Überraschende Zusage von Eva Kühne-Hörmann
ZIEGENHAIN | WIESBADEN. Es gibt Liegenschaften, mit denen wird man einfach nicht glücklich. Die bringen keine Mieteinnahmen, sie kosten Anliegergebühren, bei versiegelten Flächen sogar Niederschlagswasser-Gebühren.
Sie müssen gepflegt werden, mit Nachbarn streitet man über den Zustand und wenn einem dann noch Naturschutz oder Denkmalschutz – im schlimmsten Fall beide zusammen – im Nacken sitzen, ist es ganz doof.
Es gibt auch Grundstücke in der Nachbarschaft, die sehen schlecht aus, man will diese vor seinen Besuchern am besten verbergen und man rennt von Pontius zu Pilatus, damit sich etwas ändert. Oder man hat ein Grundstück gemietet und kann es nicht nutzen, weil der Eigentümer mit der Pflege nicht beikommt.
In diesen drei unterschiedlichen Rollen fühlen sich die Beteiligten rund um den Wallgraben in Schwalmstadt-Ziegenhain. Der wird gerade von Kampfmitteln aus dem 2. Weltkrieg befreit, ist auf der Süd-Ostseite dem sogenannten kleinen Wallgraben, hübsch eingepackt und auf der anderen Seite geht es demnächst weiter. So etwa ein Jahr lang werden die Arbeiten noch dauern, sagt Hessens Justiz-Ministerin Eva Kühne-Hörmann. Sie wundert sich, dass in den 20 Jahren vor Beginn der Arbeiten niemand in Schwalmstadt die Initiative ergriffen hat, den Zustand des Wallgrabens zu verbessern. Als das Ministerium von den Problemen erfahren hat, sei man prompt ans Werk gegangen und nun werden 15 Millionen Euro – auch für eine Landesregierung mehr als ein Taschengeld – ausgegeben, um die Gefahrenquellen zu beseitigen. Ein paar Granaten habe man ja auch schon gefunden, sagte sie am heutigen Dienstag bei einem Besuch in Schwalmstadt.
Kosten und Ärger mit den Nachbarn
Was aber hat das Justiz-Ministerium mit einem Gewässer zu tun? Klar, ein Landgrafenschloss gehört historisch den Landesfürsten. So auch in Ziegenhain. Aus dem einstigen Verteidigungs-Graben wurde mit der Nutzung als Gefängnis, ein Gewässer mit umgekehrter Funktion. Der Wallgraben sollte fortan verhindern, dass jemand flieht. Mit Neubau, Mauer und Stacheldraht, ging auch diese Funktion inzwischen verloren und das Land geriet in die eingangs beschriebene Rolle. Nichts als Kosten und Ärger mit den Nachbarn.
Diese Nachbarn, vor allem das Bündnis Wallgraben* und die versammelten Historiker und Touristiker, hätten gerne einen historischen Blick auf den Graben und die Angler als Pächter würden sich über ein gesundes Gewässer und ungefährdeten Besatz freuen. Für sie hat der historische Zustand nicht zwingend Priorität. Das klingt an sich schon kompliziert und dann kommt neu hinzu, dass das Ministerium ordentlich abgeholzt hat und nun Aufträge für die Wiederherstellung des Zustandes von 2015 vergeben hat. Das Bündnis findet aber, dass der Wallgraben zu diesem Zeitpunkt schon ordentlich „verwahrlost“ war, wenigstens in Bezug auf seine geschichtliche Authentizität. Schön grün ist nicht immer auch schön echt. 2001 wäre der Zustand – wenn auch nicht historisch korrekt – doch wenigstens noch gepflegt gewesen, sagen Jörg Haafke und Markus Stübing vom Bündnis.
Festung hat an Bedeutung gewonnen – zentraler Ansprechpartner fehlte!
Es hat verschiedene Beschwerden, Eingaben und Anregungen gegeben, die auch nicht immer freundlich gewesen sein dürften. Man hätte sich einen zentralen Ansprechpartner in Schwalmstadt gewünscht, verriet die Ministerin, das Ministerium könne nicht auf jede Eingabe reagieren. Sie habe die ersten Gespräche mit Gerald Näser geführt, in der Zwischenzeit wäre dann sehr wenig passiert und die letzten beiden Jahre waren auch nicht sehr kommunikativ, wenn man die Äußerungen der Ministerin richtig deutet. Wer zwischen den „Zeilen“ lesen kann errät: „Es herrschte Funkstille“
Inzwischen ist die Wasserfestung Ziegenhain Mitglied im europäischen Festungsnetzwerk Forte Cultura und sieht sich plötzlich auf Augenhöhe mit Verona, der Hohensalzburg, Luxembourg, Budapest oder Prag. Alles bedeutende Festungsstädte. Da wurmt es, dass man Touristen nichts von der Festung zeigen kann, weil alles zugewachsen ist. Die Botschaft aus einer Presseveröffentlichung vor einigen Tagen, dass das Ministerium „wiederaufforstet“, hat den Verantwortlichen aus den Festungsinitiativen und den Touristikern um Gerhard Reidt dann die Sprache verschlagen.
Alexander Wittke von nh24 hat die Initiative ergriffen und die Ministerin zusammen mit den Erzürnten an einen Tisch gebracht. Mit dabei Matthias Wettlaufer, Landtagskandidat und Marcus Theis. Das Ergebnis ist überraschend:
Der Stadt war die Festung offensichtlich wurscht…?“
Frau Kühne-Hörmann, im letzten Kabinett Wissenschaftsministerin, kann die Geschichtsbegeisterten Schwälmer verstehen und als sie sagt, „wenn man das historische Bild wiederherstellen will, dürfe es vermutlich gar keine Bäume mehr geben“, leuchten die Augen von Jörg Haafke. Ob so oder doch ein bisschen grün, darüber dürfte man bald diskutieren können! Ein wenig entsetzt wirkte die Ministerin, dass ihr offiziell niemals jemand berichtet habe, um was es eigentlich geht…
Das Justiz-Ministerium betreibt hier „nur“ eine JVA und wenn es um die Denkmalpflege oder Wiederherstellung geht, dann solle das die Stadt in die Hand nehmen. Nur reden müsse man dazu halt miteinander.
Trennt sich das Land vom Wallgraben um Historie wiederherzustellen?
Als die ganze Dimension der historischen Bedeutung und der damit verbundenen touristischen Chance für Schwalmstadt und das Land mit der letzten noch vorhandenen Wasserfestung auf dem Tisch lag, machte Frau Kühne-Hörmann ein „unanständiges Angebot“. Sie würde das auch abgeben! Sagte sie. Als sie auf Nachfrage bestätigte, dass sie damit meine, das Grundstück abgeben zu wollen, begannen die Gedanken der Anwesenden fast hörbar zu rattern.
Das Grundstück, wie eingangs beschrieben, hat bislang mehr gekostet, als es jemals einbringen könnte. Man würde ein saniertes Grundstück übergeben und wolle damit kein Geld verdienen, sagte die Ministerin und sorgte für erstaunte Gesichter. Im Gegensatz zum Land, könnte die Stadt Mittel aus der Denkmalpflege bekommen und wegen der europäischen Dimension und des EU-weiten Verbundes, sollten auch ein paar Euro aus Brüssel drin sein. Das Ministerium stoppt erst einmal die Aufträge, die vergeben wurden, um den (nicht historischen) Zustand von 2015 wiederherzustellen und wird die – bisher zugeknöpfte – Stadt Schwalmstadt und die Interessenvertreter zu einem Gespräch einladen. Dann kommt Butter bei die Fische im Wallgraben. Wie man mit den Verträgen umgeht, die schon unterschrieben sind, ist danach zu entscheiden. Vertrag ist schließlich Vertrag, weiß die Juristin, die den Eindruck macht, zu wissen, was sie will und niemanden nur beruhigen zu wollen.
Ja – und nun?
Das war deutlich mehr, als jeder erwartet hätte. Klar fängt die Arbeit jetzt erst an, aber es wird der Stadt nichts anderes übrigbleiben, als ohne die üblichen und einstudierten Positionskämpfe gemeinsam eine Position zu beziehen und Verantwortung für ihr wahrscheinlich wichtigstes Kulturgut und seine Chance zur erfolgreichen Vermarktung zu nutzen. Niemand außer der Stadt kann das tun und hätte man in der Führungsetage des Rathauses etwas mehr Engagement gezeigt, so wäre der eingeschlagene falsche Weg schließlich vermeidbar gewesen. Manch Steuer-Euro hätte zudem gespart werden können.
Jetzt ergibt sich vielleicht eine neue Aufgabe für Stadtplaner und Stadtmarketing. Immobilienfachmann Bürgermeister Stefan Pinhard kann endlich zeigen, wie gut er mit bedeutenden Liegenschaften umzugehen versteht und Stadtmanager Achim Nehrenberg kann die Pläne für einen Dinosaurierpark, der nicht zum mittelalterlich/früh-neuzeitlich geprägten Stadtbild passt, in die Schublade zurücklegen.
Chance ist so einmalig wie die Festung
Den Wallgraben entschlammen, die einst scharfen geometrischen Konturen wiederherstellen und vielleicht ein Stück originalgetreuen Wallgraben rekonstruieren, dazu ein Besucherzentrum errichten und schon ist jemand ordentlich beschäftigt mit Konzepten, Zuschussanträgen und Planungen. Besucher wären garantiert, denn – wie gesagt – die Festung ist europaweit einmalig und auch diese Chance ist vermutlich einmalig. Sie zu „verbaseln“ wäre töricht. nh24 hat seinen Beitrag geleistet, jetzt heißt es kommunizieren! Glück auf Schwalmstadt! (Rainer Sander)
*Dem Bündnis Wallgraben gehören bislang Anwohner des Wallgrabens, der Arbeitskreis Festung, der Ortsbeirat Ziegenhain, der Förderverein Kulturlandschaft Schwalm, der Fischereiclub Neptun sowie (vermutlich) die Stadt Schwalmstadt an.
3 Kommentare
Aus welchem Teil Hessens kommt die Ministerin? Gibt es im Ministerium kein Kataster der Liegenschaften des Landes samt Zustand und Bedeutung ?
Der Eigentümer ist verantwortlich und sollte von sich aus auf sein Eigentum achten !
Beispiel: Schloss in Melsungen: Sauberkeit ist an einenDienstleister vergeben. Und was macht der ? Reinigt mal mehr, mal weniger(meist).
Kontrollen ? Selten bis nie !
Zu Wähler
Hier Politiknähe vorzuwerfen ist falsch.
Wenn sie meckern machen sie es doch anders und besser !
nh24 sollte ihr Parteibuch mal bei Seite legen und Parteilos Presse machen.
Jetzt brauch ich wohl ein neues Synonym…. Das habe ich nicht geschrieben.
Kommentare wurden geschlossen.