Das Herrenzimmer – Balladen zwischen Klassik und Parodie
BAUNATAL. „Lachen ist eine körperliche Übung von großem Wert für die Gesundheit.“ So sprach Aristoteles vor mehr als 2300 Jahren im fernen Griechenland. Dann passt Kabarett definitiv in eine Arztpraxis. Das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) Baunatal hatte eingeladen.
Ins Herrenzimmer. Hereinspaziert in die komische Welt der ernsten Momente. Oder in die ernste Welt der komischen Momente? Jedes Schicksal ist nicht nur besser mit etwas Humor zu ertragen, zu jedem Humor gehört auch ein ernster Hintergrund. Sonst wär’s ja Klamauk.
Die vier Herren vom Baunataler Herrenzimmer haben einen großen Teil der Baunataler Bevölkerung schon mal unterrichtet. An der Erich-Kästner-Schule. Man kennt sie also! Den Lehrer können sie zumeist auch nicht leugnen aber die Unterrichtsvorbereitung ist stets perfekt. Kaum ein Kabarett-Ensemble steht so akribisch vorbereitet auf der Bühne. Da kommt hintergründiges auf den Text- und Notenständer, da werden Bögen gespannt, auf die man erst einmal kommen muss und Varianten präsentiert, die verblüffen. Und alles das ist trotzdem stets komisch. Niveauvoll komisch. Quasi der Gegenentwurf zu Mario Barth oder Kaya Yanar.
Loriot & Claudius
Wer käme sonst wohl auf die Idee, Loriot und Matthias Claudius ganz zwanglos ineinander zu mischen? Wenn Kohl Claudius spricht, dann ist das hell, klar und konkret! Klassiker hat man im Bücherschrank, aber man liest sie nicht oder hört sie im Herrenzimmer. Den Erlkönig, „wer reitet so spät durch Nacht und Wind“, schafft das Publikum trotzdem auch in der Version von Otto Waalkes, spielend im Wechsel zu sprechen. Für den Taucher von Schiller gab Dichterfreund Goethe den Tipp, den Taucher doch sterben zu lassen. Heinz Erhard ließ die Taucher stattdessen gar nicht erst tauchen. So kommen auch die Humoristen aus der Gegenwart neben den Meistern zu Wort.
Eine Kostprobe für etwas Ernstes, zu dem sich Spaß doch nicht gehört? Die Schlacht im Teutoburger Wald – mit korrektem Datum 9 nach Christi – provozierte die siegreichen Germanennachfahren zu „Als die Römer frech geworden…“
Stöhnen im Frauenzimmer…?
Es geht im Herrenzimmer auch um Mord und Totschlag. „Auf den Rabenklippen bleichen Knabenrippen…“ „Ooooooh“, stöhnt das Publikum bei einer Ballade, als die Nadel ins Herz sticht.
Und zwischendurch ging es noch schnell vom Herren- ins Frauenzimmer. Sabinchen war ein solches. Ein echtes Bänkelsänger-Lied. Die Bänkelsänger standen übrigens auf der Bank und sangen. Daher stammt die Bezeichnung. Auf der Bank zu stehen, blieb Markus Zosel, der einzige noch aktive Lehrer und Multiinstrumentalist der Gruppe, Gerd Dahmen, Wolfgang Weigand und Bernd Kaun erspart. Dafür schreckt das Herrenzimmer nicht zurück vor blonden Frauenzöpfen, Germanenhelmen und anderen Requisiten zurück, die den Kulissenschieber ersetzen. Für „Guter Mond, Du gehst so stille“, reicht eine Laterne vom St. Martins-Umzug.
Für die Veranstaltung bot Das Foyer des MVZ die perfekte Kulisse und eine begeisternde Akustik. Ach ja, das Liebeslied durfte nicht fehlen. Die Gratwanderung zur Schnulze auf der satirischen Schaufel. Und schließlich noch eine wichtige Botschaft für die, die immer sagen, „mach doch nicht immer dieselben Witze“: „Dann macht doch nicht immer dieselbe Wirklichkeit!“ (rs)