Wirtschaftsgemeinschaft Baunatal feiert 50 Jahre
BAUNATAL. Volkswagen war unbestritten die Mutter aller Entwicklungen in Baunatal. Vor 60 Jahren das Werk, vor 52 Jahren die Stadt Baunatal, vor 50 Jahren die Wirtschaftsgemeinschaft als Zusammenschluss derjenigen, die für die rasch wachsende Zahl an Menschen in der Stadt – im wahrsten Sinne des Wortes – handelten, Häuser bauten und schließlich für VW zulieferten, dort reparierten und die Dynamik einer sich schnell entwickelnden Kommune nutzten.
Der in Kleinstädten und Gemeinden übliche Begriff „Gewerbeverein“ passte von Anfang an nicht, der Name „Wirtschaftsgemeinschaft“ war Programm und Ziel zugleich: „Gemeinsam wirtschaften“ hieß es schon damals, als – wie Präsident Peter Hammerschmidt formulierte – verantwortungsvolle und ehrbare Baunataler Kaufleute die Wirtschaftsgemeinschaft Baunatal gründeten. Dabei, so Hammerschmidt, wird das Jahr 1968 mit dem Höhepunkt der Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen in Verbindung gebracht.
320 Mitgliedsbetrieben geben 30.000 Menschen Arbeit
Mit 320 Mitgliedbetrieben, zu denen seit 42 Jahren auch VW zählt, beschäftigen die Betriebe der Wirtschaftsgemeinschaft 30.000 Menschen, 2.000 mehr, als Baunatal Einwohner hat. Rechnet man noch die wenigen Gewerbebetriebe hinzu, die tatsächlich nicht Mitglied in der Wirtschaftsgemeinschaft sind, wird deutlich, welche Rolle die Stadt Baunatal für die Region insgesamt einnimmt.
Es kommen auch nicht zu jedem runden Geburtstag einer Gewebevereinigung der Regierungspräsident Walter Lübcke, der Regionalmanager Holger Schach, der Stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ulrich Spengler, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) Jürgen Müller, der Wirtschaftsförderer der Region Kassel Christian Strube, die Landtagsabgeordnete Manuela Strube und natürlich die Erste Stadträtin Silke Engler, sowie viele weitere Ehrengäste. Unter ihnen auch Bürgermeisterkandidat Sebastian Stüssel.
Zukunft braucht Herkunft
Fast 150 Besucher waren der Einladung zur Festveranstaltung in das stillgelegte, alte Kraftwerk des VW-Werkes gefolgt. Ausgeleuchtet von der Firma Auditiv bot das Denkmal Baunataler Industriegeschichte eine phantastische Kulisse und war zugleich Ort für die Erinnerung aber vor allem für den Blick in die Zukunft. „Zukunft braucht Herkunft“, so lautete dann auch das Thema des Festvortrags von Prof. Dr. Peter Nieschmidt (München, Uni St. Gallen).
Man verharrt in Baunatal nicht mehr als nötig in der Vergangenheit. Man blickt nach vorn und sucht nach Wegen, die kommende Zeit mit allen ihren neuen Herausforderungen zu meistern. Die größten Herausforderungen scheinen in der Digitalisierung und im Fachkräftemangel zu liegen. Dass sich beides nicht zwangsläufig ausgleicht, machte Peter Nieschmidt deutlich: Diesmal verschwinden nicht die Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeiten, sondern die, die leicht zu automatisieren sind. Das können auch solche mit logischen Schussfolgerungen sein, die ein Computer treffsicherer findet, als ein Techniker oder Ingenieur.
Sinnlose Energievergeudung bei schlechter Mitarbeiterführung
Dennoch wurde klar, dass der Faktor Mensch die tragende Rolle spielen wird. Und, so Nieschmidt, es wird immer die gleichen Grundwerte geben. Aber das Verständnis von Arbeit hat sich verengt. Haben die Menschen im Mittelalter noch von gewissenhafter und meisterlicher Arbeit gesprochen, also das Gewissen und ein Höchstmaß an Qualität in den Vordergrund gestellt, hat sich das im calvinistischen Weltbild zum Streben nach maximaler Quantität verändert.
Nieschmidt zeichnete ein systemisches Bild einer Abteilung mit soliden „Schaffern“, zwei Streithähnen, einem scheinbar und einem wirklich unerkannten Fachmann, einem Besserwisser, einem heimlichen Chef, einem loyalen Zuarbeiter und anderen Charakteren, wie sie in jedem Betrieb vorkommen und wie sie Reibungsverluste durch falsche Besetzung, schlechte Steuerung und Ignorieren unterschiedlicher Persönlichkeiten entstehen. 30 Prozent der Energie, so Nieschmidt gehen dabei – für den Betrieb – sinnlos verloren.
30 Prozent ungenutzte Ressourcen
Menschen sind weder Produktionsfaktoren, noch Kostenfaktoren, sondern Persönlichkeiten. Wer als Vorgesetzter deren Stärken richtig einzusetzen und die Reibungsverluste im Team zu reduzieren versteht, schaffe es, ein Potential von 30 Prozent zu aktivieren: Selbstverwirklichung statt Zeitvergeudung. In den meisten Managementtheorien, die mit „Management by…“ beginnen, kann er wenig Erfolgversprechendes erkennen.
So „gestrickt“ werden die erfolgreichen Unternehmen der Zukunft sein, von denen Silke Engler hofft, auch weiterhin viele in Baunatal beheimatet zu wissen. Überzeugt und damit auch überzeugend erklärte sie, wie sie mit Breitband in allen Stadtteilen, neuen und geförderten alten Netzwerken, anderen Wegen in gemeinsamen Ausbildungsprojekten und einer städtisch geförderten Nachwuchsoffensive, die Baunataler Unternehmen zu unterstützen will. Die gegenseitige Unterstützung habe eine 50-jährige Geschichte, betonten sowohl Engler, als auch Hammerschmidt, der sich allerdings zusätzlich weniger bürokratische Gängelung wünscht. Das geht allerdings an die Adresse der hohen Politik, die gewiss auch auf Städte und Wirtschaftsgemeinschaften wie Baunatal schaut. (rs)