HANNOVER | KASSEL. Es sah lange Zeit sehr gut aus für Handball-Bundesligist MT Melsungen in Hannover. Die Nordhessen hatten am Ostersonntag die vor eigenem Publikum favorisierte TSV Hannover-Burgdorf eine Dreiviertelstunde lang im Griff, dominierten das Geschehen in der mit 6.161 Zuschauern besetzten TUI-Arena.
Doch in der entscheidenden Schlussphase fanden die Roth-Schützlinge in der Offensive immer weniger Lösungen gegen die zusehends beweglicher agierende Abwehr der “Recken”. Die gingen ihrerseits zum ersten Male in der 51. Minute in Führung und dann aufgrund eines starken Endspurts nicht ganz unverdient mit 26:23 über die Ziellinie. Beste Schützen waren für die Hausherren Kai Häfner (7) und Ilija Brozovic (5), für die Gäste hingegen trafen Julius Kühn (7) und Tobias Reichmann (6/2) am häufigsten.
Beide Mannschaften mussten an diesem Sonntag jeweils verletzungsbedingt auf einen ihrer Leistungsträger verzichten – die MT Melsungen auf Abwehrchef Finn Lemke (Adduktorenzerrung) und die TSV Hannover-Burgdorf auf den Halblinken Mait Patrail.
Um von Anfang an den Rhythmus der zuhause bislang noch ungeschlagenen “Recken” zu stören, ließ MT-Trainer Michael Roth sein Team in einer 5:1-Formation decken, wobei Michael Allendorf auf der Spitze agierte. Und dieses Konzept ging prompt auf. Die Rückraumachse der Gastgeber, Fabian Böhm – Morten Olsen – Kai Häfner, fand nur selten geeignete Mittel, um die MT-Abwehr auszuhebeln. Wenn es Torerfolge zu bejubeln galt, dann zunächst nur aufgrund von Zufällen (Ilija Brozovic verwertet einen Abpraller vom Kreis) oder Einzelleistungen (Kai Häfner überwindet den Block, Fabian Böhm per Hüftwurf). Zu dem Zeitpunkt war der MT-Motor längst auf Touren, Julius Kühn und Tobias Reichmann hatten schnell für eine 2:0-Führung gesorgt, Michael Müller und erneut Reichmann sowie danach Lasse Mikkelsen untermauerten den erfolgreichen Auftakt (4:5, 8. Min.)
Weil bis dahin Recken-Keeper Malte Semisch noch keine Hand an den Ball bekommen hatte, wechselte ihn Trainer Ortega gegen Martin Ziemer aus. Eine Entscheidung, die sich später als goldrichtig erweisen sollte, Aber auch sein Berufskollege auf Melsunger Seite war mit der Leistung seines in der Erstaufstellung befindlichen Nebojsa Simic nicht zufrieden. Und so reagierte Michel Roth beim Stand von 9:9 (17.) mit dem Tausch gegen Johan Sjöstrand. In der kurz darauf genommen Auszeit monierte der MT-Coach, dass man in der Abwehr noch konsequenter zu Werke gehen müsse, besonders bei den Zweikämpfen.
Bis zur 21. Minute blieb das Spiel ausgeglichen (10:10). Auch deshalb, weil sich kurz zuvor auf beiden Seiten die jeweiligen Strafwurfschützen in ihrer Ausbeute neutralisiert hatten (Mortensen scheiterte an Sjöstrand; Allendorf an Ziemer). Dann war die MT am Drücker. Erst verwandelte Tobias Reichmann sicher von Rechtsaussen, dann parierte Johan Sjöstrand glänzend gegen den frei vor ihm auftauchend Fabian Böhm Auf der anderen Seite hämmerte Julius Kühn den Ball an Martin Ziemer vorbei und Tobias Reichmann ließ einen Siebenmetertreffer folgen. Das bedeutete vier Minuten vor dem Halbzeitpfiff die 13:10 Führung. Burgdorf schlug zurück, in Person von Brozovic und Mortensen, Reichmann stellte erneut per Strafwurf auf den verdienten 12:14-Pausenstand zugunsten der MT.
Auch nach dem Wiederanpfiff behielt die MT die Oberhand. Dabei wurde das taktische Mittel beibehalten, welches im ersten Durchgang in der Offensive nicht unwesentlich zum Erfolgsfaktor wurde. War bis dato meist Marino Maric als zweiter Kreisläufer in die Nahwurfzone übergegangen, machten dies nun entweder Tobias Reichmann oder der neu ins Spiel gekommene Timm Schneider. Insofern gelang es den Nordhessen bis zur 37. Minute wieder einen Drei-Tore-Vorsprung herauszuwerfen.
Doch der Vorsprung schmolz dahin und Michael Roth versuchte folgerichtig, die aufkommenden Recken nach deren 17:18-Anschlusstreffer (42.) per Timeout auszubremsen. Das ließen die wiederum nicht mit sich machen, spürten jetzt vielmehr, dass trotz des bisherigen steten Hinterherlaufens doch noch was möglich ist. Sie sollten mit dieser Einschätzung tatsächlich richtig liegen. Als Julius Kühn nach 49:53 gespielten Minuten auf die Strafbank musste (mit ihm hatte es in diesem Fall übrigens den Falschen erwischt), nutzen die Hausherren die Überzahl zu ihrer ersten Führung in diesem Spiel: Ausgerechnet der bis dahin noch nicht als Torschütze in Erscheinung getretene Rechtsaussen Timo Kastening erzielte das 20:19.
Besonders ärgerlich war dann kurze Zeit später eine Szene, in der es bei der noch in Unterzahl befindlichen MT zu lange dauerte, bis ein Feldspieler vom Platz kam und Johan Sjöstrand wieder zurückwechseln konnte und dadurch Ilija Brozovic zum 21:20 ins leere Tor werfen konnte.
Kaum wieder vollzählig, musste die MT die beiden nächsten Nackenschläge hinnehmen: Erst durch Kai Häfner aus dem Rückraum, dann aus einer erneut unglücklichen Situation heraus, als Marino Maric völlig freistehend Martin Ziemer den Ball ans Bein wirft, dieser davon in die Arme des nach vorne eilenden kastening springt und der auf 23:20 erhöht (54.). Apropos Ziemer: der TSV-Keeper war da mit einigen wichigen Paraden schon längst zum Glücksbringer seines Teams avanciert,
Obwohl Julius Kühn gut drei Minuten vor Schluss im Lager der Nordhessen – einschließlich der knapp 200 mitgereisten Fans – mit seinem siebten Tor zum 24:22 noch einmal Zuversicht verbreitete, ließen sich die Recken nicht mehr von ihrem Weg abringen und blieben mit dem 26:23 auch im 14. Heimspiel ungeschlagen.
Mitverantwortlich dafür, dass der MT das Spiel aus den Händen glitt, war laut SKY-Experte Martin Schwalb, der Umstand, dass es in der Schlussviertelstunde an Ideen mangelte, wie man die zusehends quirliger und effektiver agierende Recken-Abwehr überwinden könnte. Im Rückraum schien man sich auf die Wurfgewalt von Julius Kühn zu verlassen. Doch beim Goalgetter, der alles gegeben hatte, schwanden auch irgendwann einfach auch die Kräfte.
Michael Roth zum Spiel:
“Wir haben in der ersten Halbzeit das gespielt, was wir uns vorgenommen hatten. Das Konzept ging bis dahin voll auf. Im Verlauf der zweiten Hälfte verlieren wir den Faden. Zwei verworfene Siebenmeter, individuelle Fehler und die Tatsache, dass wir Ziemer zum Helden werfen, waren für die Niederlage ausschlaggebend. Solche Schwächephasen im Verlauf eines Spiels, die uns ja schon über die gesamte Saison begleiten, sind auch darin begründet, dass wir mit Kühn, Mikkelsen und Michael Müller eine neue Rückraumbesetzung haben. Da greift einfach noch nicht allesso ineinander, wie wir uns das wünschen.
TSV Hannover-Burgdorf – MT Melsungen 26:23 (12 :14)
TSV Hannover-Burgdorf: Semisch (1.-8. Min.; 0 P. / 5 Gegentore G.) Ziemer (9.-60. Min.; 9 P. / 18 GT) – Johannsen, Mortensen 4/1, Pevnov 1, Häfner 5, Atman 1, Böhm 4, Karason, Dräger, Olsen 2, Brozovic 5, Feise, Christophersen, Kastening 4/1 – Trainer: Carlos Ortega.
MT Melsungen: Simic (1.-16. Min.; 2 P. / 9 G.), Sjöstrand (17.-60. Min.; 8 Paraden / 17 GT) – Maric 2, Kühn 7, Golla, Reichmann 6/2, Ignatov, Mikkelsen 3/1, Danner 1, P. Müller 1, Schneider, Allendorf 2/1, Michael Müller 1, Haenen, Langhans – Trainer Michael Roth.
Schiedsrichter: Nils Blümel / Jörg Loppaschewski (beide Berlin)
Zeitstrafen: 4 – 8 Minuten (Böhm, Karason – Maric, Kühn, Reichmann, Danner).
Strafwürfe: 2/4 – 4/6 (Mortensen scheitert an Sjöstrand, 18. Min.; Mortensen wirft übers Tor, 35. Min. – Allendorf scheitert an Ziemer, 19. Min., Reichmann scheitert an Ziemer, 40. Min.).
Zuschauer: 6.162, TUI Arena, Hannover
Das nächste Spiel:
So., 15.04.2018, 15:00 Uhr, MT Melsungen – TV Hüttenberg, Rothenbach-Halle Kassel (pm)