SCHWALMSTADT. Ich weiß nicht, zum wievielten Mal, mir eine Geschichte, ein Vers, eine Grafik bei Facebook untergekommen ist, in der die heutigen „Best-Ager“ als Helden beschrieben werden. Autor Wolfgang Gehrer hat den Anfang gemacht:
„Es ist zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten! Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt mit Farben voller Blei und Cadmium. Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen und auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm. Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen. Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar. Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren und wir hatten nicht mal ein Handy dabei!“
Und es gibt so viele Menschen und inzwischen sogar ganze Parteien, die sagen, dass wir das, was wir jetzt haben bewahren müssen und uns nicht mehr beeinflussen lassen dürfen. Gestern hatten wir alles, was gut ist und jetzt müssen wir nichts mehr verändern, ein paar Schritte zurück und alles ist wieder gut!
Es war natürlich auch die Zeit, in der wir Oma und Opa noch selbst gepflegt und nicht ins Altenheim gebracht haben, weil es gar keine Pflegeversicherung gab. Ein klassenloses Krankenhaus gab es nicht, 4-Bett-Zimmer waren Standard. Kindergärten gab es nicht für alle und Frauen mussten ihre Ehemänner um die Unterschrift auf ihrem Arbeitsvertrag bitten. Ohrfeigen gehörten zum Alltag. Wir mussten auch samstags in die Schule, Papi musste mindestens 45 Stunden arbeiten, jede Woche und an 6 Tagen. Urlaub? Am Edersee! In die Kirche ging es nicht nur Weihnachten und Ostern!
Das wollen wir ja auch alles nicht mehr. Es gibt auch wunderbare Sprüche, um Ruhe, Ausgeglichenheit, Geborgenheit und Sicherheit zu beschreiben. Da wollen wir „Einen sicheren Hafen finden“, und natürlich irgendwann „Ankommen…“ Schiffe laufen nicht vom Stapel, um anschließend nur in Häfen zu liegen und nichts in diesem Universum kommt irgendwo an, alles bewegt sich ständig.
Ankommen, Ankunft ist das deutsche Wort für Advent. Und wenn wir sowieso gerade christliche Werte mit Zähnen und Klauen verteidigen, ohne noch zu lernen, was das wirklich heißt – Christ sein – dann ist es in den nächsten Tagen, in denen wir die letzten Türchen des Adventskalenders öffnen und den Countdown bis Weihnachten zählen, vielleicht an der Zeit, zumindest ein wenig innezuhalten und zu begreifen, dass wir weder gezwungen sind, immer Erster zu sein, noch immer alles zu haben und auch nicht stets besser sein zu müssen…
In diesem Sinne eine schöne verbleibende Adventszeit und fröhliche Weihnachten!
Ihr
Rainer Sander
4 Kommentare
Nein, Helden waren wir nicht. Wir waren zufrieden und Sie treffen es auf den Punkt: mal ein paar Schritte zurück würden der Gesellschaft nicht schaden, innehalten und dankbar sein für das was uns gegeben ist. Viele wünschen sich das, lassen sich aber trotzdem in dem Hamsterrad der Gewohnheit mittreiben.
Warum wir als Kinder damals mit all den Unsicherheiten überlebten, bzw. dass es niemanden auffiel und/oder störte, dass wir als Kinder gefährlich lebten?
Nun Herr Sander, damals hatten die Leute noch wesentlich mehr von diesen Kindern. Ich habe sogar noch heute eine Schwester und einen nichtsnutzigen Bruder. Man musste sie nicht künstlich erzeugen, importieren und adoptieren. Sie waren nicht so rar, sakrosankt und nahezu unbezahlbar wie heutzutage!
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