Carin-Grudda-Geburtstagsausstellung eröffnet
GUDENSBERG. Wer Carin Grudda gegenübertritt, erlebt eine selbstsichere Frau voller Energie; und der schaut in ein Gesicht mit vielen Facetten. Der erlebt eine Mimik, die immer mitgeht bei dem, was sie sagt, tut und die untrügerisch verrät, dass hier eine Künstlerin ganz „echt“ und ungekünstelt Kunstwerke erschafft.
Man blickt in hellwache Augen, die nur kurz mal zur Ruhe kommen, die immer neugierig sind und stets reagieren auf das, was gerade um sie herum passiert. Manchmal mit Verzögerung, ein kurzes in sich gehen und dann passiert meist etwas Überraschendes.
Zwischen Ruhe und Unruhe
Carin Grudda ruhig? Kreativ unruhig wäre die passende Charakterbeschreibung, völliger Stillstand scheint für die gebürtige Gudensbergerin schwer vorstellbar. Oft verschmitzt kommt sie daher, ein hintergründiges Lächeln zwischen Nachdenken und Freude am Leben ist Markenzeichen. Gerne gesellt sich ein herzhaftes Lachen dazu, denn Emotionen zu unterdrücken, das passt nicht zu Carin Grudda. Aber doch hat sie für alles eine Erklärung – und sicher auch einen Plan…?
So energetisch, kreativ, überraschend, satirisch-ironisch und zugleich hintergründig kommen auch ihre Werke daher. Und sie sind nicht zu übersehen! Das gilt für die Bronze-Figuren genauso, wie auch für ihre Kaltnadelradierungen. Vor fünf Jahren, bei ihrem 60. Geburtstag hat sie uns gesagt, „in einer vorbeifliegenden Welt, in der Worte und Werte an Bedeutung verlieren, vieles der Veränderung unterworfen wird, setze ich dieser inflationären Beschleunigung gerne Gewicht und Größe entgegen!“
Mehr Größe in einer beschleunigten Welt
Die Welt ist nicht langsamer geworden – im Gegenteil – und Carin Grudda scheint fünf Jahre später dennoch nicht älter geworden zu sein. Nur die Zahl hat sich verändert. Aus ihrer Wahlheimat Ligurien zieht es sie öfter in die Heimatstadt Gudensberg, in der sie am 17. August 1953 das Licht der Welt erblickt hat. Und sie scheint hier mehr zuhause zu sein denn je. Sie geht vertraut mit den Menschen und der Stadt um, auch an ihrem 65. Geburtstag, an dem sie ein neues Kunstwerk vorstellt und ihre Gäste durch die Stadt führt, bis zur Ausstellungseröffnung im Kulturhaus Synagoge, das sie besonders ins Herz geschlossen hat.
Die Begleiter diesmal: Thomas Hof, der Schmeckefuchs und allgegenwärtiger Gudensberger Wahl-Original und Welf Kerner. Schauspieler Thomas Hof versteht es, den Humor und die Hintergründigkeit der Künstlerin in Worten und Gesten zu (er)fassen, dem Musiker Welf Kerner gelingt es, die besondere Dialektik der gruddaschen Kunst in Töne, statt in Bronze zu gießen und dazu die authentischen Grimassen zu schneiden und lyrischen Liedtexte zu finden.
Stadtrundgang als Kunstwerk
So wird ein Stadtrundgang schnell zu einem eigenen Kunstwerk. An den Stationen der Kunstwerke in Gudensberg, die sonst in der ganzen Welt verstreut und so konzentriert nur an diesem Ort zu sehen sind, verweilt die Geburtstagsgesellschaft mit Bürgermeister Frank Börner, Landrat Winfried Becker, später MdB Edgar Franke und MdL Günther Rudolph, zahlreichen Künstlern, vielen Gudensberger Freunden und Bekannten, ihrem Ehemann und dem Bronzegießer Caporrella. Überall gibt es neues, spannendes und hintergründiges zu entdecken oder zu erfahren, zu besingen und zu besprechen.
Der Schweinehirt hat das Wichtigste übersehen, der Jüngling hat die Blaue Blume nie gesehen. Und die Katze macht, was sie will… Die große Blau Miau, Gruddas vermutlich bekanntestes Werk, steht zurzeit tonnenschwer vor dem Rathaus zu Gudensberg. „Ich wollte ein Kunstwerk schaffen, größer als ich! Es ist mir wieder nicht gelungen…“ erklärt sie dem zunächst verdutzten Publikum. „Man kann den Bauch noch streicheln“, lautet die Erklärung, die nur versteht, wer Carin Gruddas Kunst versteht. Die Goldmarie mit all der Hintergründigkeit aus dem Frau-Holle-Märchen, steht gut vor einer Bank (Kreissparkasse), sagt sie. Für das Original muss man übrigens nach Rom reisen.
Kannst Du das?
Lebendige Kunst findet man in Gudensberg am ersten Kreisel der Stadt vor dem Hospital. Die Kreisel-Idee entstand in nur fünf Minuten im Bauamt der Stadt, erzählt Carin Grudda: „Die wollten einen schönen Kreisel. Haben sie Leitern? Eine hätten sie, aus Gleichen vom Bürgermeister!“ Der habe sie dann gefragt: „Kannst Du das?“ Das Ergebnis mit den beiden Raben Hugin und Munin aus dem Märchen und zugleich aus der nordischen Mythologie wird seitdem von allen Besuchern und Gudensbergern pausenlos umkreist. Ja, sie kann das!
Die Tänzerin steht vor einer anderen Bank, der mit VR. „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort, sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und dieses heißt Haus; und hier ist Beginn und das Ende ist dort“, zitiert Thomas Hof aus Xavier Naidoos „Die Dinge singen hör ich so gern“.
Alles zum Anfassen, Klettern, Anlehnen
Weiter geht es zum Zerberus. Der Wächter. Auf dem kann man Reiten. Überhaupt darf man alle Grudda-Werke anfassen, darauf Klettern, sich anlehnen. „Auch ungelebtes Leben geht zu Ende…“ wie wahr: Eine Taschenlampe entlädt sich auch ohne Leuchten. Da hätte sie auch leuchten können!
Die Kinder klettern auf den Schafen und wippen auf den Hühnern. Es geht zur „Großen Frau“. Die hat Arme wie Flügel. Zum 50. Geburtstag, also vor 15 Jahren ist sie entstanden. Die Urmutter mit allen vier Elementen. So groß, wie das Kind die Mutter sieht, mit dem Lächeln, dass das Leben begleitet.
Phönix erschafft sich selbst – ohne Angst vor der Angst
Die Römische Sumse gegenüber der alten Synagoge ist neu. „Sie hat die Fähigkeit einen Stern zu Gebären“, sagt Hof, „Er hat’s, Nietzsche“ antwortet Grudda. Das Krabbel- und Flattergetier. „Die stören, stechen, lassen uns nicht schlafen. Ich lebe sie, sie sind Vogelfutter und Polizei für abgestorbene Organismen. Fünf Beine passieren mir immer wieder. Sechs kriege ich nicht unter, vier sind zu wenig.“ Ein typischer Grudda…
Vor dem Kulturhaus Synagoge erhebt sich Phönix aus der Asche. Das tut er alle 500 Jahre. Er erschafft sich neu. Dazu passt Mascha Kaléko: „Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten … was kommen muss, kommt!… erwarte nichts! … auch der Bruder verrät, geht es um dich oder ihn! … halte dich an Wunder, sie sind lange schon verzeichnet im großen Plan!“
Offizielles in aller Kürze und aller Herzlichkeit
Vor fünf Jahren war Ministerpräsident Volker Bouffier, ein alter Studienfreund, gekommen. Diesmal war es weniger feierlich, dafür mehr herzlich. Klaus Börner beschrieb das Leben Gruddas als Pendeln zwischen den Welten. Sie ist weltweit präsent. Jetzt ist die 4. Ausstellung im Außenbereich eröffnet, dazu Bilder im Kulturhaus. Unvergessen so Börner, der 60. mit 10.000 Besuchern und den noch immer sichtbaren 1000 Pfählen. Auf die Reise nach Gudensberg hat sie diesmal Schaukel und Wippe mitgebracht, für Gudensberg und Willingshausen. Denn diesmal findet die Ausstellung an zwei Orten statt. Ein Grundstein für Gemeinsamkeit beider Kommunen in Chattengau und Schwalm, so Börner.
Und zum Geschenk gab’s – noch ein Schweinchen von Grudda für den Bürgermeister. Es ist nicht das erste! Glück hat, wer so viel Schwein hat! (rs)