kartoffelverarbeitung.
Wer hier arbeitet, muss sich im Winter warm anziehen. Fünf Grad Celsius beträgt die optimale Lagertemperatur für die Kartoffeln. „Wenn man sie in Ruhe lässt und dunkel lagert, beginnen sie meist auch bis in den Juni hinein nicht zu keimen“, so Tietze. Die Anordnung der Kisten erfolgt streng nach Plan – hierfür hat Ziegler eigens ein Kataster angelegt, das zeigt, wo welche Kiste mit welchem Inhalt und Gewicht steht. Kartoffel ist nicht gleich Kartoffel: Princess, Anuschka und Almonda heißen die festkochenden Sorten, Jelly, Marabel und Soraya die vorwiegend festkochenden. Gemeinsam ist ihnen, dass es durchweg zertifizierte Biokartoffeln von ökologischen Betrieben sind, die wie Hephata dem Bioland-Verband, Naturland oder Demeter angehören.
Um die Kartoffeln verkaufsfertig abzupacken, wachen sie erst allmählich aus ihrem Winterschlaf auf. „Ein bis drei Tage dauert es, bei sie sich in der Verarbeitungshalle auf zehn Grad Celsius erwärmt haben – ideale Temperatur, um sie zu waschen, zu verlesen und in Säckchen zu verpacken“, erklärt Ziegler. Rund 20 Meter Maschinen reihen sich in der Sortierhalle hierfür aneinander. Vom Schüttbunker über Band zum Sortiertisch, zur Kartoffelwaschmaschine, zur Bürstenmaschine hin zum Rollensortierer. „Für die ganzen Maschinen, die hier stehen, könnten Sie ein komfortables Einfamilienhaus bauen“, so Tietze.
Doch weit gefehlt wer denkt, alles passiere vollautomatisch. „Kartoffeln sind ein sensibles Gut, und die Ansprüche der Kunden hoch“, weiß Tietze. „Das menschliche Auge kann keine Maschine ersetzten, die Kartoffeln werden hier handverlesen.“ Das erfordert volle Konzentration, wie bei Klient Heiko Pelz zu beobachten: Während sich das Laufband immer weiter bewegt, müssen die Nachtschattengewächse, die nicht verpackt werden können, mit geschultem Auge aussortiert werden – Kartoffeln mit Flecken, Einkerbungen oder offenen Stellen will kein Kunde haben. Die allzu kleinen Kartoffeln werden in der eigenen Landwirtschaft auf Gut Halbersdorf oder in Richerode an Schweine verfüttert. Tietze: „So haben wir ein geschlossenes System von der Ernte der Früchte bis hin zum Dung auf den Feldern, das ist ja das, was wir haben wollen.“
Über ein automatisches Steigband gelangen die handverlesenen Kartoffeln zur Waage und von dort in die Verpackungsmaschine, wo immer 1,5 Kilogramm in Säcke verpackt werden. Die werden schließlich nochmals gewogen, bevor sie in Kisten auf Europaletten gestapelt ausgeliefert werden können – auf das genaue Gewicht kommt es an. Ein neuer, in der Erde versenkbarer Hubtisch ermöglicht es den Beschäftigten, die Kisten immer in der gleichen Höhe stapeln zu können. Eine Investition „aus arbeitsergonomischen Gründen“, erklärt Tietze.
Diejenigen Kartoffeln, die nicht verpackt werden können, kommen in den Schälbetrieb. „Das macht knapp die Hälfte unserer Kartoffelmenge aus“, so Tietze. Per Laufband gelangen sie in den Schälbetrieb gleich neben der Sortierhalle. Rund eine Tonne Kartoffeln werden hier pro Tag geschält, sagt Arbeitsgruppenassistentin Elke Schröder. Auch hier sind Maschinen für das Grobe im Einsatz, „doch die Kartoffeln müssen per Hand nachgeschält werden“. Vakuum verpackt in zehn- oder fünf-Kilogramm-Klarsichtbeuteln, sind die rohen Kartoffeln zehn Tage haltbar.
Neben rohen vertreibt die Hephta Diakonie jedoch auch dampfgegarte Kartoffeln – je nach Kundenwunsch ganz, in Scheiben oder gewürfelt. Auch diese Ware wird im eigenen Kühllager auf fünf Grad Celsius gekühlt und im eigenen Kühlwagen zu Großküchen der Region ausgebracht – die Mensa der Universität Kassel, die Kantine von Braun Melsungen, Kindergärten und Schulmensen. Wichtig, so Schröder: „Die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden.“ Der Rundgang zeigt – Kartoffeln haben das ganze Jahr über Saison, jedenfalls auf Gut Halbersdorf. (pm)