HANNOVER | KASSEL. Das war ein klares Statement der MT Melsungen auf die Frage, wie die Mannschaft die Ausfälle von gleich drei Stammspielern wegstecken würde. Die Nordhessen dominierten am 11. Spieltag der DKB Handball-Bundesliga Gastgeber TSV Hannover-Burgdorf deutlich und siegten nach einer nahezu perfekten ersten Halbzeit und einer 22:15-Führung völlig verdient mit 36:29.
Egal was die Niedersachsen der MT auch in der Abwehr an Aufgaben stellten, die Gäste wussten stets eine Antwort. Es ist fast unmöglich, einzelne Akteure hervorzuheben. Für den größten Aha-Effekt sorgte indes Finn Lemke. Bislang in der Saison fast ausschließlich in der Defensive eingesetzt, explodierte der baumlange Rechtshänder förmlich und erzielte sechs Treffer aus sechs Versuchen. Darüber hinaus trafen vor 5.013 Zuschauern in der TUI Arena in Hannover Kai Häfner (7) und Morten Olsen (6) für die “Recken” sowie Domagoj Pavlovic und Simon Birkefeldt (jeweils 6) für die Rotweissen. Für die TSV Hannover-Burgdorf bedeutet dieses Ergebnis die zweite Heimniederlage seit Saisonbeginn im Sommer 2017 Spielen, während die MT Melsungen nun punktgleich mit dem Bergischen HC und den Füchsen Berlin weiterhin eine gute Rolle in der Verfolgergruppe hinter den Top-Four spielt.
Die MT Melsungen musste bei der TSV Hannover-Burgdorf arg dezimiert antreten. Mit Julius Kühn (Kreuzbandriss), Michael Müller (Mittelfußbruch) und Timm Schneider (Sehnenentzündung) fehlte eine komplette Rückraumreihe. Die Frage war vor allem, wie die Mannschaft den Ausfall des wichtigsten Torschützen (Kühn) verkraften würde. Die Antwort darauf wurde bereits mit der Aufstellung eingeleitet: Domagoj Pavlovic und Simon Birkefeldt begannen auf den beiden Halbpositionen, Lasse Mikkelsen auf der Mitte, Michael Allendorf auf Links- und Tobias Reichmann auf Rechtsaussen, Marino Maric am Kreis und Johan Sjöstrand im Tor. In der Abwehr kamen jeweils Finn Lemke und Felix Danner für Birkefeldt und Pavlovic.
Im ersten Angriff holte “Birke” gleich einen Strafwurf heraus, den Tobias Reichmann zum 0:1 verwandelte. Den Ausgleich durch Mait Patrail konterte prompt der mit nach vorne geeilte Finn Lemke. Dann stellte Hannovers Spielmacher Morten Olsen erneut auf pari. Kurz darauf “klaute” Marino Maric den grünweissen Angreifern den Ball und stellte auch gleich selbst wieder die Führung her. Die MT war also gut im Spiel. Was auch für Keeper Johan Sjöstrand galt. Denn der Schwede parierte einen Strafwurf von Timo Kastening. Im Folgeangriff gab es ein Musteranspiel von Lasse Mikkelsen an den Kreis und Maric bedankte sich mit dem Tor zum 2:4. Wovon sich die “Recken” zunächst nicht beeindrucken ließen. Sie glichen per Doppelschlag (Morten Olsen, Timo Kastening) zum 4:4 aus (7. Min.).
Das aber sollte zugleich das letzte Mal sein, dass es die Gastgeber auf Augenhöhe mit der MT schafften. Denn fortan drückten die Grimm-Schützlinge dem Spiel ihren Stempel auf. Und das nicht nur, weil ihnen nun mit einem 3:0-Lauf (2x Reichmann, davon 1x per Strafwurf, und Mikkelsen) der erste, etwas deutlichere Abstand gelang (4:7, 10 Min.). In diesem Moment hatte Hannovers Trainer Carlos Ortega genug gesehen und legte die Grüne Karte, justierte seine Truppe neu und beorderte Martin Ziemer für den glücklosen Urban Lesjak zwischen die Pfosten. Prompt nach Wiederanpfiff markierte Kai Häfner das 5:7.
In der 15. Minute, beim Stand von 6:10, folgten zwei Szenen mit hohem Unterhaltungswert: Sjöstrand pariert mit tollem Reflex einen Wurf des trickreichen Olsen und leitet damit einen Gegenstoß ein, der von Lemke per feinem Schlagwurf aus dem Lauf heraus zum 6:11 genutzt wird. Zwei Szenen, die stellvertretend dafür standen, dass in der MT gut zusammengearbeitet und stes der schnelle Weg nach vorne gesucht wurde. Überhaupt lief der Ball gut durch die Reihen, wobei sich Mikkelsen und vor allem Pavlovic mehr und mehr als Kreativspieler zeigten und sowohl den Aufbau, als auch die Nebenleute sehr gut im Blick hatten. Mit einer wachen Abwehr wurde ein Übriges getan, um die zum Teil ungeordnet auftretenden Hausherren in Schach zu halten.
Ein weiterer Beleg dafür, dass Heiko Grimm praktisch mit jeder Maßnahme ein glückliches Händchen bewies, folgte in der 18. Minute. Dimitri Ignatow, nur kurz auf dem Feld, zieht mit seinem ersten Ballkontakt sofort unwiderstehlich zum Tor und holt den nächsten Strafwurf für die MT heraus. Weil Reichmann kurz zuvor für zwei Minuten vom Feld musste, vollstreckt stellvertretend Mikkelsen souverän. Nachdem Lars Lehnhof von der Siebenmeterlinie auf 10:15 verkürzt hatte, nahm auch Heiko Grimm ein Timeout, mahnte die Abwehr zu noch mehr Disziplin an und forderte weiterhin hohes Tempo nach vorne.
Die MT-Cracks setzten die Vorgaben ihres Trainers gewissenhaft um, spielten immer mehr wie aus einem Guss und bauten den Vorsprung über die Zwischenstände 11:17 (Pavlovic), 12:19 (Maric) bis auf 12:21 (Lemke, 27. Min.) aus. Da fielen auch Flüchtigkeitsfehler, wie etwa das zu frühe Verlassen der Abwehrposition (Birkefeldt) oder ein missglückter Pass (Pavlovic) überhaupt nicht ins Gewicht. Zumal jeweils kurz darauf die Konzentration wieder da war und die nächsten Treffer wie reife Früchte fielen. Finn Lemke war es vorbehalten, mit einem spektakulären Sprungwurf aus 11 Metern per Aufsetzer den 15:22-Halbzeitstand zu erzielen. Fazit nach diesen ersten 30 Minuten aus Sicht der MT: Besser kann man es fast nicht machen.
Um einem eventuellen Durchhänger in Halbzeit zwei vorzubeugen, forderte Heiko Grimm in der Pause in der Kabine eindringlich, keinen Gedanken an den komfortablen Spielstand zu verschwenden, sondern weiter mit viel Tempo aber kontrolliert das Spiel nach vorn zu betreiben. Natürlich war auch damit zu rechnen, dass die Hausherren nun alles unternehmen würden, um die drohende Niederlage vielleicht doch noch abzuwenden. Erstes Indiz: Im ersten Angriff nach Wiederanpfiff erzwang der nach wie vor schwer zu kontrollierende Morten Olson das 16:22. Doch die Antwort der MT ließ nicht lange auf sich warten: “Domba” Pavlovic überraschte den jetzt im Tor der Niedersachsen postierten Martin Ziemer nach technisch anspruchsvoller Bewegung mit dem Treffer zum 16:23.
Keine Frage, bei der MT lief es richtig rund. Erfolgsfaktoren waren – nur um die wichtigsten zu nennen – das allgemein geduldige Agieren im Angriff, die variable Spielführung durch Mikkelsen, die ideenreichen Pässe von Pavlovic, die überfallartigen Tore in der zweiten Welle von Lemke und der jederzeit bereite Keeper Sjöstrand. Wenn soviel zusammenpasst, kann das Ergebnis nur gut werden. Und genau so kam es auch. Selbst der klare Zwischenstand verleitete die MT nicht zum Zurückschalten oder gar zum Leichtsinn. Im Gegenteil: Das Tempo wurde hochgehalten bis zum Schluss. Nicht zuletzt deshalb, weil die Rotweissen ihrer Spielfreude weiterhin freuen Lauf ließen und Heiko Grimm durch gezielte Wechsel Spielern geschickt Verschnaufpausen ermöglichte. Etwa in der 41. Minute, als er Philipp Müller zur Erholung eines Angreifers in die Abwehr entsandte. Der Routinier hatte kurz zuvor noch von der Bank aus eine lehrbuchreife Szene seiner Teamkameraden Pavlovic und Reichmann beklatscht. Unter dem Stichwort “Gelungene Co-Produktion” bediente der Halbrechte mustergültig den Rechtsaußen nach dessen geschickter Lauftäuschung. Das Ergebnis war die 19:27-Führung.
Letztendlich belohnte sich die MT nach nahezu tadelloser Leistung mit einem auch in dieser Höhe völlig verdienten 36:29-Sieg gegen eine fast über 60 Minuten auf verlorenem Posten stehende TSV Hannover Burgdorf. Für die Niedersachsen war das übrigens erst die zweite Heimniederlage seit dem Amtsantritt von Trainer Carlos Ortega im Sommer 2017. Die MT indes festige ihren Platz in der Verfolgergruppe des Führungsquartetts und weist – genau wie der Bergische HC und die Füchse Berlin – 14:8 Punkte auf.
Stimmen zum Spiel:
Carlos Ortega: Wir hatten große Probleme in der Abwehr, wofür wir aber keine richtige Erklärung haben. 22 Gegentore in einer Halbzeit, das ist eindeutig zu viel. Andererseits muss man die Leistung der MT anerkennen, die ein Top-Spiel abgeliefert hat.
Heiko Grimm: Ich muss der Mannschaft ein Riesenlob für die tolle Teamleistung aussprechen. All das, was wir uns vorgenommen und miteinander verabredet hatten, wurde beherzigt. Es wurde auch während des Spiels viel miteinander gesprochen, es war viel Bewegung auf dem Feld. Insgesamt war es ein sehr cooler, disziplinierter Auftritt. So muss man als Auswärtsmannschaft spielen. Ich möchte deshalb keine einzelnen Spieler herausheben. Auch wenn es bei Domagoj Pavlovic, Lasse Mikkelsen, Finn Lemke, Simon Birkefeldt und Johan Sjöstrand naheliegen würde. Denn auch alle anderen Spieler, die heute weniger offensiv in Erscheinung getreten sind, haben jeweils zu diesem Erfolg beigetragen, weil sie sich dem taktischen Gesamtplan untergeordnet haben. In der Halbzeitpause habe ich gesagt, dass wir diesen komfortablen Vorsprung nicht einfach verwalten, sondern auch die zweiten 30 Minuten unter Beibehaltung des hohen Tempos gewinnen wollen. Das ist uns gelungen. Wir bleiben dennoch – nicht zuletzt aus Respekt vor dem Gegner – auf dem Teppich. Denn es nicht unbedingt zu erwarten, dass einem jede Woche so viel gelingt wie heute.
Das nächste Spiel:
Sa., 10.11.2018. 20:30 Uhr, MT Melsungen – Die Eulen Ludwigshafen, Rothenbach-Halle Kassel