Die „Gegenschule“ der Homberger BTHS – Neues Buch von Thomas Schattner
HOMBERG/EFZE. Am 16. Februar 1968 wurde die erste „Gegenschule“ der alten Bundesrepublik in Homberg/Efze am Bundespräsident-Theodor-Heuss-Gymnasium (BTHS) gegründet.
Die Leiter der „Gegenschule“ waren zwei ehemalige BTHS-Schüler, Hans-Peter Bernhard (er war der offizielle Leiter der Schule) und Dieter Bott, die zu Beginn des Jahres 1968 in Frankfurt am Main Soziologie studierten.
Für die „Gegenschule“ opferten sie ihre Semesterferien, so dass die „Gegenschule“ am 15. April 1968 nach drei Monaten endete. Ursprünglich sollte sie zwei Mal in der Woche stattfinden, jeweils montags und freitags von 14.00 bis 15.00 Uhr. Geplanter Treffpunkt war Otto Jüttes „Bürgerstuben“. Man traf sich später aber auch am Burgberg und in Biergärten als Jütte seine Gaststätte nach dem Verteilen von Flugblättern durch Bott und Bernhard am 18. April 1968 nicht mehr zur Verfügung stellte. Die „Gegenschule“ stand unter dem Motto: „Die Kommerzialisierung der Sexualität im modernen Spätkapitalismus“.
Dieter Bott eröffnete die „Gegenschule“ mit einem Vortrag über „Sexualtabus“, in der nächsten Sitzung stand das Thema „Sexualtabus und das Recht heute“ im Mittelpunkt des Unterrichts.
Doch dann entwickelten sich die Dinge anders. Sehr rasch bekam man eine große mediale Aufmerksamkeit bspw. durch Reporter des Magazins „Der Spiegel“, Mitglieder der Frankfurter Redaktion der „Bild am Sonntag“, Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau und des Magazins „Konkret“. Das Wort vom „Pornoeinbruch in der Schule“ (Der Spiegel) machte schnell die Runde.
Dabei sahen das die Mitglieder der „Gegenschule“ ganz anders. Ein Mitglied erinnerte sich im Frühjahr 2018 wie folgt an die Ereignisse des Jahres 1968: „Die Gegenschule galt ja damals als äußert radikal, aber so radikal waren sie dann auch wieder nicht, also konsequent im Sinne der Idee wäre gewesen, wenn sie jetzt nicht außerhalb der Schule eine Gegenschule gegründet hätten; sondern wenn sie geschlossen in die THS einmarschiert wären, hätten das Rektorat besetzt und gesagt: So, ab jetzt heißt das John-Lennon-Schule und wir, die Schüler, bestimmen jetzt, was hier passiert, die Lehr- und Lerninhalte. Und wir führen jetzt hier freie Liebe ein. […] Die eigentliche Absicht war, eine von Schülern selbstverwaltete Schule zu schaffen“.
Am Ende hatten sich die beiden Protagonisten bei zwei Gerichtsterminen u.a. wegen der „Gegenschule“ zu verantworten. Beim Revisionsprozess in Marburg/Lahn traten Bernhard und Bott am ersten Prozesstag in Richterroben auf, um zu symbolisieren, „wir verstehen uns nicht als Angeklagte, sondern als Ankläger“ (Dieter Bott). Am zweiten Verhandlungstag trugen sie Sträflingskleider. Damit wollten sie ausdrücken, dass sie bereits verurteilt waren. Ausgeliehen war die Kleidung in einem Frankfurter Kostüm- und Karnevalsverleih, der Anwalt kostete 40.- DM und der Sträfling 60.- DM (heute rund 20.- € bzw. 30.- €).
Mit dieser Publikation wird 50 Jahre nach 1968 erstmals der Versuch unternommen, die „Gegenschule“ der Homberger BTHS umfangreich zu dokumentieren, um die „Gegenschule“ zumindest ein wenig zu „entmystifizieren“. Als Grundlage dazu dienen zahlreiche Dokumente und Fotografien, die sich im Besitz des Schulmuseums der BTHS befinden. Wenn nichts anders vermerkt, befinden sich alle Dokumente im Museum der Schule.
Diese dritte schulgeschichtliche Publikation zur Chiffre „1968“ rundet das Jubiläumsjahr 2018 ab. Während der erste Band die Schülerzeitungen der BTHS der zweiten Hälfte der 1960er Jahre thematisierte, ging es im zweiten Band um die Wirkungsgeschichte von „1968“ an der BTHS. Der dritte Band rückt nun die „Gegenschule“ der BTHS in den Mittelpunkt der lokalhistorischen Betrachtung. Damit versucht der Autor und Herausgeber der herausragenden Rolle der Schule in den Jahren 1965 bis 1973 in der Öffentlichkeit der alten Bundesrepublik gerecht zu werden. Gleichzeitig können durch die drei Publikationen erstaunliche und spannende Erkenntnisse zwischen der Makroebene von Geschichte und der lokalen Ereignisebene gewonnen werden. Schulgeschichte, die Geschichte der eigenen Schule kann unglaublich interessant sein.
Das 269 Seiten starke Buch „1968: Die ´Gegenschule´ an der BTHS in Homberg/Efze: Zwischen Provokation und antiautoritärem Protest gegen das Kleinstadtestablishment“ ist bei Amazon erschienen und kostet 11,32 Euro. (Thomas Schattner | nh)
Das Beitragsbild: V.r.n.l: Hans Junker, Hans-Peter Bernhardt, Hannelore Verloh (geb. Viehmann), ganz links unten sitzend: Horst Brühmann. Vor der Tafel mit Armen in der Luft: Dieter Bott. Die anderen haben Bott und Bernhard aus Frankfurt oder von sonst wo mitgebracht. Keine Schüler der BTHS.
Die „Gegenschule“ der Homberger BTHS am Burgberg: links steht Trollhagen, links unten sitzen Hans-Peter Bernhard, daneben kniet Jutta Wenzel. Vorne in der Mitte sitzt Horst Brühmann, rechts daneben mit linkem Daumen am Mund: Volker Otto. Ganz rechts am Bildrand mit Brille: Hans Junker. Rechts oben geht Dieter Bott nach rechts aus dem Bild. Die anderen sind keine BTHS-Schülerinnen und Schüler. Sie stammen aus dem Tross von Bernhard und Bott.
3 Kommentare
Damals haben sich junge Leute noch für Ideale und Veränderungen eingesetzt. Heute zählt nur das teuerste Phone, die hippen Klamotten und die meisten Verfolgen im Internet das Treiben von irgendwelchen Schwachmaten, orientieren sich daran und finden das supertoll !!!
olle Kamellen
Und kein Wort zum Kindersex?
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