SCHWALMSTADT. Wir wollen im Supermarkt die größtmögliche Freiheit. Vollmilch, Nuss und Zartbitter – wie früher – reichen nicht! Weiße, Zartbitter, Nuss und Schwarze, gehören schon lange dazu. Natürlich auch Nougat, Marzipan oder inzwischen Chili.
Wie wäre es mit neuen Sorten wie Mango-Curry oder Gummibärchen? Schokoriegel? Milky Way, Nuts, Bounty und Mars waren die Monopolisten vor 50 Jahren. Twix, Balisto, Corny, Riegel mit Amaranth, Dattel-Feige, bio oder vegan sorgen für meterlange Regale in den tegut-, Rewe- oder Edeka-Märkten. Damals bei Tante Emma hat das kleine Regal an der Kasse gereicht.
Kaffee? Wenn wir ihn stärker wollten, haben wir mehr Kaffee genommen. Das war gestern. Heute haben wir Espresso, Cappuccino, Kaffee Crema, Arabica pur, Colombia und alles in Strong, Lungo, Volluto, Capriccio und anderen Geschmacksrichtungen! Und bei allen glauben wir, dass sie uns wach machen. Aber jede und jeder von uns bei einer anderen Sorte. Und wir lieben es zu wechseln! Aber wenn wir erst anfangen, Kaffee mit Schokolade zusammen – also in einer Art Koalition – zu genießen, dann kennen wir Hunderte an Variationen.
Aber in der Politik sollte es möglichst einen Menschen und eine Partei geben, die unser aller Interessen vertreten? Die Volksparteien sollen möglichst vielen Menschen eine Heimat bieten? Wenn das bei Milka, Nestlé, Lindt und Tobler schon nicht funktioniert, wie dann bei Union oder SPD? Individualität ist Trumpf, außerdem Vielfalt und Abwechslung.
Aber es gibt doch ein Volk, mit einer Idee, einer Kultur und einem einzigen Plan für die Zukunft! Oder? Ach, es mag sein, dass im Moment viele Menschen etwas anderes wollen, aber jeder will doch offensichtlich ein anderes „Anders“. Und nur weil immer ein paar etwas Ähnliches wollen, heißt das nicht, dass wir jetzt alle an den Klimawandel oder nicht mehr an den Klimawandel glauben; auch nicht, dass wir alle jetzt für oder gegen Elektromobilität sind, für oder gegen verschiedene Lebensformen, alle für oder alle gegen Massentierhaltung sind, alle Windkraft mögen oder alle Windräder hassen. Es wollen auch nicht alle von uns im selben Alter in Rente gehen und nicht jeder hat die gleichen Wünsche an die Gesundheitsversorgung. Nicht alle finden jetzt die EU doof oder toll.
Nach der Bayern-Wahl klagen alle über unklare Verhältnisse. Medienvertreter und Politiker versuchen Erklärungen zu finden, warum „der“ Wähler so uneindeutig entscheiden hat. Die Antwort ist wie die Auswahl in den Supermarkt-Auslagen. Wir leben unsere Individualität gnadenlos aus und wollen uns weder vorschreiben lassen, was und wen wir zu mögen, noch wen wir zu wählen haben. Und die Aufgaben, die wir dabei stellen, sind alles andere als einfach. Und wir Hessen sind „deutsche Meister“ im Schaffen unklarer Verhältnisse. Schon seit den 80er Jahren.
Die Antwort ist jedenfalls nicht, dafür zu sorgen, dass alle nur noch Vollmilchschokolade oder in Sachsen Halloren-Kugeln essen dürfen. Es gibt auch keine Regel, dass zwei Parteien immer über 40 Prozent haben müssen, zwei weitere um die fünf Prozent – wie früher – und alle anderen an der fünf Prozent-Hürde scheitern. Wir haben Spaß und Freude daran, auch politisch individuell zu handeln. Und deshalb müssen Politiker anfangen Kompromisse zu schließen und wir müssen uns davon verabschieden, dass wir alle Wahlversprechen eingelöst bekommen. Wenn wir das wollen, müssen wir alle dieselbe Partei wählen.
Wir können uns ja für nächsten Sonntag darauf verständigen, darüber abzustimmen, wen dann in fünf Jahren alle zusammen wählen! Abgemacht?
Ihr
Rainer Sander
7 Kommentare
@Ras Algethi
„Zwischen den Zeilen lesen ist immer gut, es läßt sich kräftig interpretieren und im Ergebnis ist alles, was dem eigenen Weltbild nicht entspricht, „rechts“, „völkisch“ und „rassistisch“.“
Wie kommen sie zu dieser verallgemeinerten Annahme?
Wenn derjenige der „interpretiert“ selbst rechts“, „völkisch“ und „rassistisch ist, was ist dann?
Ich habe keinerlei Probleme, mit Menschen zu diskutieren, deren Weltbild nicht dem meinen entspricht. Nur aus solchen Diskussionen kann man schließlich Erkenntnisse gewinnen und lernen. Und wenn Sie „meine Fakten“ widerlegen könnten, wäre das doch auch für Sie resp. „Ihre Sache“ ein Gewinn?! Die „Plattform“ hat im Übrigen NH24 zur Verfügung gestellt.
„Aber es gibt doch ein Volk…“. Diese Idee, Herr Sander, dürfte Ihnen spätestens unsere Bundeskanzlerin doch längst ausgetrieben haben. Es gibt in diesem Land nur die, „die schon länger hier sind“ und die, die neu dazugekommen sind. Punkt. Das „deutsche Volk“ ist ein Anachronismus, der zwar noch im Grundgesetz steht – ähnlich wie die Todesstrafe in der hessischen Verfassung – der aber zum passenden Zeitpunkt genauso wie diese zur Disposition gestellt werden wird.
Die Schöpfer des Grundgesetzes (und auch der Landesverfassungen) unterschieden sehr wohl zwischen „Volk“ (deutsche Staatsangehörige mit den entsprechenden Bürgerrechten und -pflichten) und den anderen sich in diesem Land legal oder illegal Aufhaltenden. Für sie war selbstverständlich, daß nur das Staatsvolk mittels Wahlen und Abstimmungen Verantwortung für die Entwicklung des Staatswesens treffen kann und nicht jeder zufällig hier Anwesende. Für die heute Regierenden stelle ich das in Zweifel.
Die Idee war wohl, daß sich so am ehesten gewährleisten ließe, daß die Bürger die Entwicklung des großen Ganzen im Auge behielten und nicht nur die Verwirklichung von Partikularinteressen. Da aber seit Jahren schon das krasse Gegenstück des völkischen „Dein Volk ist alles, du bist nichts“ als „Deine Interessen sind alles, das Gemeinwohl ist unwichtig“ durchexerziert wird, ist abzusehen, daß es in den kommenden Jahren eher noch mehr Geschmacksrichtungen geben wird. Brokkoli-Schokolade oder auch Kaffee-Grüntee. Jeden halt das seine. Und das auch allen, die zufällig gerade hier sind.
Dies zu ändern, bräuchte es den wirklich mündigen Bürger, den sich die Verfassungsgründer vielleicht vorgestellt haben mögen: Den Wähler, der sich bei der Stimmabgabe überlegt, „wie wird das Gemeinwesen nach der Regierung der gewählten Partei in fünf/zehn/zwanzig Jahren aussehen?“. Und den, der die zu wählenden Politiker auch dementsprechend beurteilt. Nicht aber den, der seine Partikularinteressen in den Vordergrung stellt und der anschließend den das meiste versprechenden Politiker wählt.
Wie realistisch das in unserem Land ist, mag zum Thema einer ihrer nächsten Kolumnen taugen.
Es gibt Kommentare, bei denen es sich anbietet, auch „zwischen den Zeilen“ zu lesen. Und wenn ich hier richtig liege, tippe ich auf völkisch-nationaler „besorgter Bürger“ und Neue Rechte. Lasse mich aber gern eines Besseren belehren.
Zwischen den Zeilen lesen ist immer gut, es läßt sich kräftig interpretieren und im Ergebnis ist alles, was dem eigenen Weltbild nicht entspricht, „rechts“, „völkisch“ und „rassistisch“. Das enthebt den Rechtgläubigen von der Notwendigkeit, über die Fakten zu diskutieren.
Welche sachliche Kritik habe Sie meinen Ausführungen entgegenzusetzen?
Ihren Zeilen entnehme ich, dass dann ja wohl in der Tat unser beider Weltbilder nicht übereinzustimmen scheinen. Und ich kann mir gerade gut vorstellen, dass Sie große Lust hätten, „Ihre Fakten“ hier noch einmal ausführlich auszubreiten – bitte aber um Verständnis, wenn ich wiederum keinerlei Lust verspüre, Ihnen die gewünschte Plattform zu bieten.
Welche Plkattform könnten Sie schon bieten?!
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