SCHWALMSTADT. Manchmal, so weiß es ein Sprichwort, sieht man den Wald vor Bäumen nicht. Auch wenn es gerade schwer im Kommen ist, den Klimawandel als Laune des Wetters oder als Erfindung der Chinesen darzustellen und gleichzeitig im Sog von Dieselaffäre und – tatsächlich wenig nachvollziehbaren – Fahrverboten die Wiederherstellung grenzenloser Freiheit für die Kohle- und Ölverbrennung zu fordern:
Es ist trotzdem nicht gerade logisch, die einzige Atmosphäre, die wir haben zu riskieren und so zu tun, als hätten wir eine zweite, wenn wir jetzt etwas versaubeuteln. Es gibt auch kein Heizungsventil, das wir zurückdrehen können, wenn’s mit der Erwärmung doof wird.
Wir mögen es auch nicht mit jedem kuschelig. Wenn wir 10 bis 15 Millionen Norddeutsche aus Bremen, Hamburg, Flensburg, Kiel, Lübeck, Schwerin, Rostock und vermutlich auch noch ein Stück weiter südlich auf Kassel, Baunatal, Fritzlar, Schwalmstadt und den Rest der Bundesrepublik – einschließlich Sachsen – verteilen müssen, weil die Nord- und die Ostsee sich bis kurz vor Hannover zusammengetan haben, wird sich die Freude in Grenzen halten. Dann werden wir erfahren, dass Flüchtlinge auch dann blöd sind, wenn sie den gleichen Pass haben. dass Holländer und Dänen uns dann ebenfalls auf die Pelle rücken, kommt erschwerend hinzu. Wenn Pegida dann immer noch ruft: „Absaufen, Absaufen!“ wissen wir, dass dort kaum intelligente Menschen zu vermuten sind.
Es ist auch nicht sehr intelligent die Artenvielfalt von Insekten und Säugetieren durch Sorglosigkeit, Insektizide und Vernichtung von Lebensräumen zu dezimieren. Ohne funktionierende Nahrungskette wird das Überleben nicht leichter. Also, ganz gleich, ob das Eis an den Polen nun schmilzt, weil wir die Erde ein bisschen aufheizen oder ob sie es selbst tut und ob die Insekten nun sterben, weil wir das verursachen oder nicht, es macht durchaus Sinn, sich damit zu beschäftigen, eine intakte Umwelt zu bewahren. Und schließlich dazu beizutragen, das Problem zu begrenzen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Um nach dem Volksmund auch die Höhner zu zitieren…
Wir bemühen uns zurecht, weniger Flächen zu versiegeln, Wälder zu erhalten und aufzuforsten. Jeder Baum oder Busch, der noch steht, ist ein Stück Natürlichkeit, sorgt für besseres Klima und in der Summe sind Pflanzen Heimat für eine reichhaltige Tierwelt.
Das gilt vor allem für Bäume und Pflanzen, die nicht im eigenen Garten oder vor der eigenen Haustür stehen. Die machen nämlich blöder Weise Arbeit oder es sieht nicht schön aus, wenn man Unkraut und Laub nicht entfernt. So ist es gerade schick, den Vorgarten bis auf ein paar „Durchlässe“ für ausgewählte Büsche, mit Schotter so dick zuzuschütten, dass da nix mehr durchkommt; und wenn sich ein grünes Blatt zeigt, mit aller frei verkäuflicher Chemie dagegen zu halten.
In Baunatal geht bei einigen die Liebe zur Natur gerade noch soweit, dass sie sagen, wenn die Stadt tatsächlich Bäume will, dann soll sie gefälligst auch das Laub selbst wegräumen. In Frankreich protestiert man gegen steigende Spritpreise, in Sachsen gegen die Regierung und in der Volkswagenstadt gegen Laub auf der Straße und im Vorgarten. Entweder keine Bäume oder der Bauhof muss sauber machen… Ein entspannter Umgang mit der Natur, mit Igeln, die unter Blätterhaufen überwintern, und Insekten, die Schutz suchen, täte manchmal ganz gut. Das schöne: Wenn der erste Schnee fällt, redet keiner mehr über das Laub darunter. Wenn denn noch mal Schnee fällt…
Ihr
Rainer Sander