SCHWALMSTADT. Dass Kinder in Windeln schon in den Kindergarten gehen, damit die Eltern arbeiten können, wo es doch gar nicht so viel zu tun gab in der DDR, erschien uns fatal.
Kleine Kinder gehören zu den Eltern, dachten wir. Heute sind auch in Hessen 50 Prozent der Kinder zwischen zwei und drei im Kindergarten. Die Kinderkrippe ist das neue Maß der Kindererziehung in der sozialen Marktwirtschaft.
Dass es im Osten keine Hausärzte gab, sondern Polikliniken, war befremdlich. Die Nähe zum Hausarzt erschien uns wichtig, Hausbesuche gehörten zu unserem Bild von einer guten ärztlichen Versorgung. Heute gründen wir Gemeinschaftspraxen und Facharztzentren, der Hausarzt wird bestraft, wenn er Patienten zu oft behandelt und regelmäßig zu Hause besucht. Im Notfall am Wochenende oder nachts gibt es eine Zentrale, die aufgesucht werden muss. Die Poliklinik ist jetzt bundesweit etabliert.
Dass Kinder – wie Erwachsene an der Arbeit – den ganzen Tag in der Schule verbringen und die Eltern an der Erziehung wenig beteiligt sind, erschien als undenkbar und archetypisch für das sozialistische Erziehungssystem. Kinder sollten auf der Straße und bei Freunden spielen können, ihre Neigungen und Stärken kreativ zu Hause, im Sportverein, in der Musikschule oder auch bei Jugendfeuerwehr oder Jugendrotkreuz ausleben können. Die Ganztagsschule ist heute aber das überragende Ziel.
Totale Überwachung war in der DDR möglich. Mikrofone, Kameras und Postkontrolle gehörten zum Alltag. Ein riesiges Spitzel-Heer beobachtete. Die Stasi hatte mit IMs (Inoffizielle Mitarbeiter) und AKPs (Auskunftspersonen) in einigen Regionen bis zu 18 Prozent der Bevölkerung eingespannt. Am Ende hat fast jeder jeden beobachtet. Heute beobachten wir unsere Kinder in Kindergarten und Schule via App, unsere Autos werden jetzt GPS überwacht, unsere Smartphone-Apps wissen stets wo wir sind und was wir tun. Jedes Handy kann uns abhören und beobachten. Und alles ganz freiwillig! Was hätte Erich Mielke im Sozialismus für diese Möglichkeiten des Kapitalismus gegeben…
Was haben wir gelacht, wenn wir DDR-Restaurants betraten und keinen Platz bekamen, weil alles geplant war und bei Sonnenschein nicht etwa mehr Personal im Volkseigenen Betrieb zum Einsatz kam. Lieber blieben Tische leer. Mit dem Arbeitszeitgesetz darf nur in Ausnahmen mehr als acht Stunden gearbeitet werden und demnächst gilt, dass Arbeit auch für Aushilfen vier Tage vorher angekündigt werden muss und dann auch stattzufinden hat. Wir werden im Sommer bei überraschendem Sonnenschein geschlossene Biergärten erleben, weil so spontan niemand mehr arbeiten darf. Auf der Hochzeit länger feiern? Das Personal darf auch nicht länger arbeiten, als nach Plan. Bei Regen ist es aber trotzdem da und sorgt im Straßencafé für prompte Bedienung.
Pflichteinsätze waren im Winter oder zu Erntezeiten in der DDR die Regel für Schüler aber auch für Erwachsene. Sie galten im Westen als Zeichen des Versagens der Planwirtschaft. Wenn immer weniger Menschen mit der Hand arbeiten wollen und niemand mehr Zeit und Lust hat auf Feuerwehr, werden wir auf solche Maßnahmen zurückgreifen, die Zwangsfeuerwehr ist möglich…
Dass es nur eine Partei gibt, in der alles vorher geregelt wurde und nur noch ja oder nein zum Ganzen gesagt werden musste, war auch eine sehr fremde Vorstellung für Menschen, die immer die Wahl zwischen verschiedenen Richtungen hatten. Ein-Parteien-Systeme von NSDAP bis SED wären unvorstellbar gewesen. Heute glauben immer mehr, dass alle Parteien schlecht sind und die Demokratie nicht mehr die beste Staatsform ist. Zur Wahl gehen ohnehin immer weniger Menschen. Wenn es weniger als die Hälfte sind, sollte eine Partei, die weiß wie es geht, völlig ausreichen… Oder?
Ihr
Rainer Sander
3 Kommentare
»Wenn es weniger als die Hälfte sind, sollte eine Partei, die weiß wie es geht, völlig ausreichen.«?
Was genau meint Herr Sander hier nur?
Die Wahlbeteiligung (übrigens 78% bei der letzten Bundestagswahl) ist sicher nicht Schuld, dass alle Parteien außer den Schmuddelkindern von der AfD in den wesentlichen Fragen eins sind (mehr Staat, mehr Schulden, mehr zuwandernde Kostgänger).
Die Wichtigkeiten haben sich geändert.
Bravo! Er hat den Nagel wieder einmal auf den Kopf getroffen.
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