HOMBERG/EFZE. Jörg Probstmeier war von 1973 bis zum Jahr 2017, präzise 43 Jahre und sieben Monate Bundesgrenzschutz- bzw. Bundespolizeibeamter. Geboren wurde der heute 62-jährige in Kassel, heute lebt er in Hessisch-Lichtenau.
Jörg Probstmeier hat aber auch Verwandtschaft im Schwalm-Eder-Kreis, Teile seiner Familie haben diese Schule besucht und ein Neffe ist z. Z. Schüler einer 10ten Klasse der BTHS. Dies war für Oberstudienrat Thomas Schattner Anlass genug, ihn zu einer Zeitzeugenveranstaltung an die Schule zu holen. Schließlich war Jörg Probstmeier als 21Jähriger Mitglied der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) im „Deutschen Herbst“ 1977.
Mit der GSG 9 wird immer der Einsatz 1977 in Mogadischu verbunden. Im Bewusstsein der meisten Deutschen aber waren sie die „Helden von Mogadischu“. „Helden seien sie nicht gewesen, sie hätten nur ihren Job gemacht“, sagte Jörg Probstmeier, der seinerzeit als Präzisionsschütze an dem Einsatz teilnahm, noch vor kurzem in einem Interview mit der HNA. Deshalb stelle er seinen Auftritt an der BTHS unter das Motto Indira Gandhis: „Die Geschichte ist der beste Lehrer mit den unaufmerksamsten Schülern“.
Nach einigen einführenden Worten von Jörg Probstmeier, z.B. zur Gliederung und Ausbildung der Grenzschutzgruppe 9 kam es sehr schnell zu einer Frage- und Antwortrunde, die es in sich hatte. Schon bei der Frage, wie seine Familie dazu stand, dass er zur GSG 9 ging, herrschte absolute Stille in der Aula, in der ca. 140 Schüler der oberen Jahrgänge der Schule anwesend waren. Denn seine Eltern hatten keine Vorstellung von dem was er tat, erst durch Mogadischu sei ihnen das klar geworden. Zur Härte der Ausbildung führte er aus, dass von mehr als 54 Bewerbern nur zwölf das Eignungsauswahlverfahren bestanden hatten. Davon bestanden nur sechs die Ausbildung und auch Jörg Probstmeier bestand nur mit einer „gelben Karte“. Ausgerechnet im Schießen musste er sich dringend verbessern. Diese „Karte“ führte dann dazu, dass er immer wieder freiwillig zusätzlich Übungen am Schießstand machte. Sein Ehrgeiz war geweckt, den er z.B. als Schüler nicht gehabt habe.
Besonders eindringlich schilderte er die psychologische Ausbildung der Grenzschutzbeamten. Wer in einer Stresssituation Anweisungen nicht folgte, galt als nicht belastbar und wurde aussortiert. Nichtsdestotrotz fußte der Einsatz der GSG 9 meistens auf freiwilliger Basis, kein Beamter wurde aus Fürsorgegründen zu Einsätzen gezwungen, denn nur körperlich und geistig Gesunde waren den Herausforderungen eines Einsatzes gewachsen.
Eine der ersten Einsätze im Herbst 1977 hatte die GSG 9 und auch Jörg Probstmeier bei der Durchsuchung des Kölner Unicenters, wo man den von der Roten Armee Fraktion (RAF) entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer vermutete. Kurz zuvor war hier in der Tiefgarage ein von der RAF benutztes Auto aufgefunden worden, und nun wurden Wohnungen durchsucht, die die Terroristen konspirativ benutzt haben könnten. Leider vergebens.
Auch nach der Entführung der Lufthansamaschine „Landshut“ am 13. Oktober 1977 hatte man innerhalb der GSG 9 noch die Hoffnung, so Probstmeier, dass auch diese Geiselnahme wie andere Flugzeugentführungen friedlich und unblutig beendet werden könnte. Nichtsdestotrotz flog die GSG 9 der Maschine hinterher. Zuerst blieb man in Ankara, später auf Kreta in Wartestellung. Zunächst hatte man dann die Hoffnung, dass man schon in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) am 14. bzw. 15. Oktober die Maschine stürmen konnte. Doch diese Hoffnung zerschlug sich rasch mangels Zustimmung der zuständigen Behörden.
Ganz still wurde es in der Aula als Jörg Probstmeier von der Befreiungsaktion in Mogadischu (Somalia) am 18. Oktober 1977 berichtete. Als zweitjüngster GSG 9-Beamter durfte er die Maschine der Lufthansa nicht mit stürmen. Stattdessen war er als Mitglied des Observations- und Präzisionsschützenkommandos ca. 100 Meter vom Flugzeug entfernt in Stellung gegangen. Das Kommando hatte den Auftrag, alle Bewegungen und Ereignisse zur observierten „Landshut“ aufzuklären und zu melden. Gegebenenfalls sollten sie durch gezielte Schüsse eine extreme Gefahrensituation abwenden – in diesem Falle, um Geiseln zu schützen und eigene Kräfte zu sichern. Sie standen dabei im ständigen Kontakt mit der Einsatzleitung. Im Falle der Schussabgabe war es unbedingte Voraussetzung mit dem ersten Schuss die Geiselnehmer an der Fortsetzung ihrer Tathandlung zu hindern, um die Gefahren für Leib und Leben der Geiseln und der Einsatzkräfte zu minimieren. Dabei stand natürlich für Schüler die Frage nach dem Töten von Menschen im Vordergrund. Jörg Probstmeier sagte aber klar, „wenn ich damit unschuldige Menschenleben in großer Anzahl retten kann, dann ist das in Ordnung“. In dem Zusammenhang wies er auch daraufhin, dass die Alternative zur Stürmung durch die GSG 9 die Erstürmung durch somalische Einheiten gewesen wäre. Probstmeier dazu: „Das waren Militärs, die das Töten gelernt hatten, wir wollten als Polizisten zuerst Leben retten“. Es sei ihm auch die Reaktion des somalischen Präsidenten und Generals Siad Barre merkwürdig vorgekommen, als man davon sprach, dass möglicherweise Terroristen überleben konnten. „Sie wollen Gefangene machen?“
Den Einsatz selbst zur Befreiung der Geiseln schätzte Probstmeier höchstgefährlich ein. Was wäre gewesen, fragte er, wenn die Terroristen eine oder sogar mehrere Handgranaten mit Sprengmantel hätten zünden können? Ein Blutbad wäre die Folge gewesen.
Besonders beeindruckend schilderte dann Jörg Probstmeier seine Eindrücke nachdem die Befreiung der Geiseln stattgefunden hatte und er die Lufthansa-Maschine betrat, um die Passagiere zu evakuieren. Die Bilder der toten Terroristen brannten sich tief in sein Gedächtnis ein. Diese schilderte er so lebendig, dass diese wohl keiner der anwesenden Schüler mehr jemals vergessen wird.
Dass die GSG 9 bei ihrem Einsatz in Mogadischu auch viel Glück hatte, verdeutliche er dadurch, dass ein Kamerad einen glatten Halsdurchschuss erlitt. Wäre die Kugel durch den Kehlkopf oder die Halsschlagader gegangen, wäre ein eigenes Opfer zu beklagen gewesen. Ein anderer Kamerad behielt sein Leben nur aufgrund der Tatsache, dass seine kugelsichere Weste zwei Schüsse eines Terroristen auffing.
Zum Schluss der Veranstaltung fragte eine Schülerin, was er davon halten würde, wenn sein Neffe Polizeibeamter werden möchte. Daraufhin sagte Jörg Probstmeier, dass jeder seinen Weg gehen müsse und er niemanden beeinflussen wolle.
Leider verging die Zeit wie im Flug und rasch waren die 90 Minuten vorbei. Es blieben noch Fragen der Schülerschaft, aber es blieb auch der Eindruck eines unglaublich authentischen Zeitzeugen. Jörg Probstmeier bestach durch seine positive Ausstrahlung, seine detaillierten Antworten und auch durch sein Nachfragen, ob er denn auch die Fragen auch entsprechend beantwortet hätte. Er hatte sich für seinen ersten Auftritt als Zeitzeuge vor Schülern sehr gut vorbereitet und das honorierten ihm die Schüler zum Abschluss mit einem großartigen Applaus. So spannend kann Geschichte sein und aus „unaufmerksamen Schülern“ aufmerksame Schüler machen.
Was passierte in Mogadischu?
Am 18. Oktober 1977 um 0.05 Uhr deutscher Zeit werden von zwei britischen Spezialisten entwickelte neuartige Blendgranaten gezündet, welche die Entführer im Cockpit für wenige Augenblicke erheblich blenden. GSG9-Kommandeur Ulrich Wegner gibt zugleich den Befehl „Fire Magic“ (Feuerzauber), die Sturmtruppen der GSG9 reißen die Notausgänge der „Landshut“ auf und stürmen in die Maschine. Es entwickelt sich ein drei- bis vierminütiges heftiges Feuergefecht mit den vier palästinensischen Terroristen, zugleich werden die ersten Geiseln aus dem Flugzeug gebracht. Um 0.12 Uhr meldet Wegner „Springtime“, Ende der Aktion nach sieben Minuten. Niemand wird tödlich verwundet, lediglich eine Stewardess und ein GSG 9-Beamter werden verletzt. Die Aktion grenzt an ein Wunder und der damals 21-Jährige Jörg Probstmeier war dabei. (pm/Thomas Schattner)
Inernet: ths-homberg.de
1 Kommentar
Sehr schön berichtet. Jörg ist ein klassischer „Leisetreter“ der sein Licht immer unter den Scheffel stellt. Ein toller Kamerad, den ich seit über 40 Jahre kenne.
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