BREITENBACH AM HERZBERG. Wem die Welt gerade jetzt zu schwarz-weiß, zu hasserfüllt oder zu respektlos geworden ist, für den gab es da etwas. Vier Tage Love & Peace zusammen mit über 11.000 Menschen, denen vieles wenig bedeutet, worüber sich ein Großteil der Menschheit definiert und worüber sich Menschen, Nationen und Rassen streiten.
Wer das Burg Herzberg Festival besucht, verlässt im Wald zwischen Ottrau und Breitenbach diese Welt und tritt ein in eine andere. Wenigstens für vier Tage. Dann geht es für die meisten zurück in die reale Welt und für wenige weiter in einer Traumwelt.
Was die Besucher unter der Burg tatsächlich eint, ist der Glaube an eine friedliche Welt ohne Grenzen, Hass und Diffamierungen. Und tatsächlich geht man respektvoller miteinander um – obwohl auch „Hippies“ nicht alle derselben Meinung sind. In einem waren sie sich weitgehend einig: dass das Abschlusskonzert für 50 Jahre Herzberg etwas Außergewöhnliches war:
Blues Allstars
50 Jahre bereichern unser Leben, resümierte die Crew um die beiden Herzberg Geschäftsführer Gunther Lorz, Norbert „Mini“ Geier, Katja Schmirler-Wortmann und außerdem Wolfgang Wortmann oder Elmar Feuerstein. Und 11.000 wünschten sich „Gesundheit für Mini“, denn der konnte ausgerechnet beim Jubiläum nicht dabei sein! „Danke bei allen Kindern, die ihre Eltern überredet haben zu kommen“ und die Veranstalter verkündeten ihr Motto, das für die nächsten Jahre gilt: „One love, one peace, one Herzberg!“ Ach ja, „dank an Mond und Sonne“. Die beiden hatten Ihr Spektakel mit der Mondfinsternis bei Vollmond am Freitagabend direkt über der Hauptbühne veranstaltet.
Den Rahmen bildete die Hamburg Blues Band mit dem erst 25-jährigen Krissy Matthews an der Gitarre, Hansi Wallbaum (Interzone, Chuck Berry, Westernhagen) an den Drums, Bassist Michael Becker (Spooky Tooth, Lake) Gert Lange an der Rhythmusgitarre und dem Mikrofon.
Allstars – Altstars
Im Mittelpunkt standen dann aber die Allstars und zugleich Altstars. Mit denen ging es Schlag auf Schlag und dennoch dauerte die Show drei Stunden. Gitarrist Micky Moody war der erste, der alten Helden auf der Bühne, der – wie bei Whitesnake nicht nur Hard-Rock, sondern auch Blues kann; und am Mikrofon löste Maggie Bell (Stone The Crows) den Gert ab. Die alte Dame hat am Stimmvolumen nichts verloren und schon gar nicht an Ausstrahlung.
Ordentlich Druck machten Gitarrist Clem Clempson (Humble Pie, Colosseum, Jack Bruce), “Bassmonster” Mark Clarke (Colosseum, Rainbow, Uriah Heep, Michael Bolton) und “Hammond B3 Specialist” Adrian Askew (Cocker, Atlantis, Foundations), im Grunde die letzte Colosseum Besetzung ohne den jüngst verstorbenen Jon Hiseman. Für ihn trommelte kein geringerer als Curt Cress (Doldinger´s Passport, Tina Turner, Meat Loaf, Freddie Mercury). Und natürlich durfte “The Voice” Chris Farlowe (Colosseum, Atomic Rooster) nicht fehlen, der zwar körperlich gehandicapt die Bühne betrat, stimmlich aber auf der Höhe ist.
Fire!
Singer/Songwriter Stefan Stoppok begeisterte mit Humor und führte dann den Überflieger des Abends auf die Bühne, “The God Of Hellfire“, Arthur Browne. Mit Coversongs wie „Don’t let me be Misunderstood“ tastete er sich an seinen einzigen Nummer 1 Hit heran: „Fire“. Der Altmeister war geschminkt wie immer und wirkte wie eine Mischung aus Braveheart und Catweazle. Stieg einmal von der Bühne, machte sich über Trump lustig und tat was er am Besten kann: Mit Grimassen, Show und gewaltiger Stimme das Publikum mitreißen.
Als gemeinsame Zugabe gab es „Respect Yourself und „Papa was a Rolling Stone“. „All or Nothing“? Natürlich alles – wieder in 2019 am Herzberg.
Hintergrund: Das Burg Herzberg Festival
In diesem Jahr hat sie die Veranstaltung zum 50. Mal gejährt. Obwohl es zwischendurch eine Pause gab, das Festival lockt jedes Jahr über 10.000 Besucher an und fand erstmals ein Jahr vor dem legendären Woodstock-Festival statt. Schuld an diesem Hype sind vier „Knallfrösche“. So würde der Bandname der Petards übersetzt heißen. 1964, als sich Siw Malmkvist (Liebeskummer lohnt Ssch nicht) mit den Beatles (Komm, gib mir Deine Hand) und Cliff Richard (Sag ‚No‘ zu ihm), im Wettstreit um das schlechteste Deutsch durch die Hitparaden sang, gründete sich mit den Brüdern Klaus und Horst Ebert (Gitarren und Gesang), Rüdiger „Roger“ Waldmann (Bass) sowie Hans-Jürgen Schreiber (Schlagzeug), die erste Formation der Band „The Petards“. Bis 1972 wetteiferte das Quartett aus Schrecksbach (nordwestlicher Nachbarort von Breidenbach), zusammen mit Achim Reichels Rattles und den Sonics um die Vorherrschaft in der deutschen Beat-Musik.
Zumindest in Nord- und Mittelhessen hatten die Knallfrösche die Nase vorn und mit den selbst veranstalteten Herzberg-Festivals haben sie zum einen ein Stück Musikgeschichte geschrieben und zum anderen Bands mit nationaler und internationaler Bedeutung in die oberhessische Provinz geholt. Auf dem Herzberg sind in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren Gruppen wie Can, Embryo, Amon Düül II, Guru Guru oder Tangerine Dream aufgetreten. Am Anfang des Burg Herzberg Festivals stand ein Bandwettstreit, mit dem die Petards eigentlich nur ihr jährliches Fan-Club-Treffen aufwerten wollten. 380 Fanclubs hatte die Band in Deutschland.
Die Legende lebt wieder auf
Aber das Schicksal hatte mehr mit diesem Ort vor. Binnen dreier Jahre wurde aus der provinziellen „Burg-Beat-Show“ ein professionelles Festival von nationaler Bedeutung, das so ziemlich alle maßgeblichen Bands des Krautrocks auf der Bühne versammelte. Schnell galt es als eines der größten in Europa.
Kalle Becker hat im Jahr 1991 die Legende wiederaufleben lassen. Inzwischen ist das Burg Herzberg Festival wieder das größte Hippietreffen in Europa. Wie in Woodstock geht es stets über mehrere Tage, natürlich gibt es immer irgendwo Schlammlöcher, lange Haare auch bei den männlichen Besuchern, weit ausgestellte Schlaghosen, bunte Stoffe mit Blumenmustern und auf dem Gelände ist alles vom Zelt oder Wohnwagen, über Kleidung bis zu den Gerüchen, so wie in den Zeiten von „Love, Peace & Music“ zum Ende der Sechzigern Jahre. Jethro Tull, Manfred Mann, Patti Smith, Wishbone Ash, Fairport Convention oder Big Brother And The Holding Company (Ex-Band von Janis Joplin), sind nur wenige der ganz großen Namen, die in den letzten 30 Jahren hier aufgetreten sind und dabei teilweise Schallplatten, DVDs und CDs aufgenommen haben.
Auch wenn die Veranstaltung inzwischen auf eine Wiese unterhalb der Burg verlegt wurde, um dem Ansturm noch gerecht zu werden, Festival und Festung sind untrennbar verbunden.
Buch zum Jubiläum
Zum 50. Gründungs-Jubiläum hat Frank Schäfer ein Buch geschrieben: „Burg Herzberg Festival – Since 1968“. Es zeichnet die wechselvolle Geschichte dieser „Traditional Hippie Convention“ nach, selbstironisch, anekdotenreich, mit vielen Bildern und Illustrationen – und keineswegs nüchtern“, wie der Werbetext verrät (256 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-945715-68-0). (rs)
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Ich kenne aus meiner Stader/Hamburger Zeit in den siebziger Jahren Gerd, Hans und Michael noch persönlich, seit Jahren besuche ich Konzerte der HBB, daß schönste ist immer das Weihnachtskonzert in Worpswede. Seit Jahren touren sie mit verschiedenen Allstars durch Deutschland und 1x im Jahr sind sie in Marburg, fantastischer Blues Rock in Vollendung.
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